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Diskriminierung im AlltagErklären statt googeln

Personen aus marginalisierten Gruppen werden manchmal übergriffige Fragen gestellt. Am besten ist, sie direkt zu konfrontieren, findet unsere Autorin.

Auch schwule Paare sind immer wieder mit Diskriminierungsfragen konfrontiert Foto: Ingo Otto/imago

L euten zu sagen, sie sollen etwas googeln, war noch nie eine gute Idee. Das habe ich schon gesagt. Meistens aus ehrlicher Müdigkeit. Manchmal – das muss ich zugeben – weil ich dachte, das sei ein politisches Statement.

Damit bin ich nicht allein: „Googel das mal“ oder übersetzt „Find’s selbst heraus“ ist eine Standardantwort, die häufig von Betroffenen gegeben wird, um klarzumachen, dass sie nicht die Auskunftsstelle für Diskriminierungsfragen sind.

Für jede marginalisierte Gruppe gibt es wohl mindestens eine diskriminierende Standardfrage

Ich finde es wichtig zu verstehen, woher die Haltung kommt: Manche Fragen sind ignorant und respektlos, oder grenzüberschreitend. Keine Person of Color muss auf „Wo kommst du her – wo kommst du wirklich her?“ freundlich Auskunft geben. Selbstverständlich ist es eine Unverschämtheit, trans Personen zu fragen, ob sie operiert seien.

Genauso ist es übergriffig, behinderte Menschen nach ihren Diagnosen zu fragen oder eine Muslima, ob die Familie sie zwingt, ein Kopftuch zu tragen. Es gibt Leute, die schwule Paare fragen, wer von ihnen denn der Mann und wer die Frau in der Beziehung sei. (Wo doch offensichtlich beide Männer sind. Das ist, würde ich als Laie sagen, das Konzept von Homosexualität.)

Für jede marginalisierte Gruppe gibt es wohl mindestens eine diskriminierende Standardfrage. Darüber, was an dieser Frage unangemessen ist, hat die jeweilige Community in der Regel schon x-mal aufgeklärt.

Wahrscheinlich ist die Frage Teil von so vielen Community-Stand-up-Sets, dass Betroffene nur noch mit den Augen rollen, wenn sie mal wieder auf einer Bühne für Lacher wiederholt wird. Der Witz ist alt. Und dann, plötzlich, wird einem die Frage wieder ganz ernst ins Gesicht geworfen und man ist so perplex, dass einem die ganzen schlagfertigen Antworten aus den Bühnenprogrammen nicht mehr einfallen.

Nachhaken statt aufgeben

Jede einzelne dieser Fragen entstand aus einer vorausgehenden Annahme, einem Vorurteil. Sie sind intim und übergriffig. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass viele nicht mehr erklären wollen – und zwar nichts, was mit ihrer Identität und Diskriminierungserfahrungen zu tun hat.

Doch es gibt auch andere Fragen, die gestellt und beantwortet werden müssen, um weiterzukommen. Wir sollten uns die Mühe machen, die Unterschiede zu erkennen. Ich nehme mir wieder mehr Zeit, Dinge zu erklären und höfliche, aufrichtige Fragen zu beantworten oder einen Literaturtipp zu geben.

Ich habe auch viel gelernt und verstanden, weil sich jemand die Zeit genommen hat, es mir zu erklären. Wenn ich auf die Nachfrage, warum etwas rassistisch sei, mit „googel das mal“ antworte, kann es im schlimmsten Fall passieren, dass die Person das macht. Sie wird die Antworten finden, die ihr am besten passen.

Ich war mal im Gespräch mit einer weißen Mutter, deren weißes Kind sich immer wieder rassistisch gegenüber Schwarzen Kids im Kindergarten äußerte. Nachdem ich eine Weile nichts von ihr gehört hatte, habe ich nachgehakt.

