Kritik an Antisemitismusbeauftragtem: „Er scheint uns feindlich gesinnt“
Soll Hamburgs Antisemitismusbeauftragter Stefan Hensel eine zweite Amtszeit bekommen? Nicht, wenn es nach der Liberalen Jüdischen Gemeinde geht.
Vorgesehen waren darin auch die Einrichtung eines runden Tisches zum Thema sowie die „zeitnahe“ Schaffung des Postens eines Antisemitismusbeauftragten. Zum Monatsende endet nun dessen erste Amtszeit – und Hamburgs liberale Jüdinnen und Juden nehmen das zum Anlass für Kritik: an der derzeitigen Besetzung des Postens, aber auch an dessen Zuschnitt.
Erst nach längerer Suche hatte man die neue Funktion seinerzeit auch besetzen können: Am 1. Juli 2021 trat Stefan Hensel das Ehrenamt an – präsentiert wurde der 1980 im mecklenburgischen Wismar geborene Pädagoge und Geschäftsführer eines Bildungsträgers damals von der Zweiten Bürgermeisterin sowie Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). Aber auch vom Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Philipp Stricharz – und der Vorsitzenden der Liberalen Jüdischen Gemeinde, Galina Jarkova. Diese wünschte Hensel „viel Erfolg und hofft auf ein stets offenes Ohr. Er hat unser Vertrauen, und wir freuen uns auf das gedeihliche Miteinander.“ Jüngsten Äußerungen liberaler Jüdinnen und Juden nach scheint davon nur wenig übrig zu sein.
„Es ist so, dass wir schon kurz nach der offiziellen Benennung von Stefan Hensel im Amt des Antisemitismusbeauftragten verwundert waren über seine Haltung“: Das sagte jetzt Eike Steinig der taz, Zweiter Vorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde. Hensel „fühlt sich der anderen Gemeinde zugehörig“, also der größeren, orthodox dominierten. Die Folge sei „eine Befangenheit zu unseren Ungunsten“, sagt Steinig, der gar mutmaßt, dass Hensel „uns feindlich gesinnt zu sein scheint“.
Antisemitismusbeauftragte gibt es derzeit im Bund sowie in 15 Bundesländern.
Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben den Posten im November 2019 besetzt, hier wie dort handelt es sich um ein Ehrenamt.
In Schleswig-Holstein wurde die Stelle zum März 2020 eingerichtet. Zweiter Amtsinhaber ist seit Oktober 2022 der ehemalige Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich.
Einzig Bremen hat diesen Posten nicht eingerichtet. Das aber geschieht in Kenntnis und mit Zustimmung der dortigen Jüdischen Gemeinde
Mit Hensel als reinem Antisemitismusbeauftragten hätte man dabei nicht unbedingt ein Problem, sagt Steinig auch. Aber er sei halt zugleich Hamburgs Beauftragter für jüdisches Leben. Und der könne die Liberalen nicht einfach ignorieren. „Es gibt zwischen 7.000 und 10.000 jüdische Menschen in der Stadt“, sagt Steinig. „Die Jüdische Gemeinde vertritt einen Teil, wir vertreten den anderen.“ Zusammen kommen beide Hamburger Gemeinden auf derzeit nicht mal 3.000 Mitglieder: Knapp 2.400 hat derzeit die Jüdische Gemeinde, 340 die Liberale.
Dem Angebot, die Vorwürfe zu kommentieren, kam Hensel bis Redaktionsschluss dieser taz-Ausgabe nicht nach. Bei der Vorstellung einer Dunkelfeldstudie zu antisemitischen Vorfällen im Juni 2023 hatte er allerdings gesagt, dass die größere Jüdische Gemeinde „der größte Player in der Stadt“ sei und das gesamte Spektrum des Judentums abdecke. In der Tat sieht sich die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Jüdische Gemeinde als „Einheitsgemeinde“ mit Platz auch für Reformierte.
Bei Hensels Kür war die kleinere Liberale Gemeinde mit Vorschlagsrecht bedacht worden – hinter etwaigen theologischen oder schlicht verwaltungsrechtlichen Feinheiten hatte sich die Stadt also nicht verschanzt. Ungleichbehandlung beklagten die Liberalen danach aber durchaus. So lindert das andere 2019 groß angekündigte Projekt für sichtbares jüdisches Leben einzig eine Not der größeren Jüdischen Gemeinde: Nur sie wird ja die neue Synagoge auf dem ehemaligen Hamburger Bornplatz nutzen.
Auf die Frage, wie optimistisch er sei, reagiert Steinig verhalten. Die Stadt hat der Hamburger Morgenpost gegenüber aufs laufende Verfahren verwiesen und erklärt: Wenn nötig, mache Hensel halt erst mal weiter, kommissarisch. Dagegen – und ein wenig wohl auch als Provokation gedacht – hat sich nun Steinig selbst um den Beauftragten-Posten beworben.
Aber eigentlich werben die Liberalen für den Umbau des Postens: Steinig findet, der Kampf gegen Antisemitismus und die Stärkung jüdischen Lebens sollte von zwei verschiedenen Menschen betrieben werden. Und diese Funktionen klarer definiert werden in Aufgaben und Freiheiten. „Anfang Juni haben wir uns nochmals an die Bürgerschaft gewandt und sämtliche religionspolitischen Sprecher zur Nachbesserung des gesamten Verfahrens aufgefordert“, so Steinig.
Eigentlich sieht er aber Hamburgs Ersten Bürgermeister, Peter Tschentscher (SPD), in der Pflicht, „das Projekt zur Chefsache zu machen“, so Steinig: Der habe 2019 versprochen, das Judentum zu fördern – in seiner „Gesamtheit“ und „Vielfalt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Krise der Ampel
Lindner spielt das Angsthasenspiel