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Massenunterkunft TegelDas Leiden ist gewollt

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Deutschlands größte Unterkunft für Geflüchtete in Berlin wird erweitert. Dabei sind die Zustände menschenunwürdig und das Lager gehört aufgelöst.

Keine menschenwürdige Unterkunft: Tegel Foto: Sebastian Gollnow/dpa

D er Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, heißt es so schön im Volksmund. Eine Hölle ist das Massenlager für Geflüchtete auf dem ehemaligen Flughafen Tegel allemal. Abgeschottet vom Rest der Stadt, zusammengepfercht in einem Zelt mit 14 fremden Menschen ohne jegliche Privatsphäre oder die Möglichkeit, sich seinen Bedürfnissen entsprechend zu versorgen. Und das ganze für einen Tagessatz, mit dem man ein Zimmer für einen ganzen Monat mieten könnte.

Doch statt die Hölle von Tegel zu schließen und den Schutzsuchenden ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, soll Deutschlands größte Unterkunft für Geflüchtete sogar noch ausgebaut werden. Erst wurden eigene Schulen eingerichtet, damit auch ja keine Integration stattfindet. Nun werden noch mehr Zelte aufgebaut, um noch mehr Menschen auf engstem Raum zusammenzupferchen.

Begründet wird die integrationsfeindliche und inhumane Maßnahme wie so oft mit angeblichen Sachzwängen: Wir haben keinen Platz in Berlin, was sollen wir denn machen, heißt es, oder noch schlimmer: Wenn wir keine Massenlager mit unhaltbaren Zuständen wollen, dürfen wir halt keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen.

Es geht auch würdevoll

Das ist nicht nur perfide, sondern auch Blödsinn. Anders als behauptet, ist eine alternative und würdevolle Flüchtlingspolitik durchaus möglich. Wenn ein Platz im Massenlager genauso viel kostet wie ein hochklassiges Hotelzimmer, kann – und sollte – man die Menschen im Hotel unterbringen. Bloß fürchtet man den Zorn der von rechten Ideologen aufgepeitschten Massen. Als ob es irgendjemandem besser geht, wenn es Schutzsuchenden besonders schlecht geht.

Die dezentrale Unterbringung aller Geflüchteten muss das oberste Ziel sein. Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) weiß das und sagt das auch – die Vorsätze sind also da, bloß scheint das irgendwie niemanden zu interessieren.

Das verwundert. Seit der schwarz-rote Senat an der Macht ist, machen seine Se­na­to­r*in­nen vor allem dadurch von sich reden, dass sie autoritär irgendwelche rückwärtsgewandten Vorhaben durchdrücken: Ein unsinniger Zaun gegen soziale Probleme für mehrere Millionen Euro, gigantische Betonwüsten für Büros oder Autos, Radwegestopps und so weiter.

Doch wenn es um progressive Vorhaben wie eine menschenwürdige Unterbringung geht, ist die Macht der Verantwortlichen auf einmal begrenzt. Als wäre die Stadt eine semipermeable Membran, durch die nur Klientelpolitik ungehindert fließen kann, während soziale Vorhaben für die benachteiligten Menschen auf wundersame Weise aufgehalten werden.

Doch nichts ist daran wundersam. Politik entsteht nicht einfach, sie wird gemacht – oder eben auch nicht. Wenn man von dem Geld, das das Massenlager Tegel kostet, jeden Monat eine gute Unterkunft bauen kann, und das nicht getan wird, dann darf getrost vermutet werden, dass der politische Wille doch nicht so groß ist. Und man lieber Zäune baut, statt Brücken.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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9 Kommentare

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  • Müsste diese Beschwerde nicht an Die Linke als Verantwortliche geschickt werden?

    • @1Pythagoras:

      Erfunden hat dieses Massenlager Katja Kipping im Okt./Nov. 2022 (Linke), verdoppelt hat es Cansel Kisiltepe (SPD).



      Das federführende DRK Sozialwerk Berlin erhält für Unterkunft, "Betreuung", Security und Catering ca 260 Euro/Bett/Nacht.



      Genaue Aufteilung der Kosten, Verträge und Konzept erklären Kipping und Kisiltepe für geheim.

    • @1Pythagoras:

      Die Linke regiert in Berlin seit etwa 1,5 Jahren nicht mehr und plant auch nicht, das Lager in Tegel trotz der dort herrschenden Zustände zu vergrößern. Ihr Vorschlag zielt also ins Leere.

