Stolperstein für „Berufsverbrecher“: Nicht einfach Schwarz und Weiß

Bekannt wurde Willy Brachmann als „der anständige Kapo“. In Hamburg wird er als einer der ersten "Berufsverbrecher" mit einem Stolperstein geehrt.

Eine Rose liegt auf einem Stolperstein

Ein Stolperstein zum Gedenken, nun auch an einen „Berufsverbrecher“ Foto: picture alliance/dpa/Andreas Arnold

HAMBURG taz | „Mir gefiel an der Geschichte, dass es eine schwierige Geschichte ist“, sagt Anna ­Hájková. Sie sei keine Freundin „sentimentalisierender Holocaustgeschichten“, führt die Historikerin aus. Von Geschichten also mit verdächtig eindeutig zuzuweisenden Rollen, mit Schwarz und Weiß und nichts dazwischen.

Um Grautöne aber, um Nuancen geht es, wenn am kommenden Freitag im Hamburger Stadtteil Horn ein Stolperstein verlegt wird: Gewidmet ist er Willy Brachmann, der unter anderem das Konzentrationslager Auschwitz überlebte – eingesperrt als sogenannter Berufsverbrecher.

Ungefähr sechseinhalbtausend Stolpersteine – Stand April – erinnern in Hamburg an die Opfer des Nationalsozialismus, dazu kommen drei „Stolperschwellen“ sowie 20 Kopfsteine, beide verweisen nicht auf Individuen, sondern Gruppen.

Mit Brachmann erhält nun erstmals ein „Berufsverbrecher“ so eine Ehrung – zumindest, wenn man es genau nimmt. Seit Anfang 2020, als der Bundestag beschloss, neben den „Asozialen“ auch die „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer anzuerkennen, wurden hie und da im Land schon Stolpersteine verlegt für Menschen, die dieses Stigma trugen. Bloß: Dazu reichten im „Dritten Reich“ schon wenige Vorstrafen. Und die haben bei den bisher Gewürdigten zu tun mit dem Strafgesetzparagraf 175; der kriminalisierte praktizierte Homosexualität schon seit dem Kaiserreich – und bis weit in die demokratische Nachkriegszeit hinein.

Er trat in die NSDAP ein

Brachmann dagegen wurde eine Reihe Eigentumsdelikte angelastet. Er klaute notorisch, überliefert ist etwa eine Anekdote um ein geklautes Fahrrad, das er einem Parteigenossen verkaufte. Denn das ist so eine Nuance in seiner Vita: 1934 trat er in die NSDAP ein, aus Not und eigentlich ganz banal opportunistischen Motiven. Und hielt später im Lager doch seine schützende Hand über kommunistische Strukturen.

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„Wir wissen nicht wahnsinnig viel über die sogenannten Berufsverbrecher“, sagt Hájková. Das sei gerade „so wichtig an Brachmann: Hier können wir einmal jemanden im Detail zeigen, weil wir wissen, dass er überlebt hat und was er danach gemacht hat.“ Die Historikerin hat mit ihrer Forschung an der Universität im englischen Warwick die Grundlage geliefert für die lokale Stolperstein-Initiative. Fünf Jahre saß der 1982 in Hamburg Verstorbene in Auschwitz, „hat alles gesehen und ist imstande, das zu reflektieren – und Leuten zu helfen“.

In der Forschung sei er recht bekannt als „der anständige Kapo“: Verbrieft sind zwei Mitinsass*innen, denen Brachmann im Juli 1944 das Leben rettete. Der eine, Míša Grünwald, der heute als Frank Grunwald in den USA lebt, hat sich immer wieder dafür ausgesprochen, dass an Willy Brachmann erinnert wird.

Andere an seiner Stelle meldeten sich lieber freiwillig zum Gemetzel an der Ostfront, als im Lager zu leiden – Brachmann blieb. Zu seinen Strategien, um den Terror und den Stress auszuhalten, zählte Hájková zufolge unter anderem beträchtlicher Alkoholkonsum. Und hinter Gittern saß Brachmann auch nach dem Krieg, wieder wegen Diebstahls.

Ein strahlender Held, ein vorbildlich Geläuterter sähe wohl anders aus. „Ich sehe es als Teil meiner Aufgabe, diese Geschichten zu erzählen“, sagt Hájková, die am Freitag selbst in Hamburg dabei sein wird, gerade weil sie unsere „Sicht verkomplizieren.“

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