piwik no script img

Stark-Watzinger unter DruckHat die Ministerin gelogen?

In der „Fördergeld-Affäre“ drängt die Opposition auf Aufklärung. For­sche­r:in­nen sorgen sich um die Zukunft.

Bettina Stark-Watzinger (FDP): Union schickt in Fördergeld-Affäre 100 Fragen an Regierung Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Es gibt sie noch, die erbaulichen Termine für Bettina Stark-Watzinger. Diese Woche besucht die Bundesbildungsministerin Schulen in Brandenburg und Bayern, die für das „Startchancenprogramm“ ausgewählt worden sind und ab dem kommenden Schuljahr zusätzliche Gelder und Stellen erhalten.

Ein Verdienst, das zu einem hohen Anteil der FDP-Ministerin anzurechnen ist. Doch mit so viel Wohlwollen wie in Hohen Neuendorf, Neubrandenburg oder Aschaffenburg kann Stark-Watzinger aktuell fast nirgendwo mehr rechnen.

Seit Wochen steht Stark-Watzinger im Verdacht, die Öffentlichkeit in der sogenannten Fördergeld-Affäre belogen zu haben. Bis heute beteuert die Ministerin, von den umstrittenen Vorgängen in ihrem Haus erst nach einem Pressebericht am 11. Juni erfahren zu haben. Mit der Absetzung ihrer Staatssekretärin Sabine Döring am 16. Juni hält Stark-Watzinger die Sache offenbar für beendet. Doch mit jeder weiteren Woche mehren sich die Zweifel an der Darstellung der Ministerin.

So belegen Chatprotokolle aus ihrem Haus, die der Spiegel vergangene Woche veröffentlicht hat, wie früh intern über mögliche Konsequenzen für For­sche­r:in­nen gesprochen wurde, die in einem offenen Brief die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin kritisiert hatten – und zwar bevor die damalige Staatssekretärin angeblich ohne Mitwissen Stark-Watzingers förderrechtliche Sanktionen prüfen ließ.

Keine Aufarbeitung

Pikant dabei: Ausgerechnet der Mitarbeiter, den Stark-Watzinger nun zum neuen Staatssekretär machen möchte, begrüßte demnach, dass sich For­sche­r:in­nen aus Sorge um Fördergelder selbst zensieren könnten. Sollte sich dieser Eindruck bestätigen, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Oliver Kaczmarek der taz, wäre er „für das Amt des Staatssekretärs nicht geeignet“.

Für Unmut sorgt vor allem die mangelnde Aufklärungsbereitschaft von Stark-Watzinger. So ist mittlerweile zwar bekannt, dass die Pressestelle im BMBF bereits am 10. Mai – zwei Tage nach Erscheinen des öffentlichen Briefes – eine Liste aller Un­ter­zeich­ne­r:in­nen erstellen ließ, die BMBF-Gelder erhalten. Doch auch davon will Stark-Watzinger nichts gewusst haben. Im Bildungsausschuss des Bundestages wich die Ministerin der Frage aus, wer die Liste in Auftrag gegeben hat. „Die Mehrheit der Fragen“ sei bis heute nicht beantwortet, kritisiert Thomas Jarzombek von der CDU.

Die Opposition drängt auf weitere Aufklärung: Sowohl Linkspartei als auch die CDU/CSU-Fraktion haben eine kleine Anfrage zur „Fördergeld-Affäre“ gestellt; die der Union umfasst ganze 100 Fragen. Darin geht es auch um die Frage der „ordnungsgemäßen Aktenführung“.

Die Ministeriumsspitze nämlich nutzt zum internen Austausch den Chatdienst „Wire“ – in den Akten zur „Fördergeld-Affäre“, die das BMBF auf Antrag der Plattform „Frag den Staat“ öffentlich machen musste, fehlt diese Kommunikation jedoch. Von einer „eklatanten Missachtung der Transparenzpflichten“ spricht Projektleiter Arne Semsrott gegenüber der taz: „Uns wurden offenbar absichtlich Informationen vorenthalten.“

For­sche­r:in­nen in Sorge

Die stockende Aufarbeitung beobachtet die Wissenschaftscommunity mit Sorge. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (KMK) sagt auf Anfrage der taz, dass es nach der „klaren Grenzüberschreitung“ jetzt darauf ankomme, „seitens des BMBF und seiner Leitung künftig keinerlei Zweifel daran aufkommen zu lassen“, dass „wissenschaftsbezogene Förderentscheidungen hierzulande allein wissenschaftsgeleitet getroffen werden“.

Ähnlich formuliert es auch der SPD-Politiker Kaczmarek: An dem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit hänge die Glaubwürdigkeit des Forschungsministeriums. „Angesichts des festzustellenden Vertrauensverlustes ist es umso unverständlicher, warum das BMBF nicht weiter aufklärt“, so Kaczmarek.

Auch der Grüne Kai Gehring fordert, „dass die gesamte BMBF-Hausspitze zweifelsfrei und glasklar zur Wissenschaftsfreiheit steht und den schwerwiegenden Vorgang intern aufarbeitet, damit derart problematische Vorkommnisse künftig ausgeschlossen werden können“.

