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Gedenken vor der BordellgasseSchwelle des Anstoßes

Vor der Hamburger Herbertstraße ist eine Art Stolperstein für Sexarbeiterinnen verlegt worden. Dafür hagelt es Kritik. Künstler sieht sich plagiiert.

Stolperschwelle oder nicht? Messingplatte vor dem Eingang der Herbertstraße auf St. Pauli Foto: dpa/Christian Charisius

Hamburg taz | In Hamburg St. Pauli gibt es Streit über eine Messingschwelle vor der legendären Herbertstraße. Eine örtliche Initiative ließ die Leiste mit Unterstützung des Bezirksamtes Mitte vor der Bordellgasse in einen Kantstein ein. Die Schwelle soll an das Schicksal der Sexarbeiterinnen in der Zeit des Nationalsozialismus erinnern und ist an die Stolpersteine angelehnt, die der Künstler Gunter Demnig seit mehr als 30 Jahren in Deutschland verlegt.

Gegen die Enthüllung des „Messing-Kantsteins“, wie ihn der Verein Lebendiges Kulturerbe St. Pauli nennt, haben sieben Organisationen und gut 30 Einzelpersonen Ende vergangener Woche einen Offenen Brief verschickt. Darin begrüßen sie es zwar grundsätzlich, dass an die Situation der Prostituierten im Nationalsozialismus erinnert wird. Allerdings sei das Projekt übers Knie gebrochen worden und entsprechend „oberflächlich und plakativ“.

Weil der Messingkantstein mehr oder weniger so aussieht wie die Stolperschwellen, die Gunter Demnig seit einiger Zeit zusätzlich zu seinen Stolpersteinen verlegt, ist der Künstler wenig erbaut. „Es ist geschmacklos und sehr teuer“, sagt Demnig.

Seine Stolpersteine sind aus Beton, so groß wie kleine Pflastersteine, und tragen eine Krone aus Messing, in die von Hand die Lebensdaten von Menschen eingeschlagen werden, die von der NS-Diktatur ermordet wurden. In der Regel erinnert ein Stein an einen Menschen und wird vor dem Wohnhaus des Ermordeten verlegt – bis auf Ausnahmen von Demnig selbst, der dafür zigtausend Kilometer gereist ist.

Stolpersteine und Stolperschwellen verlegt

Neben Tausenden Stolpersteinen hat Demnig an die Hundert Stolperschwellen verlegt. Diese seien gedacht für „Orte, an denen Hunderte, vielleicht tausende Stolpersteine verlegt werden müssten, aber an denen der Platz nicht ausreicht oder die Dimension jede Vorstellungskraft sprengen würde“, schreibt er.

Diese würden auf gleiche Weise gefertigt wie die Stolpersteine, weil der Herstellungsprozess zur Würdigung der Opfer gehört. Ganz anders die Schwelle vor der Herbertstraße. Das sei eine Fabrikarbeit mit eingefräster Inschrift – also quasi seelenlos. „Gegen Plagiate bin ich in Deutschland eigentlich geschützt“, sagt Demnig. Bei den Schwellen ist er sich nicht so sicher.

Der Text, der auf dem Kantstein eingraviert ist, lautet: „Entrechtet, ausgegrenzt, ermordet – 1939-1945 – Im Gedenken an die Frauen in der Herbertstraße und anderswo.“ Er ist versehen mit einem QR-Code, der die Website von Lebendiges Kulturerbe St. Pauli verlinkt, wo in Zukunft Informationen zum Schicksal der Frauen aus der Herbertstraße zu finden sein sollen.

Herbertstraße zieht Tausende Touristen an

Die Herbertstraße zieht jährlich Tausende Touristen an. Sie steht wohl wie keine andere Straße in Deutschland für das Phänomen Prostitution – nicht nur, weil dort halbnackte Frauen in Schaufenstern sitzen, sondern auch, weil ihre Eingänge durch Sichtschutzwände verdeckt sind. Der Zugang ist auf diese Weise niedrigschwellig – schließlich handelt es sich um eine öffentliche Straße – und auch wieder nicht. Für nicht im Gewerbe tätige Frauen ist sie praktisch tabu.

Die Sichtschutzwände sind 1933 unter den Nazis von der damaligen Gauleitung errichtet worden – motiviert von „Doppelmoral und Propaganda“, wie es im Bewilligungsantrag der Bezirksversammlung formuliert ist. Die Herbertstraße sei zum Symbol für die sogenannte Sünde und Schande für die Volksgemeinschaft erklärt worden.

„Für viele Frauen endete die behördliche Zuordnung hinter den Sichtblenden mit dem Tod – im KZ Neuengamme oder KZ Ravensbrück, an den Folgen einer Zwangssterilisierung oder aus Verzweiflung durch die eigene Hand“, schreibt Lebendiges Kulturerbe St. Pauli. Der Messing-Kantstein sei ein Stein des Anstoßes, um dieses Thema sichtbar zu machen, sagt Julia Staron vom Vorstand des Lebendigen Kulturerbes.

