Menschenrechte bei der Fußball-EM: Zu Hause ist's doch am schönsten

Nach der WM in Katar soll die EM in Deutschland ein „Heimspiel für Menschenrechte“ werden. Doch etliche Missstände werden dabei ausgeblendet.

Ein Haus, das komplett mit Deutschlandflagge geschmückt ist

Deutsches Viersterne-Haus in Köln Foto: imago

Viele schöne Worte haben sich DFB, Uefa und Bundesregierung für die EM der Männer einfallen lassen. „Die grünste EM aller Zeiten“, „Spiele ohne Rassismus und Antisemitismus“, ein Turnier mit „neuen Maßstäben für Umwelt, Soziales und Governance“ und ein „Heimspiel für Menschenrechte“. Diese Erzählung blieb öffentlich relativ unhinterfragt. Die Deutschen waren vor allem beschäftigt mit pinken Trikots, Kader-Schnitzeljagden, Debatten um Manuel Neuer und dem unvermeidlichen Sommermärchen 2.0.

Menschenrechte waren stets aucheine koloniale Überlegenheits­ideologie

Dabei sind etwa der Klimafonds und die Menschenrechtserklärung wichtige Verhandlungserfolge, erstritten auch dank einer kritischen Fußball-Zivilgesellschaft. Zugleich konnte man glatt nicht mitbekommen, dass die EM womöglich gar nicht weniger emittieren wird als andere Turniere, dass das Menschenrechtskonzept viel zu spät fertig war, dass Demos im Stadionnähe untersagt werden oder dass EM-Sponsoren systematisch Arbeitsrecht verletzen, Gewerkschaften unterdrücken und im Fall VW mutmaßlich Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen einsetzten. Beim „Heimspiel für Menschenrechte“ waren Menschenrechte Nebensache. Wollten wir nicht auch daheim genau hinsehen?

Zu Hause ist doch alles viel schöner. Die Gesellschaft wirkt müde von den Krisen rund um die letzten Turniere, der Wunsch nach einem fröhlichen Fußballfest scheint groß. Auch bei kritischen Panels ist die Euro meist eher thematischer Aufhänger statt Kritikobjekt: Homophobie im Fußball, Rassismus, Sexismus, ein wenig Nachhaltigkeit; Themen, die der EM weniger weh tun als Fragen nach der Steuerfreiheit für die Uefa oder den Zulieferbetrieben von Adidas. Lobenswerte Ausnahmen wie das Bündnis Fairness United oder der Verein Play!Ya blieben eine Fußnote im Sommermärchen-Getöse. Und viel Kritik schien eher Pflichtübung. So dringend war es nicht.

War das nicht mal anders? Der Protest rund um die letzte WM in Katar war vorbildlich allumfassend und tiefgehend, die Analyse des Gastgebers ging von Taliban-Unterstützung über fehlende Meinungsfreiheit bis zum Kafala-System. Deutsche Menschenrechtsverletzungen aber spielten für die Einordnung der Euro überhaupt keine Rolle.

Die EM in Deutschland fällt in eine Zeit, wo deutsche Waffenlieferungen mitverantwortlich sind für die Ermordung von 35.000 Zi­vi­lis­t:in­nen im Gaza­streifen und Kriegsverbrechen. Wo internationale Medien und Organisationen eindringlich auf Einschränkungen der Meinungs- und Protestfreiheit in Deutschland rund um den Gazakrieg, aber auch in Bezug auf Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen hinweisen.

Deutsche Menschenrechtsverbrechen finden nicht statt

Das Turnier fällt in eine Zeit, in der die EU gerade in einer neuen Verschärfung das Asylrecht mit Füßen tritt, und ihren Wohlstand mit Menschenrechtsverbrechen an den Außengrenzen und jenseits davon sichert, darunter Folter, grauenvolle Lager und Mord. Jeder fünfte Deutsche ist von Armut bedroht. Die aktuelle Bundesligasaison der Männer gewann übrigens Bayer Leverkusen, dessen Mutterkonzern mutmaßlich hochgefährliche Pestizide in den Globalen Süden exportiert. Auch das finanziert unseren Fußball. Auch das ist der Gastgeber dieses Turniers. Eine gute Turnieranalyse hätte all das und mehr angeprangert und verhandelt. Ich habe keine gelesen.