Der Berliner Staatsrechtler Clemens Arzt ist skeptisch, ob sich der Schaden wieder ganz reparieren lässt. „Als Wis­sen­schaft­le­r muss ich nun damit rechnen, dass es jederzeit wieder zu so einer Prüfung kommt“, so Arzt. Diese Unsicherheit habe dramatische Folgen, so Arzt: „Künftig werden sich Wis­sen­schaft­le­r:in­nen dreimal fragen, ob sie sich zu bestimmten Themen öffentlich äußern.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Eigentlich hat der Bund in dem Politikfeld ohnehin kaum etwas zu sagen. Anders als bei der m.E. fachlich außerordentlich fitten Schavan muss ich auch bei StaWatzi sagen, dass wenig Einfluss auch gut ist. Hier musste womöglich eine Nicht-NRW-Frau als Gegengewicht zu den NRW-Männern auf den wichtigen FDP-Positionen hin, ob sie überfordert war/ist oder nicht.

    Wer ansonsten als zeitungslesender Mensch mit Abitur



    Kritik an völkerrechtswidriger Besatzung,



    Kritik an Israel und



    Antisemitismus gegen Juden oder das Judentum nicht jeweils auseinanderhalten kann, sollte vielleicht nicht in der Öffentlichkeit stehen wollen,

    Und die Grundregel bei Politik ist: das gewählte Parlament lügt man nie an, läuft zur Not nachts noch mal hin, um Dinge zu korrigieren.



    Übernimmt übrigens auch eher selbst die Verantwortung, als geschwind eine Staatssekretärin über die Klinge zu schicken (außer, die putscht).







    Auf die Klärung gespannt.

  • Zitat:



    „Künftig werden sich Wis­sen­schaft­le­r:in­nen dreimal fragen, ob sie sich zu bestimmten Themen öffentlich äußern.“

    Na prima, dann haben sie mehr Zeit zum Lehren und Forschen.

    • @Puky:

      Oder man sucht sich ein anderes, offenes Land, während Deutschland weiter mehrere Rollen rückwärts macht.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Dieses muss jedoch mit Verantwortung, mit menschlicher Rücksichtnahme und mit ethischen Grundsätzen einhergehen. Antiisraelische Hetze. Judenfeindliche Symbolik und illegale Hausbesetzung stehen allerdings im Widerspruch zu diesen Prinzipien.

    Während meistenteils verbeamtete Forscher in ihren Elfenbeintürmen an woken Wunschträumen basteln und die Opferinszenierung pflegen, fragen sich viele Steuerzahler: „Muss ich für deren Spinnereien und Social Experiments auch noch aufkommen?“

    Offenbar haben die beteiligten Wissenschaftler nichts verbrochen, ihre freie Meinungsäußerung ist zu Recht geschützt. Wenn sie aber in einem offenen Brief ihre Unterstützung für eine politische Bewegung bekunden, die zumindest teils in Wort und Tat die demokratische Grundordnung bedroht, sollten sie nicht mit einer öffentlichen Stütze rechen dürfen. Deshalb finde ich das Ausloten des Diskretionsrahmen nicht repressiv, sondern verantwortungsvoll.

    Sollte es sich ungeachtet dessen herausstellen, dass Verantwortliche gelogen oder sich ein Bauernopfer ausgesucht haben, wäre Derartiges nicht zu rechtfertigen.

    • @Michaela Dudley:

      "Während meistenteils verbeamtete Forscher in ihren Elfenbeintürmen an woken Wunschträumen basteln und die Opferinszenierung pflegen" - was sie da schreiben, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was man vielleicht in den Kommentaren bei compact lesen würde. Ich bin ehrlich schockiert, Sätze mit so vielen reaktionären Dogwhistles von einer taz-Autorin zu hören.

    • @Michaela Dudley:

      Was Sie als verantwortungsvoll betrachten ist zum Glück in diesem Fall bedeutungslos, dafür gibt es klare Regeln und Grenzen und diese wurden nicht eingehalten. Ich persönlich finde den Brief verantwortungsvoll, keinesfalls war er antisemitisch oder hat - und da wird es wirklich lächerlich - "die demokratische Grundordnung bedroht"!

    • @Michaela Dudley:

      Wieder einmal genau den Punkt getroffen. Danke!

    • @Michaela Dudley:

      Die Forscher*innen haben sich gegen den, nach ihrer Wahrnehmung, vorschnellen Polizeieinsatz auf dem Campus geäußert.



      Ihnen damit Unterstützung für (vermeintlich) FDGO feindliche Bewegungen zu unterstellen ist wohl sehr hoch gegriffen.

      Abgesehen davon ist Bestrafung egal ob gerechtfertigt und angemessen, oder ungerechtfertigt und unangemessen immer repressiv.

  • Liberal geht anders.Das ist der Zeitgeist, man will die Wissenschaft einhegen.

    • @Ansgar Reb:

      Das ist Liberalität Marke FDP. Stark-Watzinger ist auch nur ein Symptom, mehr nicht. Das sieht man ja an solchen Nachrückern wie Roland Philippi. Die haben halt offenbar keine anderen.