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Theaterstück zu Hotels der DDRErinnerung und Aufruhr

Das Eisenbahntheaterprojekt „Hotel Einheit“ erzählt von Edelhotels der DDR. Es befördert auch eine Wiederbelebung der oft verfallenen Objekte.

Waltraud Auer spielte eine der Hotelangestellten im Stück Foto: Das Letzte Kleinod

EISENHÜTTENSTADT taz | Der Ort ist ungewöhnlich für ein Theater. Man verlässt Eisenhüttenstadt über die Bundesstraße B 112 und biegt durch ein großes Tor ins ehemalige Stahlwek EKO ein. Durchhalteparolen der Stahlkocher sind noch am Eingang zu sehen. Immerhin 2.700 Beschäftigte sind dort vom Nachfolgeunternehmen ArcelorMittal weiterhin beschäftigt.

Auf den Gleisanlagen des Stahlwerks sind unter einem gewaltigen Kran die 15 Waggons des Theaterzugs der Gruppe „Das Letzte Kleinod“ platziert. Seit mehr als 20 Jahren betreibt diese das seltene Genre Eisenbahntheater. Die Waggons sind gleichzeitig Bühne, Theaterwerkstatt, Küche und Wohnraum für die Künstler*innen.

Nach Eisenhüttenstadt sind sie mit einem Stück Heimatgeschichte gekommen. „Hotel Einheit“ berichtet vom Leben und Arbeiten in den einstigen Vorzeigehotels der DDR, die nach der Wende meist ein trauriges Dasein fristeten. Das Hotel Stadt Frankfurt in Frankfurt (Oder) wurde beispielsweise komplett abgerissen. Das Hotel Lunik in Eisenhüttenstadt steht zwar noch. Es verwahrloste in den vergangenen 20 Jahren aber komplett.

Das Schicksal des einstigen Musterhotels in der sozialistischen Modellstadt Stalinstadt löste auch das erste Interesse von Kleinod-Gründer Jens-Erwin Siemssen aus. „Es war ein taz-Artikel, der mich darauf aufmerksam machte“, erzählt er lachend auf dem Gleisgelände des Stahlwerks.

Norddeutsche Verbindung

Im Artikel ging es um den Klinikunternehmer Ulrich Marseille, der das Hotel Lunik 2006 im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben hatte. Marseille stammt aus Bremerhaven, „Das Letzte Kleinod“ hat seinen Heimatbahnhof in Geestenseth bei Bremerhaven. Das ist die norddeutsche Verbindung.

Unter Marseilles Ägide verrottete das Haus weiter. Einwohner*innen, die sich an glückliche Zeiten in dem einst ersten Haus der Stadt erinnerten, waren empört. Ein offener Brief einer resoluten Rentnerin brachte dann die Dinge ins Rollen. Erst berichteten Medien darüber. Später erwarb die Stadt das Objekt.

Und Siemssen kletterte just in der Phase des Besitzerwechsels ins ruinöse, aber immer noch großen Charme ausstrahlende Haus. Dass er dort etwas machen wollte, war ihm schnell klar. Im Frühjahr 2024 hatte „Hotel Lunik“ Premiere, ein Recherchetheaterstück über das Hotel im Hotel selbst. Für das neue Projekt „Hotel Einheit“ erweiterte Siemssen die Recherche auf andere ehemalige Vorzeigehotels im Osten.

Sechs Dar­stel­le­r*in­nen erzählen vor allem aus der Perspektive der Angestellten. Margarita Wiesner berichtet vom Drill, dem sich Servierkräfte unterziehen mussten, um Suppenteller ungefährdet an Tischen und Stühlen vorbei zum Bestimmungsort zu balancieren. Richard Gonlag errichtet als Küchenchef noch einmal das fast militärisch anmutende Regime zwischen den Kesseln. Schnippeln, schweigen und sich vom Chef anschnauzen lassen waren die vornehmlichen Betätigungen.

Schicksal einer Kellnerin

Kristina Günther führt in der anfangs intim wirkenden, später ins Bedrückende umschlagenden Atmosphäre eines abgeschlossenen Güterwaggons in das Schicksal einer Kellnerin ein, die sich in einen Mann aus dem Westen verliebte und von ihm ein Kind bekam.

Das Theaterstück

„Hotel Einheit“: Das Letzte Kleinod, nächste Vorstellungen:

8.-11. August: Frankfurt (Oder), Güterbahnhof

13./14. August: Fürstenwalde Bahnhof

17./18. August: Salzwedel Bahnhof

Tickets und Infos

Sie verschwieg den Namen des Kindsvaters aber und zog ihren Sohn allein auf. Der musste sich als „West-Bastard“ beschimpfen lassen. Auch sie musste Repressalien erdulden. Und nach der Wende konnte sie in den Stasiunterlagen nachlesen, wie dicht das Spitzelnetz um sie geknüpft war.

Eine komplett andere Sichtweise auf das Hotel Lunik hatten Emigranten aus Chile. In einem Güterwaggon, dessen Wände sich bedrohlich auf das Publikum zuschieben, erzählt Manuel Jadue von Folterungen chilenischer Kommunisten zu Zeiten des Pinochet-Regimes. Einige der Verfolgten konnten aus dem Land fliehen und landeten in der DDR. Erste Station: Hotel Lunik. Die Stasimitarbeiter, die sich um die Chilenen kümmerten, bezeichnet Jadue in seiner Rolle als Kümmerer, ja als „eine Art Sozialarbeiter“.

Weitere Auftritte des Eisenbahnzugs sind bis Mitte September in acht unterschiedlichen Stationen geplant. In Eisenhüttenstadt führten die Zeitzeugeninterviews für das Projekt bereits zu regelmäßigen Gesprächsrunden im Hotel Lunik, das die Stadt Schritt für Schritt wieder beleben möchte. Offene Briefe, Medieninteresse und Theaterarbeit können also etwas bewirken.

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