Obdachlosigkeit in Neukölln: Leitfaden für Vertreibung

Neuköllns „Leitfaden Obdachlosigkeit“ soll nach Kritik überarbeitet werden. Betroffene fordern mehr Hilfsangebote anstatt Zwangsmaßnahmen.

Eine obdachlose Person schläft auf einer Bank

Mit einem umstrittenen Leitfaden will Neukölln gegen Obdachlosigkeit im Bezirk vorgehen Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler

BERLIN taz | „Wir akzeptieren auf keinen Fall Vertreibung unter dem Vorwand eines Leitfadens für Obdachlosigkeit!“, stellt Uwe Mehrtens am Montagmittag vor dem Neuköllner Rathaus klar. Er ist Gründungsmitglied der Union für Obdachlosenrechte Berlin (UfO), die zur Kundgebung gegen den Neuköllner „Leitfaden Obdachlosigkeit“ aufgerufen hat. Knapp ein Dutzend Menschen sind dem Aufruf gefolgt, manche haben Schilder mitgebracht, auf denen Slogans wie „Mit Obdachlosen entscheiden statt gegen sie!“ stehen.

Der „Leitfaden Obdachlosigkeit“ war im Mai vergangenen Jahres vom Neuköllner Bezirks­amt veröffentlicht worden. Offiziell will das Bezirksamt mit dem Dokument Transparenz herstellen und Vertrauen aufbauen in seinem Umgang mit Obdachlosigkeit. Insbesondere die UfO kritisierte den Leitfaden jedoch dafür, dass Betroffene kaum in seine Erarbeitung mit einbezogen worden seien. Montag Mittag fand nun ein Gespräch zwischen UfO-Mitgliedern und dem Neuköllner Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt statt, um eine Überarbeitung des Leitfadens zu besprechen. Auch an der Kundgebung, die direkt im Vorfeld stattfand, nahm der Sozialstadtrat teil.

Nur kosmetische Änderungen

Die UfO ist eine Interessenvertretung von und für wohnungslose Menschen in Berlin, die sich für ein Ende der Wohnungslosigkeit einsetzt. Bereits nach Veröffentlichung des Neuköllner Leitfadens im letzten Jahr kritisierte die Initiative, dass sich dieser zu stark auf Räumungen und die Einführung von Verbotszonen fokussierte. Im Leitfaden heißt es unter anderem, dass es an Orten, an denen wohnungslose Menschen sich vermehrt aufhielten, immer wieder zu „Nutzungskonflikten“ käme, die eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherung und Ordnung“ darstellen und somit auch ein Eingreifen der Ordnungsbehörde begründen könnten. Auch ein „mittelloser Verbleib in Deutschland“ müsse aus diesen Gründen vermieden werden. Im Leitfaden heißt es aber auch, dass keine Räumung „ohne das Angebot einer im Einzelfall angemessenen Unterkunft“ durchgeführt werden solle.

Nach der Kritik durch die UfO kündigte das Bezirksamt bereits im Juni eine Überarbeitung an, an der die Initiative aktiv mitwirken sollte. In einer Pressemitteilung Ende April dieses Jahres teilte die UfO aber mit, dass man bei den Treffen den Eindruck gewonnen habe, „dass keine grundsätzliche Überarbeitung, sondern vor allem ein Feilen an Formulierungen“ geplant gewesen sei. Die UfO fordert daher eine Neuausrichtung des Leitfadens, die unter anderem eine personelle Stärkung der sozialen Wohnhilfe sowie niederschwelliger Hilfsangebote wie Straßensozialarbeit beinhalten soll.

Nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung habe man von Sozialstadtrat Rehfeldt nichts mehr gehört, erzählt Uwe Mehrtens. Daher habe man sich dazu entschieden, vor dem Gesprächstermin noch einmal an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch Bálint Vojtonovszki, Projektleiter der UfO, meldet sich während der Kundgebung zu Wort. Vojtonovszki kommt aus Ungarn und erzählt, dass dort nach verstärkten Repressionen mittlerweile ein Verbot von Obdachlosigkeit sogar im Grundgesetz verankert sei. „Es wird viel schwerer, obdachlosen Menschen zu helfen, wenn sie vertrieben werden“, sagt er, „Das habe ich selbst erlebt in Ungarn.“ Auch ein Anwohner meldet sich zu Wort: „Wir müssen in diesen Zeiten, in denen es härter wird, unsere Menschlichkeit bewahren. Daher meine Bitte: Schaut jetzt nicht weg!“

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