Besuch aus der Zukunft: Vom Ende der Tech-Diktatur

Als Kundin muss man überall befürchten abgezockt zu werden. Aber in Zukunft ändert sich das – auch durch ein zweites Internet.

Kaputtes Glas eines Smartphone-Bildschirms.

Ein harter Break muss her Foto: Jakub Porzycki/NurPhot/imago

Die älteste erhaltene Kundenbeschwerde stammt aus dem Jahr 1750 vor Christus. Ein gewisser Nanni beschwerte sich beim Großhändler Ea-nasir, dass die Qualität des gelieferten Kupfers mangelhaft sei. Als sich die Sohle meines erst zwei Monate alten Schuhs genau in dem Augenblick löst, als ich durch eine Pfütze laufe, fühle ich mich Nanni sehr nah. Nanni empörte sich über die Respektlosigkeit des Händlers und pochte auf sein Rückgaberecht. Zu Hause durchwühle ich vergeblich mein Arbeitszimmer auf der Suche nach der Quittung, ohne die ich die Schuhe nicht zurückgeben kann.

„Kannst du nicht zwei Monate in die Vergangenheit reisen und schauen, wo ich den Kassenzettel hingelegt habe?“, frage ich Felix. Mein zeitreisender Freund lebt eigentlich im Jahr 2124 und besucht mich gelegentlich. Jetzt zuckt Felix nur entschuldigend mit den Schultern. „Nein, tut mir leid.“

„Wieso muss ich mich überhaupt mit so einem Mist herumschlagen? Ständig muss ich aufpassen, als Kundin nicht abgezockt oder verarscht zu werden. Erst gestern habe ich bei Instagram der Nutzung meiner Posts für KI-Training widersprochen, und für die Sammelklage gegen Voda­fones einseitige Tariferhöhung muss ich mich auch noch anmelden.“

„Klingt anstrengend. Bis zum Generalstreik von 2045 wird das sogar noch schlimmer.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„Aber danach wird alles besser?“

„Ja! Bis dahin werden die großen Tech-Konzerne wachsen und nicht nur Waren verkaufen, sondern auch immer mehr Services zur Verfügung stellen, die eigentlich Staatsaufgaben sind, also: digitale Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Mobilität. Das Verhältnis zwischen Kun­d*in­nen und Unternehmen ähnelt dann immer mehr dem Verhältnis von Bür­ge­r*in­nen und Staat, aber ohne Wahlrecht und Rechtssicherheit. Die Menschen werden sogar doppelt abhängig, weil sie für die Firmen arbeiten, bei denen sie einkaufen.“

„Und wer wird dann schon mit seinem Onlineprofil eine 1/5 Sterne-Bewertung abgeben, wenn er morgen bei der gleichen Firma einen Job oder eine funktionierende Internetleitung haben will?“, sage ich. Im Geiste formuliere ich einen Onlineverriss des Schuhgeschäfts, bei dem ich zum Glück nicht anfangen will.

„Aber 2045 wird die Tech-Diktatur mit einem Generalstreik gestoppt“, unterbricht mich Felix. „Eine Woche lang wenden sich die Menschen vom Internet ab und konsumieren gar nichts mehr. In dieser Zeit stellen wir fest, dass 70 Prozent des Inhalts und des Traffics von Bots und KIs verursacht wird. Das Ganze wieder sauber zu trennen, ist viel zu kompliziert. Ein harter Break muss her. Also wird das zweite Internet mit neuen Benutzerkonten und neuen Regeln gegründet.

Es wird von Anfang an festgeschrieben, dass Unternehmen und Menschen Rechte und Pflichten haben. Die Tech-Konzerne werden so umstrukturiert, dass jeder mit dem Kauf eines Produkts auch einen Firmenanteil erwirbt und so eine Art wirtschaftliche Gewaltenteilung entsteht. Seitdem läuft es ganz gut.“

„Auf all das kann ich nicht warten. Was mache ich bis dahin mit meinem Schuh?“

„Entweder du bestellst dir online neue …“

„Nein!“

„Oder du bringst sie zum Schuster. Das spart Ressourcen und unterstützt die lokale Wirtschaft. Win, win!“

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