Sieghard Wilms, Pastor der St.-Pauli-Kirche, der die Initiative angestoßen hat, wehrt sich gegen den Vorwurf eines Plagiats. „Wir haben die Kriterien der Aktion von Demnig überprüft“, sagt Wilms. Die Initiative habe nie von Stolpersteinen gesprochen, sondern bewusst einen anderen Namen gewählt. Ähnliche Leisten, nicht von Demnig, seien auch andernorts zu finden. Die Initiative habe einen ganz anderen Ansatz als Demnig. „Es ist kein Stolperstein, weil wir dem Forschungsstand, den ein Stolperstein fordert, nicht gerecht werden“, sagt Staron.

Gerade den ungenügenden Forschungsstand findet die Historikerin Frauke Steinhäuser, Mitunterzeichnerin des Offenen Briefes, problematisch. Es sei eben nicht gesichert, dass Frauen aus der Herbertstraße ermordet worden seien, wie es auf dem Messingbordstein heißt. Es sei unglücklich, sie nur auf die Jahre 1933 bis 1945 zu beziehen, schließlich seien Prostituierte auch davor und danach ausgegrenzt worden.

Nicht nur von Sexarbeiterinnen sprechen

Lediglich von Sexarbeiterinnen zu sprechen, sei falsch. „Es waren nicht nur Frauen da“, sagt Steinhäuser. „Mindestens eine Person war nonbinär.“ Nicht beleuchtet werde im Übrigen, was eigentlich die Frauen zu dem Thema zu sagen hätten, die heute dort arbeiteten.

Es ist kein Stolperstein, weil wir dem Forschungssstand, den ein Stolperstein fordert, nicht gerecht werden

Julia Staron, Vorstand des Lebendigen Kulturerbes

Ruby Rebelde, eine Unterzeichnerin des Offenen Briefes, selbst Sex­ar­bei­te­r*in, zeigt sich irritiert über Ort und Format des Kantsteins. Die Herbertstraße sei im NS kein frei gewählter Aufenthaltsort sexarbeitender Menschen gewesen, sondern ist ein Beispiel für deren Kasernierung nicht nur im NS. Vielleicht gäbe es in Hamburg geeignetere ehemalige Bordellstraßen für ein Gedenken. „Ich sehe vor meinem inneren Auge schon Körperflüssigkeiten den Messingbordstein herabrinnen und muss gestehen, dass mich das angesichts des ernsten Themas befremdet“, schreibt sie.

Staron zeigt sich „entsetzt und erbost“ über die aus ihrer Sicht ungewöhnlich persönliche Kritik an ihrer Initiative. Den Vorwurf, nicht kommuniziert zu haben, weist sie zurück. Auf der Messingschwelle würden nur Frauen genannt und nicht Personen, weil sonst die Frauen unsichtbar gemacht worden wären. Würde auf der Leiste auch die Zeit vor und nach dem NS genannt, so bliebe sie mitten auf dem Kiez nicht lange liegen.

Die größte Sorge hat sie angesichts der Herausforderung von rechts. „Ich bin entsetzt, dass eine gute Sache in der Art und Weise attackiert wird in der heutigen Zeit“, sagt Staron. Dabei gebe es gemeinsam so viel wichtigere Kämpfe zu bestehen.

In einer früheren Version des Artikels hieß es über Ruby Rebelde, dass sich sich als Sexarbeiterin bezeichne. Sie ist jedoch Sex­ar­bei­te­r*in.

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2 Kommentare

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  • Ich kann der Kritik nicht so richtig folgen. Ich begrüße, dass nach meinem Kenntnisstand einer Opfergruppe hier gedacht wird, die nach meinem Wissensstand nach 1945 nie entschädigt, nie gewürdigt wurde.



    Und das reiht sich leider in ein Szenario der Roma und Zinti, die 1982 erst so betrachtet wurden.



    Die sogenannten 'Asozialen', darunter liefen dann die Menschen aus dem Milieu, Prostituierte, aber auch Zuhälter und Menschen, die eine eigene, nicht akzeptierte Form der Sexualität leben wollten, wurden verfolgt und getötet.



    Diese Auswahl war zum Teil mit großer Willkür verbunden und zeigt auch, wie brutal und unberechenbar die NS-Diktatur war. Bis heute ist mir nicht bekannt, dass jemand aus dieser Gruppe gewürdigt oder entschädigt wurde.



    Es war eher so, dass die wenigen, die das überlebt haben, froh waren, wenn das nicht rauskam.

    Und die Art eines Gedenksteins oder die Beschaffenheit ist künstlerisch sicherlich bedeutsam, aber es fühlt sich schon ziemlich kleinkarriert u merkwürdig an, was da gesagt wird.

    Wünschenswert wäre tatsächlich ein richtiges Denkmal, zumal St Pauli einiges an Opfern aufgebracht hat.



    PS Bitte nie das Adjektiv asozial verwenden. Es ist übler NS_Sprech.

    • @Andreas_2020:

      "Bitte nie das Adjektiv asozial verwenden. Es ist übler NS_Sprech"



      Gabs auch in der DDR: §249 StGB (DDR)