      • @Pflasterstrand:

        Die grundsätzliche Kritik am Lager gab es damals schon, die Begründung ebenfalls. An der Sachlage hat sich nichts geändert. Ungeachtet dessen ist eine derart harte Kritik und die Unterstellung eines Vorsätzen gegenüber dem damaligen Senat nicht dokumentiert. Daher ist der Einwand von 1PYTHAGORAS durchaus berechtigt.

        Alles in allen scheint es nicht so einfach zu sein, wie es die Autorin darstellt. Im Übrigen scheint bei ihr auch eine gewisse Grundablehnung gegen den derzeitigen Senat mitzuschwingen.

  • Letztlich gibt es überall, wo Unterkünfte neu errichtet werden sollen, Gegenwehr. Eine Erweiterung ist also bürokratisch entlastend.

    Nehmen wir den Hotelankauf an der Landsberger Allee:



    Es sollen Plätze für 1200 Menschen entstehen. Wer das ist, das ist unklar. Der Bezirk klagt über einen erheblichen Mangel an Schulplätzen, ärztlicher Versorgung und anderen Einrichtungen. Die zukünftige Unterkunft ist ausschließlich an Tram-Linien angeschlossen, die bereits jetzt gerne mal aus allen Nähten platzen (und auch ich sorge mich, ob ich damit dann noch zur Arbeit fahren kann, wenn da über den Tag vielleicht noch 2400 Fahrten hinzukommen, neben den Neubauprojekten, die in der Umgebung und an diesen Linien Fertigstellung stehen).

    Es ist zwar gut gemeint, die Kinder gleich in reguläre Klassen zu stecken, aber man tut den Kindern was die Karrierechancen betrifft damit nichts gutes. Sie verstehen doch nichts und sind überfordert. Sie brauchen erst Klassen, in denen sie die Sprache in Ruhe erlernen können, damit sie sich überhaupt verständigen können und auch etwas anderes lernen können. Kinder ohne Sprachkenntnisse sind stets in der Hauptschule verrottet, unverschuldet.

  • In Friedrichshain wurde ja ein Hostel in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt. Komischerweise fand das der benachbarte queere Club nicht so toll.

    Ob die Einquartierung von Flüchtlingen in Hotelzimmer sinnvoller ist als in einem Lager, ist eher fraglich. Hotels sind üblicherweise so ausgelegt, dass man sich entweder in seinem Zimmer aufhält oder das Hotel verlässt. Das kann man mal für zwei Wochen machen, aber nicht auf unbestimmte Zeit. Und ob es für die finanzielle Lage der Stadt so sinnvoll ist, auf diese Weise Touristenunterkünfte zu verknappen, ist noch die Frage. Was nützt es, dass Hotelzimmer günstiger sind, wenn durch deren Belegung immer weniger Geld reinkommt, um sie zu bezahlen.

  • "Wenn man von dem Geld, das das Massenlager Tegel kostet, jeden Monat eine gute Unterkunft bauen kann, und ..."

    Genau darin liegt doch das Problem. In den Kosten der hier gescholtenen Unterkunft sind ja nicht nur die Logis enthalten, sondern auch Kost und Schulen. Und wenn das Lager dann geschlossen wird um monatlich dezentrale Anlagen zu errichten, wo sollten die Menschen dann im der Zwischenzeit hin?

    Wenn man also derart kritisch gegen angebliche Sachzwänge argumentiert, dann sollte man auch realistische Gegenvorschläge machen bevor man sich mit Unterstellungen ganz weit aus dem Fenster hängt.

    • @DiMa:

      Schule ist in den Kosten nicht mit drin weil andere Senatsverwaltung.

      Für Notunterkünfte für Geflüchtete und Wohnunglose in festen Häuser zahlt Berlin ca. 25 €/Person/Tag, in TXL aber 260 €/Person/Tag. Das Catering ist nicht der Grund für die hohen Kosten in TXL! Vielmehr wird ein Haufen Personal bezahlt, dem es in TXL aber anders als in anderen Unterkünften verboten ist, den Menschen dort zu helfen.

      • @stadtlandmensch:

        Das verläuft sich doch in Detailfragen und ist nicht sachdienlich.

        Die entscheidende Frage ist doch, wo sollen die Menschen hin, wenn das Land wie vorgeschlagen Tegel schließt um mit den frei werdenden Kosten statt dessen "jeden Monat eine gute Unterkunft baut".

        Nicht auszudenken, was passiert, wenn weiterhin Menschen nach Berlin kommen. Und was passiert, wenn sich der Bau der neuen Unterkünfte verzögern sollte (das soll in Berlin ab und an schon mal vorkommen).