Braunschweiger Lichtparcours: Im Einklang mit den Fledermäusen
Mit 13 Lichtinstallationen entlang der Oker setzt sich Braunschweig den Sommer über in Szene. Angeboten werden diverse Bootsfahrten in der Dunkelheit.
Zum sechsten Mal gibt es gerade einen Lichtparcours in Braunschweig. Dieses sommerliche Kunstformat wurde als inoffizielles Begleitprogramm zur Hannoverschen Expo 2000 vom Braunschweiger Kulturdezernat ersonnen.
Der Lichtparcours verwandelte unscheinbare oder schwer zugängliche Situationen entlang der Okerumflut, zwei Wasserläufen um die Kernstadt, in atmosphärische Räume zwischen Gartenlandschaft und städtischer Struktur. 500.000 Besucher zählte man damals. Ein reiner Kunstparcours 2004 floppte. Die nächsten, wieder illuminiert, erfreuten sich selbst unter den Corona-Restriktionen 2020 großer Beliebtheit.
Der diesjährige ist der letzte unter der Ägide von Kulturdezernentin Anja Hesse, die als Abschied in ihren Ruhestand aber nicht einfach nur eine Neuauflage bieten wollte. Denn die Weltlage hat sich seit 2000 verändert. Die nahen Kriege in Gaza und der Ukraine, aber auch das Bewusstsein für die globalen Klimafolgen unseres Konsumverhaltens dämpfen Kunst und auch Eventkultur.
Beim Thema künstliches Licht im öffentlichen Raum fällt zudem schnell das vernichtende Urteil: umweltzerstörerische Lichtverschmutzung! Mittlerweile weiß wohl jede:r um den Zusammenhang von Insekten-, Vogel- oder anderem Artensterben und exzessiver Illumination unserer Städte.
Lichtparcours 2024 Braunschweig: bis 6. 10. Infos zu Führungen und Programm: lichtparcours.de
Anja Hesse ließ also nachjustieren, forderte von den vor gut einem Jahr eingeladenen Lichtkünstler:innen, Aspekte der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz zu reflektieren. Ein beauftragtes Gutachten zum nächtlichen Beuteverhalten von Fledermäusen wahrte auch die Interessen dieser geschützten Spezies. Und klar, der Lichtparcours wird mit Ökostrom betrieben, wenngleich die Gesamtbilanz noch nicht klimaneutral ausfällt, bedauert Hesse.
Mit 13 temporären Lichtinstallationen wirkt der Sommerspaß etwas bescheidener als einige Vorläufer. Ein Besuch zu Wasser liegt nahe, per Kanu oder Paddelboot oder mit kommerziell angebotenen Kahn- oder Floßtouren. Die Resultate erweisen sich als künstlerisch durchwachsen: Verkehrsampeln mit falscher Farbkodierung über Wasser, die rote Leuchtschrift an einem Brückenkopf – generell viel Rotlicht. Ein Park ist komplett damit geflutet, mit grauen Beobachtungsboxen mittendrin, an anderer Stelle empfängt eine Hommage ans lokale Rotlichtviertel.
Aber es gibt auch Bemerkenswertes. Auch bei Tageslicht ansehnlich sind die drei übergroßen Meisen von Jens Pecho, die ihren Revierkampf ausgerechnet am Obelisken zu Ehren zweier, in den anti-napoleonischen Befreiungskriegen gefallener Herzöge austragen.
Oder der Verweis auf die nie versiegende Kraft der Sonne als großer, runder Scheibe, die Jacqueline Hen ins Ufergebüsch des Botanischen Gartens setzt. Ihr goldenes Schuppenkleid, im Wind flimmernd beweglich, umfasst des Abends ein leuchtender Ring. Der Titel „One’s sunset is another one’s sunrise“, also des Einen Sonnenauf- ist des Anderen -untergang persifliert Allmachtsphantasien historischer Sonnenkönige.
Die Unterwelt der Steintorbrücke verwandelt die gebürtige Braunschweigerin Christine Schulz in einen magischen Raum aus Lichtreflexen, Spieglungen von Architektur und Ufervegetation sowie dem zarten Klang eines herabfallenden Wassertropfens.
Zivilisatorische Botschaften im Lichtgeflecht
Festlicher Höhepunkt des gesamten Parcours sind zweifellos die „Luminarie“ der Italienerin Marinella Senatore vor der historischen Fassade des alten Bahnhofs, mittlerweile Landessparkasse. Sie spielen mit der apulischen Tradition dekorativer Lichtinstallationen zu Feiertagen. Ihre filigranen weißen Gestelle, Parature geheißen, sind mit Unmengen kleiner Lichter besetzt, heute als LED-Lampen unterschiedlicher Farben.
Senatore webt zivilisatorische Botschaften ins Lichtgeflecht: Freiheit herrscht nicht. Sie stiehlt so dem vermeintlichen Highlight des diesjährigen Lichtparcours die Schau, dem zwölf Meter großen Mond aus Plastikabfall des spanischen Kollektivs Luzinterruptus. In der Visualisierung der letztjährigen Entwurfspräsentation so beeindruckend, geriet die Umsetzung in ein schlappes Oval mit konstruktiv bedingten vier Beinchen, hilflos an einem Kranhaken baumelnd.
Denn auch das gehört mittlerweile zum Lichtparcours: wer wollte, konnte über die langen Jahre eigene Beurteilungsmaßstäbe schärfen, hat unübertroffene Lieblinge in Erinnerung, vermisst Künstler:innen, die nie zum Zuge kamen, oder auch Favoriten unter den Vorschlägen, die unrealisiert blieben – etwa die minimalistische Projektion einer schillernden Öllache auf das trübe Okergewässer.
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