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Sexualisierte Gewalt gegen Kinder54 Fälle pro Tag

Die Behörden zählten 2023 mehr Sexualdelikte gegen Kinder und Jugendliche als zuvor. Als Täter registrierten sie in den allermeisten Fällen Männer.

Die Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder haben leider erneut zugenommen Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Frankfurt taz | Im Jahr 2023 registrierten die Behörden 18.497 Kinder unter 14 Jahren als Opfer sexualisierter Gewalt – das sind 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem am Montag vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichten Bundeslagebild „Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen 2023“ hervor, das BKA-Vizepräsidentin Martina Link gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus vorstellte.

Bei mehr als der Hälfte der Opfer bestand eine familiäre oder informelle Vorbeziehung wie Freundschaft oder Bekanntschaft zu dem oder der Tatverdächtigen. Die Täter waren wieder überwiegend (zu 94 Prozent) Männer, die Opfer (75 Prozent) überwiegend weiblich. Die Zahl der nichtdeutschen Opfer stieg um über 24 Prozent, die der deutschen um rund 5 Prozent. Neben den Kindern wurden zudem 1.277 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren als Opfer sexualisierter Gewalt polizeilich registriert.

Laut BKA-Bericht sind auch die Fälle von „Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Inhalte“ stark angestiegen und haben im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht: Die Zahl der registrierten Fälle stieg um 31,2 Prozent auf 8.851. Auch die Zahl der „kinderpornografischen Inhalte“ stieg – und zwar um 7,4 Prozent auf 45.191 Fälle.

Wie schon im Vorjahr weist das BKA bei den stark gestiegenen Zahlen auf die Rolle der US-amerikanischen Organisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) hin. Das NCMEC erhält von Internetdiensten wie Facebook Hinweise auf Fälle, lokalisiert sie und leitet sie ans BKA weiter. Allein im Jahr 2023 meldete die Organisation 180.300 Hinweise auf Inhalte mit Kindesmissbrauch. Knapp die Hälfte war nach deutschem Recht strafrechtlich relevant.

Mehr Wachsamkeit gefordert

„Jeden Tag werden in Deutschland 54 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch“, sagte Innenministerin Faeser am Montag in Wiesbaden. „Das sind entsetzliche Taten, die uns tief berühren und fassungslos machen.“ Mit Verweis auf eine Kampagne der Missbrauchsbeauftragten („Schieb deine Verantwortung nicht weg“) forderte sie mehr Wachsamkeit in der Gesellschaft: „Hinzuschauen und zu handeln, wann immer Gefahren für Kinder drohen – das ist eine zentrale Aufgabe des Staates, aber auch unserer Gesellschaft insgesamt“, so Faeser.

Die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder habe für das Bundeskriminalamt schon seit langem eine hohe Priorität, betonte BKA-Vizepräsidentin Martina Link. „Angesichts der zunehmenden Hinweise und steigenden Fallzahlen haben wir unsere Auswertefähigkeiten und die Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden der Länder verstärkt und werden unsere technischen Fähigkeiten weiter ausbauen, um Täter noch schneller und effektiver zu identifizieren.“

Das Bundeskabinett hatte im vergangenen Juni den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen beschlossen. Es soll den Schutz potenzieller Opfer verbessern und Betroffene bei der Aufarbeitung unterstützen.

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1 Kommentar

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  • "Geringere Mindeststrafen für Kinderpornografie-Delikte beschlossen"

    www.bundestag.de/d...ornografie-1002718

    "Der Gesetzentwurf sieht vor, die Mindeststrafen für Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte zu senken. Besitz und Erwerb sollen künftig mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe, die Verbreitung mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe bestraft werden können. Die Bundesregierung verweist zur Begründung auf Forderungen aus der Praxis.

    Mit dem Entwurf sollen diese in Paragraf 184b des Strafgesetzbuches geregelten Delikte wieder als Vergehen eingestuft werden. Aktuell sind die Delikte als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitstrafe klassifiziert. Durch die Einstufung als Vergehen soll es bei diesen Taten künftig auch wieder möglich sein, Verfahren nach den Paragrafen 153 und 154 der Strafprozessordnung (StPO) einzustellen beziehungsweise nach den Paragrafen 407 fortfolgende der StPO durch Strafbefehl zu erledigen."

    "Mehr Wachsamkeit gefordert" : Ganz bestimmt ! Was nützt Wachsamkeit ohne Sanktionsdrohung, weil das Verfahren eingestellt werden kann ?