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Dokumentarfilm über Gianluca GrimaldaEin Klimaforscher unterwegs

Gianluca Grimalda verlor seinen Job, weil er umweltfreundlich reisen wollte. Davon erzählt nun der Dokumentarfilm „Der Wissenschaftler“.

Kleiner Mann gegen großes Flugzeug: das Plakat zum Film „Der Wissenschaftler“ Foto: pr

Es ist schon verrückt, wie der Preis für Klimagase festgelegt wird: An der Börse wurden Emissionszertifikate für 1 Tonne CO2 Anfang Juni mit rund 75 Euro gehandelt. Die Wohlfahrtsverluste, die der Ausstoß derselben Menge für die aktuelle und kommende Generationen bedeutet, beziffert das Umweltbundesamt derzeit auf 809 Euro. Noch verrückter wird es, wenn jemand versucht, die Rechnung umzudrehen.

Der italienische Sozial- und Klimawissenschaftler Gianluca Grimalda sparte im vergangenen Jahr 5 Tonnen CO2 ein, weil er eine Forschungsreise nach Papua Neuguinea statt mit dem Flugzeug mit Bahnen, Bussen, Mitfahrgelegenheiten per Lkw, Schiffen und Taxis bewältigte. Aber statt dafür kompensiert zu werden, zahlte er drauf – und zwar mit viel Zeit, die Reise dauerte 35 Tage hin und doppelt so lange zurück, mit familiärem Stress, dem Verlust der Freundin.

Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, für das er den Feldversuch in Ozeanien durchführte, zwang ihn nach dessen Ende, sich zu entscheiden – entweder er fliege zurück oder könne sich als gekündigt betrachten. Grimalda blieb seinen Prinzipien treu, das Institut machte seine Drohung wahr, zuletzt bestätigte ein Gericht, dass die Kündigung rechtmäßig sei.

Die Geschichte ging um die Welt, während Grimalda noch unterwegs war, die New York Times berichtete, der Guardian, der Forscher gab teils elf, zwölf Interviews am Tag, die taz veröffentlichte Protokolle der Rückreise, in den sozialen Medien überschlug man sich – nicht immer pro Grimalda.

Viel Bildmaterial von Smartphone des Forschers

Jetzt gibt es das Ganze in einem Dokumentarfilm, den es sich anzuschauen lohnt – auch wenn man meint, alle Artikel bereits gelesen zu haben. Regisseur Paolo Casalis spricht von einem „Road movie über Reisen, Abenteuer, individuelle moralische Prinzipien und universelle Fragen“ – und von einem „Element des Wahnsinns“, wobei weniger Grimalda verrückt sei als sein Arbeitgeber und die Gesellschaft.

Weite Teile von „Der Wissenschaftler“ stammen aus dem Smartphone des Forschers selbst. Casalis mischte Bilder dazwischen von klimaaktivistischen Aktionen. Social-Posts, dass nicht jeder so viel Urlaub habe wie der Forscher, dass er CO2 sparen würde, da man ihn unterwegs sowieso einsperren werde. Ein paar Grafiken, Landkarten, um die Strecke nachvollziehen zu können.

Im Kopf aber bleiben die Bilder von Papua Neuguinea, untergegangenen Häusern, trügerischer Ruhe, üppiger Natur und umständlichen Fahrten von einem Dorf zum anderen, hoch engagierten lokalen Mitarbeitenden. Noch mehr aber die Bilder von unterwegs: lange Fahrten mit Nacht- und anderen Zügen, oft voll und laut, die Schlafmaske immer dabei, Grenzübergänge mit und ohne Soldaten, schwere Waffen, leichtes Geplänkel, Lkw- und Taxifahrten, Fahrten mit Fähren und anderen Schiffen, die am frühen Morgen leere Akropolis in Athen, volle Straßen in Ankara, Märkte mit lebenden und sterbenden Tieren in Kalkutta. Die Windschutzscheiben der Fahrzeuge haben immer mehr Sprünge, je weiter es ostwärts geht.

„Ich fühle mich nicht mehr wichtig, nicht mehr wie ein V.I.P.“, sagt Grimalda in die Selfiekamera. „Wie fühlt es sich an, dass die Welt Ende des Jahrhunderts 2,4 Grad wärmer sein wird“, fragt er ein mitfahrendes Paar. Die Klimaanlage laufe schon im März statt Ende April, sagt die Frau, das Wetter sei nicht mehr vorhersehbar, „ich habe keine Antwort“. Mit einem anderen Taxigast sinniert der Forscher, ob Vorwürfe auf Social Media korrekt seien, dass er eben zu Hause bleiben solle, wenn es ihm ums Klima gehe. „Am wenigsten Emissionen hätte ich, wenn ich mich umbringe“, meint Grimalda. Der Mitfahrer grinst: „Aber sofort. Und ohne Krematorium.“

71 Minuten dauert der Film. Die Frage „War es den Preis wert?“ muss je­de:r selbst beantworten. Zu Ende ist die Geschichte nicht. Grimalda ist gegen das Gerichtsurteil zu seiner Kündigung in Berufung gegangen.

Der Film ist verfügbar ab dem 14. Juni unter https://vimeo.com/ondemand/researcher

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4 Kommentare

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  • Gianluca Grimalda verlor seinen Job, weil er umweltfreundlich reisen wollte?

    Gianluca Grimalda verlor offensichtlich seinen Job, weil er trotz wohl eindeutiger Weisung nicht rechtzeitig wieder am Arbeitsplatz erschien.

    Und diese Kündigung ist korrekt, nachvollziehbar und notwendig. Ich stelle mir die Organisation eines Unternehmens oder einer Insititution spannend vor, wenn jeder Arbeitnehmer seine eigenen Regeln kreiert. By thy way und off topic: bei einem unverzichtbaren Mitarbeiter hätte man sicher auch eine andere Lösung finden könne und gefunden ...aber manchmal erfreut es den Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer eine Steilvolage liefert.

    • @Michas World:

      Das Institut in Kiel hat selbst zugegeben, dass der Wissenschaftler auch von woanders hätte arbeiten können.



      Die Kündigung geht ums recht haben und nicht um etwas praktisches.



      Rechtlich mag das so sein, aber ansonsten ist die Kündigung eher fragwürdig

  • @WERNER2

    Sehe ich genauso. Wenn wir noch zu retten sind, dann nur dank Menschen wie Grimalda.

  • Im Prinzip bin ich bei Grimalda. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Einfluß der Fliegerei wohl noch viel zu viel unterschätzt wird beim Treibhauseffekt (und ein Vermeiden vlt wichtiger wäre, als nun auf dem Boden jede CO2 Produktion zu minimieren), ist dies die einzige Konsequenz: sich wieder damit abzufinden, daß die Welt eben ohne Flieger doch wieder größer geworden ist und eine Reise nach Papua eine regelrechte Expedition darstellt.

    Ganz unklar ist jedoch, wieso die Länge der Rückfahrt das Doppelte der Hinfahrt betragen hat.Und wenn man sich Details anschaut wie in dem hier verlinkten



    taz.de/Das-Ende-der-Reise/!5981954/



    so scheint es doch auch um ganz andere Gründe bei der Kündigung gegangen zu sein als nun hier dargestellt.