piwik no script img

Labour-Partei in GroßbritannienLinker Aufstand gegen Starmer

Sieben Labour-Abgeordnete fliegen aus der Fraktion, weil sie gegen die Regierung stimmten. Die Linke außerhalb Labours ist begeistert.

Nun Hinterbänkler: Jeremy Corbyn und Rebecca Long-Bailey Foto: reuters

BERLIN taz | Großbritanniens neuer Premierminister Keir Starmer hat die erste parlamentarische Revolte in seiner Labour-Partei seit der Regierungsübernahme mit unüblich harten Mitteln niedergeschlagen. Am späten Dienstagabend suspendierte Starmer sieben Abgeordnete aus der Labour-Fraktion im Unterhaus. Sie hatten dafür gestimmt, die geltende Deckelung der Kindergrundsicherung auf zwei Kinder aufzuheben.

In Großbritannien ist seit 2017 der Bezug von Kindergrundsicherung im Rahmen von Sozialhilfe sowie die Inanspruchnahme von Kinderfreibeträgen auf zwei Kinder begrenzt. Die Regierung spart damit umgerechnet vier Milliarden Euro im Jahr.

Nicht betroffen ist das wöchentlich ausgezahlte Kindergeld. Sozialhilfeverbände fordern dennoch die Rücknahme der Deckelung als Maßnahme gegen Kinderarmut. Jahrelang tat das auch die Labour-Opposition – im Wahlkampf 2024 ließ Labour diese Forderung jedoch fallen, zum Ärger des linken Parteiflügels.

Die oppositionelle SNP (Schottische Nationalpartei) sah in diesem Thema nun einen Hebel, um die neue Regierung vorzuführen. In der üblicherweise rein symbolischen Parlamentsabstimmung zur Billigung der königlichen Regierungserklärung von vergangener Woche brachte sie einen Änderungsantrag ein, wonach die Regierung auch die Kinderdeckelung aufheben möge.

Der SNP-Antrag scheiterte mit 103 zu 363 Stimmen – aber Labour hat im 650-köpfigen Unterhaus 411 Abgeordnete, und unter den 103 Ja-Stimmen kamen sieben aus der Labour-Fraktion.

Fraktionszugehörigkeit für ein halbes Jahr verloren

Sie alle verlieren nun für sechs Monate den Fraktionsstatus und müssen als Fraktionslose auf den hinteren Bänken Platz nehmen, neben Gleichgesinnten wie Jeremy Corbyn. Zu den sieben gehören Corbyns ehemalige rechte Hand John McDonnell und die 2020 beim Kampf um Corbyns Nachfolge gegen Starmer unterlegene Rebecca Long-Bailey.

Die harte Maßnahme überrascht, denn Abweichlern im Parlament droht normalerweise nur dann der Rauswurf, wenn mit der Abstimmung die Vertrauensfrage verknüpft ist. Das war hier nicht der Fall. Als 2019 der konservative Premierminister Boris Johnson im Streit um den Brexit eine Reihe von Parteikollegen aus der Fraktion warf, gab es einen Aufschrei und man warf Johnson diktatorisches Verhalten vor. Jetzt reagiert Starmer ähnlich bei einer viel unwichtigeren Abstimmung.

Hinter eigenen Erwartungen zurückgeblieben

Kommentatoren werten das als Warnschuss: Starmer habe bei der ersten Gelegenheit seine Autorität klargemacht. Labour holte bei den Wahlen vom 4. Juli zwar eine gigantische Mehrheit an Sitzen im Unterhaus, aber blieb mit unter 34 Prozent der Stimmen weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Mehrere Labour-Sitze gingen an linke Unabhängige wegen Differenzen zum Nahostkonflikt, und auch die links zu verortenden britischen Grünen legten deutlich an Stimmen zu.

Die britische Linke ist dabei, sich außerhalb Labours neu zu sortieren, und Starmer hat diesen Prozess mit seiner Suspendierung befördert. Corbyn und die vier anderen parteilosen Linken im Parlament veröffentlichten am Mittwoch einen lobenden Brief an die sieben Labour-Abweichler und luden sie zur Zusammenarbeit ein.

Inhaltlich ist der Streit eher bedeutungslos. Bisher fährt die neue Regierung einen sehr vorsichtigen Kurs in Sachen Staatsausgaben. Es wurde aber damit gerechnet, dass im nächsten Staatshaushalt im Herbst die umstrittene Kinderdeckelung zumindest aufgeweicht wird. Am Mittwoch wich Starmer in der wöchentlichen Fragestunde im Parlament Fragen danach allerdings aus und warnte, die Krise der Staatsfinanzen sei „ernster als wir dachten“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen