Unerwartete Begleitung im Hochgebirge: Der Schutz der Ziegen
Als wir unsere Wanderung auf einem südtiroler Berg beginnen, schließen sich uns eine Ziegenmutter und acht Zicklein an. Wir werden sie nie vergessen.
W ir sind hoch. So hoch, dass um uns schon Wolken sind. Und sonst nicht viel. Oder alles. Ruhe und Alleinsein. Bäume und Wiesen. Wäldchen und Wege. Wir sind auf einem Berg in Südtirol. Gerade kommen wir aus einer Almhütte, wo wir einen Kaffee getrunken haben und machen uns wieder auf die Wanderung. Wir wollen zu zweit weiter hoch auf einen Gebirgsgrat: Der schmale Weg auf einem Bergrücken, der zwei Gipfel miteinander verbindet.
Als wir aus der Alm treten, sehen wir Jugendliche, die einen Holzzaun versetzen. Einem der Teenager, der ein Drahtseil spannt, laufen Ziegen hinterher. Sie folgen ihm so nah wie Hunde. Zwei Mädchen bohren mit einem Akkuschrauber Schrauben in Holzpfosten.
Als wir an ihnen vorbeilaufen, passieren wir die Ziegen. Eine Ziegenmutter und acht Zicklein. Es ist nicht auszumachen, ob alle zu der Mutter gehören. Sie beäugen uns aus großen Augen. Als wir weitergehen, folgen uns die Ziegen. Die große Glocke der Ziege und die kleinen Glöckchen der Zicklein klingen dabei: bim, bam! Bim, bim! Wir freuen uns und lachen, dass sie bei uns sind.
Doch als wir weiter den Berg hinaufgehen, folgen uns die Ziegen noch immer. Wir überlegen, ob das richtig ist. Ob sie keiner vermissen wird. Doch sie bleiben unbeirrt hinter uns: bim, bam! Bim, bim! Die Mutter folgt als erste, sie läuft nie vor uns, als wollte sie uns anführen lassen. Die kleinen Zicklein folgen ihr etwas unwillig. Die Mutterziege stößt sie immer wieder leicht mit Ihren Hörnern zurück, wenn die Zicklein zu nah an uns herankommen wollen. Als würde sie gern nah bei uns sein und dabei das Vorrecht haben. Und die Zicklein müssen mitkommen, ob sie wollen oder nicht.
Wir steigen weiter hinauf in Richtung des Grats, es liegt nun Schnee. Und wir rätseln weiter, warum uns die Ziegen folgen. Vermuten sie etwas zu fressen bei uns? An einer Weggabelung zum Grat kommt uns eine Familie entgegen, die den Hügel umwandert hat. Vater, Mutter, Kind. Sie lachen, als sie uns mit den Ziegen sehen. „Na laufen sie euch nach?“ Die Familie erzählt uns, dass es oben auf dem Grat verschneit und matschig sein soll. „Mit dem Jungen gehen wir da nicht rauf“, sagen sie. „Auch nicht im Sommer.“ Ob es zu riskant sei, fragen wir. „Das müsst ihr wissen“, sagen sie.
Wir überlegen. Doch ich habe kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, mit den Ziegen über den Grad zu wandern, bei dem es steil hinabgeht. Was ist, wenn sie uns zwischen die Beine laufen und wir schwanken? Die Ziegen können gut klettern, aber vielleicht irritieren sie uns. Wir beschließen abzusteigen. Auch wenn wir etwas enttäuscht sind, dass wir unser ursprüngliches Ziel nicht erreichen werden.
Beim Abstieg ist der Weg stellenweise rutschig. Ich spüre, dass ich etwas müde bin und bin nun froh, dass wir nicht oben auf dem Grat gelaufen sind. Noch immer sind die Ziegen eng hinter uns: bim, bam! Bim, bim! Schon seit über einer Stunde. Ich blicke sie nun anders an. Der gemeinsame Gang hat eine Verbundenheit geschaffen. Und plötzlich kommt es mir auch so vor, als würden die Ziegen einen Zweck verfolgen. Als hätten sie etwas gespürt. Vielleicht wollten sie uns ja davon abhalten, ganz hinaufzugehen. Hier oben fühlt es sich so an, als würden sie aufpassen, die Ziegen.
„Sind das eure Ziegen?“, fragen uns zwei Frauen, die uns unten entgegenkommen. „Ja“, sage ich spontan und lache.
Wir gelangen in Richtung einer Gondelstation. Die Ziegen hinter uns werden nun langsamer. Wir scheinen uns aus ihrem Territorium wegzubewegen. Ein Paar kommt uns entgegen. Auch sie lächeln über die Ziegen hinter uns. Doch da bleiben die Ziegen stehen. Sie warten einen Moment. Dann drehen sie um. Sie gehen langsam hinter dem Paar her: bim, bam! Bim, bim! Das Paar winkt, es verschwindet hinter einer Hügelkuppe und die Ziegen mit ihnen. Plötzlich sind sie fort. Und es schmerzt. Ihre Begleitung fehlt. Diesen Weg mit ihnen werden wir nicht vergessen.
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