Fahren ohne Fahrschein in Berlin: CDU und SPD setzen weiter auf Härte

In Potsdam wird Schwarzfahren nicht mehr per Strafanzeige verfolgt. Die Koalition in Berlin interessiert das wenig – und verweist auf den Bund.

Das Bild zeigt einen Fahrscheinentwerter der BVG

Weil wir dich lieben und so weiter: Beim „Erschleichen von Leistungen“ kennt Berlin weiterhin kein Pardon Foto: Schöning/imago

BERLIN taz | Wer in den Bussen und Bahnen der kommunalen Potsdamer Verkehrsbetriebe ohne Fahrschein erwischt wird, muss ab sofort nicht mehr mit einer Strafanzeige rechnen. Das teilte die ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH am Mittwoch mit. Die ViP folgt damit einem Beschluss des Kommunalparlaments der brandenburgischen Landeshauptstadt, mit dem das Unternehmen angewiesen wurde, künftig auf Strafanzeigen zu verzichten.

Initiiert wurde der Beschluss von der Potsdamer Linksfraktion, die dementsprechend hellauf begeistert ist. Verbände forderten seit Jahren eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens und damit auch den Verzicht auf eine Ersatzfreiheitsstrafe für diejenigen, die das geforderte „erhöhte Beförderungsentgelt“ nicht bezahlen können, erklärt Fraktionschefin Isabelle Vandre. Letztlich handle Potsdam „wegweisend für andere Kommunen“.

Im benachbarten Berlin interessiert sich die schwarz-rote Koalition unterdessen herzlich wenig für den „wegweisenden“ Beschluss. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tino Schopf, spricht zwar davon, dass die Potsdamer Entscheidung „neue Bewegung in die Debatte“ bringe, „ob es noch zeitgemäß ist, das Erschleichen von Leistungen als Straftat und nicht als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen“, auch aus finanziellen Gründen.

Was in Summe tatsächlich nicht eben wenig ist. So saßen allein am Mittwoch nach Angaben der Justizverwaltung 282 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe in Berliner Knästen ab – pro Häftling und Tag kostet das die Landeskasse im Schnitt rund 230 Euro. Das sei „durchaus kritisch zu betrachten“, sagt Tino Schopf.

Schon bislang wenig Elan bei Schwarz-Rot

Allerdings, so der SPD-Mann weiter, habe sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ja schon im Herbst 2023 dafür ausgesprochen, den betreffenden Erschleichungsparagrafen im Strafgesetzbuch zu ändern. Und das halte er für „deutlich sinnvoller als lokal beziehungsweise kommunal begrenzte Einzellösungen“, erklärt der Verkehrsexperte jener Partei, die in Berlin mit dem 29-Euro-Ticket eine bundesweit kritisierte Einzellösung durchgedrückt hat.

Nun hatten SPD und CDU bereits in der Vergangenheit wenig Elan an den Tag gelegt, das Thema groß anzugehen. Stets hieß es: Strafgesetzbuch. Und: Sache des Bundes. Sie werde beim Schwarzfahren keine Ausnahme erteilen und damit geltendes Recht ignorieren, wischte Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) die Debatte zuletzt im Frühjahr vom Tisch – damals hatten Linke und Grüne im Abgeordnetenhaus den Versuch unternommen, die Strafverfolgung wenigstens bei der landeseigenen BVG zu beenden.

„Es ist eine Schande, dass CDU und SPD unseren Antrag dazu im Abgeordnetenhaus abgelehnt haben“, ärgert sich der Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg noch Monate später. Umso mehr begrüße er, dass Potsdam jetzt anderen Städten wie Köln, Bremen oder Düsseldorf folge, in denen Schwarzfahren ebenfalls nicht mehr als Straftat verfolgt wird.

Es sei an der Zeit, dass auch Berlin nachzieht, fordert der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion. „Es kann nicht sein, dass man für das Parken ohne Parkschein nur ein Knöllchen bekommt und für das Fahren ohne Fahrschein im Zweifel in den Knast muss, nur weil man arm, krank oder obdachlos ist“, so Schlüsselburg zur taz.

Ganz so einfach ist es freilich auch in Brandenburg nicht: Wie die ViP GmbH klarstellt, bedeute die Entscheidung nicht, „dass das Fahren ohne Fahrschein künftig ohne zivilrechtliche Konsequenzen bleibt“. Auch in Zukunft wird ein nicht bezahltes „erhöhtes Beförderungsentgelt“ hier also geahndet, nur eben – wie auch auf Bundesebene geplant – als Ordnungswidrigkeit und nicht mehr über eine Strafanzeige.

Ordnungswidrigkeit ist auch keine Lösung

Nichts für ungut, heißt es deshalb von der Kampagne Freiheitsfonds, die seit 2021 Geld sammelt und damit regelmäßig Schwarz­fah­re­r:in­nen aus deutschen Knästen freikauft. Aber, so Leonard Ihßen vom Freiheitsfonds zur taz: „Auch bei einer Ordnungswidrigkeit kann man wegen lumpiger vier Euro für eine nicht bezahlte Fahrkarte im Gefängnis landen.“

Werde das „erhöhte Beförderungsentgelt“ nicht bezahlt, drohten nun statt einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu drei Monate Erzwingungshaft. Und anders als bei einer Ersatzfreiheitsstrafe führt die Vollstreckung der Erzwingungshaft nicht zur Tilgung der Geldbuße.

Ihßen und seine Mit­strei­te­r:in­nen kämpfen für eine generelle Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrscheins. Ihre nächste Freikaufaktion ist für den 6. August angesetzt. Dann soll der mittlerweile tausendste Gefangene aus dem Knast geholt werden. Motto des aktuellen Freedom Day: „Jetzt oder nie“. Ihßen sagt: „Der betreffende Paragraf muss ersatzlos gestrichen werden.“

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