Psychologie der Onlinebeschwerden: Loyal oder egal?
Beschwerden sind schnell abgegeben auf Bewertungsportalen und Fanseiten. Dabei unterliegen sie einer recht simplen Typologie.

„Tut uns sehr Leid, die Kaffeebohnen sind verbrannt, kommt nicht wieder vor“ Foto: Nathan Dumlao/Unsplash
Es gibt Menschen, die sich in den sozialen Medien beschweren, wenn sie mit der Leistung eines Unternehmens unzufrieden sind, und es gibt solche, die das nicht tun. Diese scharfe Analyse von mir ist wissenschaftlich untermauert, wie ich kürzlich in der Fachzeitschrift Journal of Business Research las. Sabine Einwiller und Wolfgang Weitzl, zwei Forschende von der Universität Wien, sind einen Schritt weiter gegangen und haben Verfasserinnen und Verfasser von Onlinebeschwerden in Typen unterteilt: die Konstruktiven und die Rachsüchtigen, die Loyalisten und die Ungebundenen.
Ein Selbsttest, zu welcher Gruppe Sie gehören: Sie sind wütend, weil der Cappuccino nach verbrannten Kaffeebohnen schmeckte und möchten die Nachwelt vor dieser traumatischen Erfahrung bewahren? Dann sind Sie rachsüchtig. Wenn Sie dem Unternehmen Tipps geben, wie sie künftig Kaffeebohnen nicht mehr anbrennen lassen, gehören Sie zur Gruppe der Konstruktiven. Sind Sie nur zufällig bei dem Kaffeeröster vorbeigekommen und haben zum ersten Mal dort konsumiert? Eindeutig ungebunden. Wurde Ihnen der Cappuccino in Ihrem Stammlokal serviert, zählen Sie zu den Loyalisten. Mehr als die Hälfte aller Onlinebeschwerden stammt von rachsüchtigen Loyalisten, Menschen mit persönlichem Bezug zur Marke, von der sie enttäuscht wurden. Sie lassen ihrer Wut online freien Lauf, beispielsweise auf der Facebook-Seite der Marke. Ihr Ziel ist es nun, dem Unternehmen zu schaden.
Ohne Social-Media-Team geht es in der Geschäftswelt bekanntlich kaum mehr. „Webcare“ ist der Fachbegriff für die Online-Interaktion des Unternehmens mit der Kundschaft. Auch da unterscheiden die Forschenden unterschiedliche Zugänge: Entweder werden Beschwerden ignoriert, oder es wird das Unternehmen verteidigt und Fehler nicht eingestanden. Option drei ist das Übernehmen von Verantwortung für die Probleme.
Welche Art von Reaktion wirkt wie gut bei den rachsüchtig Loyalen? Wütend, gekränkt und bösartig sind sie schließlich gefährlich für das Unternehmen. Was, wenn sie allen ihren Freundinnen von den verbrannten Kaffeebohnen erzählen oder negative Rezensionen auf anderen Bewertungsplattformen wie Yelp schreiben? Es scheint also naheliegend, dass es nur sinnvoll ist, als Unternehmen auf diese möglichst freundlich und schuldbewusst einzugehen. Tut uns sehr Leid, die Kaffeebohnen sind verbrannt, kommt nicht wieder vor, darf’s ein Gutschein sein?
Die Forscher testeten diese Hypothese mit einem Onlinefragebogen, den knapp 600 Teilnehmer ausfüllten. Diese mussten sich vorstellen, nach einem Restaurantbesuch extrem verärgert und enttäuscht zu sein. Welche Art von „webcare“ hat welchen Effekt? Das Ergebnis: Wie das Unternehmen reagiert, ist ziemlich egal. Auf extrem angefressene Kunden hat eine zu freundliche Reaktion sogar einen negativen Effekt: Die stänkern trotzdem weiter.
Leser*innenkommentare
mowgli
Schade. Die „scharfe“ und „wissenschaftlich untermauerte“ Analyse, die hier thematisiert wird, nützt mir mal wieder überhaupt nichts. Ich gehöre nämlich eindeutig nicht der Gruppe der gefährlichen Kunden an. Ich bin kein „rachsüchtiger Loyalist“. Ich bin vollkommen ungefährlich für die taz. Ich bin, wenn ich den Wiener Forschern glauben schenke, ein „konstruktiver Loyalist“, wenn auch ein offensichtlich missverstandener.
Was ist eigentlich mit den Menschen, die von den Kritisierten aus Angst vor Konsequenzen vorsichtshalber in die Gruppe der Rachsüchtigen eingeordnet werden, obwohl sie gar nicht konkurrieren wollen mit den professionellen Angstmachern? Weil sie davon nicht leben müssen und eine anonyme Öffentlichkeit ihnen egal ist mangels Eitelkeit und Aufmerksamkeits-Sucht? Die Wiener sagen nichts zu solchen Leuten. Aber vielleicht hat auch die taz sie unterschlagen. Weil sie so ungefährlich sind, dass man sich nicht befassen muss mit Ihnen. Ob es die Wiener Wissenschaftler getan haben, scheint jedenfalls schon mal egal zu sein.
Einerseits ist das natürlich ärgerlich. Ein wenig Selbstwirksamkeit muss schließlich jeder Mensch erfahren, wenn er nicht dauerhaft frustriert sein will in seiner Produktivität.
Andererseits ist die Ignoranz der taz aber auch beinah so etwas wie ein Segen. Schließlich: Wer weiß, ob ich mich wie gewünscht verhalten hätte, wenn die „Optionen“, die hier aufgezählt werden, auf mich zur Anwendung gekommen wären. Statistische Ausreißer gibt es schließlich immer wieder.
Fest steht: Verarschen kann ich mich besser alleine. Und wenn ich mich nicht falsch erinnere, hab ich mich auch nie gern hofieren lassen. Eigenverantwortung wäre halt nett gewesen. Aber wer weiß, wie die am Ende ausgesehen hätte, so ganz ohne Rücksprache mit mir...