Nur die Nazis finden statt. Die europaweiten Triumphe der Neuen Rechten, wie die AfD zweitstärkste Kraft ist, wie rechte Hetze gegen Schwarze Nationalspieler die Vorbereitung überlagerte, das beunruhigte auch einige im EM-Kontext. Vor allem aber mit dem Gedanken, dass sie das Turnier bitte nicht verschandeln mögen, die Rechten. Machen wir uns vor dem Turnier ehrlich: Nichts von alldem war uns einen EM-Protest wert. Kollektiv wurde weggeschaut.

Fatal für Glaubwürdigkeit

Das ist fatal, auch für die eigene Glaubwürdigkeit. Seit „Wandel durch Handel“ als gescheitert gilt, hat sich in der Bewertung von Turnieren und ihren Gastgebern ein simplifiziertes Schema durchgesetzt: Menschenrechtsfeinde und Menschenrechtsfreunde. Oft sehr emotional aufgeladen, teils rassistisch und nach selektiven Kriterien: (formale) Demokratie, Meinungsfreiheit und Minderheitenrechte werden wichtig genommen – Recht auf Asyl, Recht auf befriedigende Entlohnung, Waffenexporte, Ressourcenraub oder Klimaschäden spielen für die Menschenrechtsbewertung fast nirgendwo eine Rolle.

Es ist eine Menschenrechtscharta der Reichen. Auch die Empathie ist selektiv: Ausgebeutete und Tote auf den Baustellen für Olympia 2024 in Paris rührten in Deutschland wenige; für Schwarze Ar­bei­te­r:in­nen in Katar dagegen erwärmen sich auch Konservative, solange sie bitte in Katar bleiben und nicht übers Mittelmeer kommen. Rund um Katar geriet die Empörung im Verhältnis zu anderen Turnieren so außer Proportion, dass Deutschland isoliert dastand.

Menschenrechte waren stets auch eine koloniale Überlegenheitsideologie. Arabische und europäische Fans demonstrierten in Echokammern, jeder für sein eigenes Ding: die einen für LGBT- und Arbeiterrechte, die anderen für Palästina. Etwas ist gebrochen bei dem Turnier, das für die einen eine „WM der Schande“ war, für die anderen eine Art panarabisches Er­weckungs-Festival. Wie kann man da noch weiterreden über Menschenrechte?

Weitgehend strategiefrei

Gerade zum „Heimspiel für Menschenrechte“ wäre das wichtiger denn je gewesen: Autoritäre Gastgeber mit teils katastrophaler innenpolitischer Menschenrechtslage und fehlenden Umweltstandards gewinnen an Einfluss. Wie damit umzugehen ist, darauf gibt es keine leichte Antwort. Die Deutschen taumeln dem weitgehend strategiefrei entgegen, die Verbände gleichgültig im Traumschlaf, aktive Fans beseelt vom weltfremden Wunsch, die halbe Welt auszuschließen. Der Fall Russland zeigt ein Dilemma: Weder Ausschluss noch ein Heimturnier konnten die innenpolitische Lage relevant verbessern.

Weder Brückenbauen noch Brückenbrechen. Derzeit werden vier Wochen Fußball schlicht überladen mit Erwartungen. Und solange Ausschlüsse nur für politisch nützliche Fälle gelten, untergräbt auch das Glaubwürdigkeit. Und Protest? Selbst mit höchstem Engagement und klaren Forderungen wie in Katar war es enorm schwer, gegen die geballte Macht aus Verbänden, Staat und Konzernen etwas zu bewegen. Gelungen ist es durchaus, aber nur punktuell. Und mit globalem Rechtsruck und Militarismus wird es nicht leichter.

Wenn, dann braucht es vielleicht eine Mehrfachstrategie. Mit tiefgehender, glaubwürdiger Kritik an jedem Gastgeber – ohne Probleme für gleich zu erklären, die nicht gleich sind. Das ist vor allem ein Bildungsauftrag, eine globale Kommunikation. Zweitens braucht es viel zivilgesellschaftliche Beteiligung. In der Hinsicht ist diese EM durchaus ein Vorbild.

Und drittens, mit dauerhaften internationalen Fußballbündnissen mit pragmatischen Themen, die viele mitnehmen – Arbeitskämpfe, Klimakämpfe, konkreter Nutzen für die Kommunen. Und endlich ein verbindlicher Bedingungskatalog für Fußballturniere mit externer Kontrollinstanz. Das fehlt auch hier. Denn das „Heimspiel für Menschenrechte“ ist natürlich ein Märchen. Ein zweites Sommermärchen vielleicht.

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