Sie meinte, sie hätte mich als Schwarze Frau nicht weiter belästigen wollen, hat gegoogelt und – oh Wunder – rausgefunden, das Verhalten ihres Kindes sei „vollkommen natürlich“. Die Seite wäre zwar esoterisch, aber das „ergebe doch Sinn“. Ich wünschte, sie hätte mich weiter damit belästigt und nicht eine Suchmaschine bemüht.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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8 Kommentare

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  • Wenn Fragen tabuisiert werden, bedeutet es nicht, dass dies zu besseren Antworten führt.

  • Das Schöne am Konzept der Übergriffigkeit ist ja, dass dieses jeder selbst definieren kann, man also zuweilen gar nicht wissen kann, wie und womit man mal wieder eine Grenze überschritten hat.



    Das Verpönte an der Frage nach der Herkunft habe ich nie verstanden (wobei ja der Ton die Musik macht), es war bei mir immer motiviert aus Faszination am 'Anderen'.



    Inzwischen halte ich mich aber an die Maxime "si tacuisses...", dann passiert auch nix 'Übergriffiges...

  • Ja, die Frage nach der Frau in der schwulen Beziehung gibt es immer noch. Hatte ich grade vor zwei Wochen im Zug auf dem Heimweg vom CSD Esslingen, gestellt von 3 oder 4 Jungs die grade mit viel Mühe den ersten Flaum versucht haben als Oberlippenbart durchgehen zu lassen. Und auf das "keiner ist die 'Frau'" kam dann die technische Nachfrage - nicht ausformuliert sondern mit deutlicher Handbewegung. Auch die Antwort haben sie bekommen, wobei das "warum sollte man sich da festlegen?" sie wohl auf dem falschen Fuß erwischt hat und ihnen gedämmert ist dass da keine Provokation möglich ist. In dem Fall war Ehrlichkeit wohl entwaffnend. Bin mir aber nicht sicher ob ich das in einer dunklen Gasse genauso durchgezogen hätte wie in einem vollen Zug....

  • Der entscheidende Punkt bei Fragen ist wohl, ob ein aufrichtiges Interesse am gefragten Menschen und der Antwort besteht - mit dem Ziel, mehr zu wissen und sein Weltbild anders zusammenzupuzzlen als es bis gerade eben war - und selbstverständlich der Kontext, in dem ich Fragen stelle.

    Schade, dass die weiße Mutter im Text eher nix neu puzzlen wollte, sondern bloß ihre Weltsicht mit den Stempel "alles im Lot"



    versehen wollte.

  • Menschen halt. Die kriegt man nicht so leicht geändert wie aktuell die Welt untergeht.

  • Vielleicht hat der Unterschied zwischen Zeit nehmen und aufs Googeln verweisen auch mehr mit der Fragestellerin zu tun als mit der Frage selbst?



    Manchmal ist es ja so, dass die Fragenden die schlagfertigen Antworten der Community nicht kennen und noch Hoffnung besteht, dass irgendeine Antwort aus Sicht einer diskriminierten Person ein Umdenken bewirkt (gerade bei Kindern).



    Ich habe gerade überlegt, und ich kenne in meiner speckgürteligen Umgebung unter all denen, mit denen ich persönliche Themen irgendwie ansprechen könnte (ich meine aber auch, Taktgefühl zu haben), keine Trans-Person, keine Kopftuch tragende Muslima (und ich kenne einige, auch gläubige, Türkinnen, Kurdinnen etc.), auch keine PoC, die ich explizit als solche lese (das sehen manche Rassist:innen aber vielleicht anders ...) Insofern kenne ich deren Antworten jedenfalls nicht.



    Da ich aber das Privileg habe, dass die Eigenschaften, die bei mir zu Nachfragen anregen könnten, nicht offensichtlich sind, kann ich mir natürlich leisten, mir dann auch die Zeit zum Erklären zu nehmen: z.B. „Nein, ich habe keine Angst vor Vitamin-B12-Mangel, wenn ich kein Fleisch esse.“

  • Google ist eben keine neutrale Suchmaschine. Google findet die Antwort die zu meiner Blase passt (und/oder bezahlt wurde).

  • Danke für die Geduld.



    Ansonsten Standardantworten als Zettel im Portemonnaie tragen und zwinkernd überreichen.