Erfolg migrantischer Arbeiterkinder: Dein Kind ist kein Gastarbeiterkind
Einige heute erfolgreiche PoC hatten es einst schwer. Ihre Kinder haben es einfacher. Zeit für einen Privilegien-Check, findet unsere Kolumnistin.
V iele meiner Freund*innen oder langjährigen Kolleg*innen haben Kinder und ich liebe es, sie aufwachsen zu sehen und bei den wichtigen Ereignissen dabei zu sein: Geburtstage, Einschulung, Schultheateraufführung. Ich feuere sie auf dem Weg durchs Leben an.
Wenn Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, fühle ich so eine sentimentale Wärme. Ob ich will oder nicht. Wenn eines dieser Kinder auf der Bühne steht, eine kleine Filmrolle hat oder sich für Theaterwissenschaften einschreibt, spüre ich so eine Art Sekundärstolz und selbstverständlich biete ich meine Unterstützung an. Wir sind ja fast Familie und ich kenn’ mich aus.
Aber bis zu welchem Punkt ist das angemessen? Wie lange feiert man die Erfolge solcher Kinder und ab wann ist der richtige Zeitpunkt, einfach nur mit den Augen zu rollen und ihnen zu sagen, was sie sind: Nepo-Babies. Privilegierte Nepo-Babies, die einen riesigen Vorsprung im Leben haben, weil ihre Eltern ihnen alle möglichen Türen aufgestoßen haben.
Ich bin auf der Seite dieser Kinder, denn ich bin auf der Seite ihrer Eltern. Deren Kämpfe brachten ihnen Titel ein, die niemand haben will, die aber doch von Bedeutung sind: Sie waren das einzige Arbeiterkind, die erste Schwarze, die erste Muslima, der einzige Geflüchtete, die erste Person of Color, die dieses Elite-Stipendium erhalten, jenen Literatur- oder Theaterpreis gewonnen oder diesen Chefposten in einer Kulturinstitution erreicht haben.
Sie sind als Marginalisierte und Außenseiter*innen gestartet, hatten weniger finanzielle Unterstützung, haben für ihre Eltern übersetzt oder konnten nicht in die Theater-AG, weil sie auf ihre Geschwister aufgepasst haben. Ihr kennt all diese Geschichten, denn sie haben Bücher darüber geschrieben und Filme gemacht.
Deine Tochter ist keine von uns
Im Kampf gegen Diskriminierung, für Inklusion und Chancengleichheit betonen wir oft, dass wir das für nachfolgende Generationen machen. Glasdecken, Barrieren und Hürden sollen eingerissen werden, damit unsere Kinder es einmal besser haben. „Unsere Kinder“ hieß damals, als wir in unseren Zwanzigern waren noch, zukünftige junge Leute of Color, oder jüngere Menschen mit Diskriminierungserfahrungen. Jetzt sind da tatsächlich eigene Kinder.
Wenn eins davon direkt auf einer staatlichen Schauspielschule angenommen wird, nachdem der Mutter das verwehrt blieb und sie sich ewig durch Klischeerollen in Vorabendserien gequält hat, um endlich Anspruchsvolles für gute Gagen spielen zu können, nehmen wir das gern als politischen Erfolg.
Denn es gibt gesellschaftliche Fortschritte, die dazu führen, dass für Kinder wie uns heute alles ein kleines bisschen zugänglicher wäre. Die Sache ist: Deine Tochter ist keine von uns. Sie ist die Tochter einer Regisseurin und eines Autors. Dass ihr Berufseinstieg so unkompliziert verläuft, hat wenig mit politischen Veränderungen zu tun, sondern mehr damit, wer ihre Eltern sind.
Ja, du kannst stolz sein, dass dein Kind einen Job an diesem renommierten Theater hat und es ist super, wenn da mehr PoC arbeiten, aber du bist nicht nur Türke, sondern auch Dramaturg und dein Kind ist kein Gastarbeiterkind.
Dass es dort arbeitet, heißt nicht, dass es migrantische Arbeiterkinder jetzt leichter haben. Es heißt, dass du erfolgreich bist und deinem Kind einen guten Start ermöglicht hast. Früher haben wir über solche Leute gelästert. Lasst uns bitte wieder damit anfangen, sobald sie aus dem Haus sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen