Nach dem Tod von Irans Präsident: „Schau, wie sie heulen“

Das Regime in Teheran inszeniert Trauer, doch die meisten Iraner feiern den Tod des Präsidenten Raisi. Sie tanzen und singen „Helikopter, Helikopter“.

Eine trauernde Iranerin in einer Menchenmenge.

Machtdemonstration des Regimes: Trauerfeier für Präsident Raisi am Mittwoch in Teheran Foto: Majid Saeedi/getty

Babak Majidi (Name geändert) kommt aus dem Lachen nicht heraus. „Schau dir mal das Bild an“, sagt er per Sprachnachricht. „Wie sie heulen!“ Der 30-jährige Geschäftsmann aus Maschhad hat per Chat ein Foto geschickt, auf dem Frauen in schwarzem Tschador mit schmerzverzerrten und weinenden Gesichtern zu sehen sind – in den Händen halten sie Bilder des verstorbenen iranischen Staatspräsidenten Ebrahim Raisi.

Ebrahim Raisi ist tot, verstorben in der vergangenen Woche bei einem Helikopterabsturz. Der Präsident war mit einer Delegation im Grenzgebiet zu Aserbaidschan; auf dem Rückweg stürzte der Hubschrauber ab, vermutlich wegen schlechten Wetters und schwierigen Geländes. Mit ihm starben weitere Offizielle des iranischen Regimes, darunter auch Außenminister Hossein Amir-­Abdollahian.

Babak Majidi ist einer von vielen Millionen Iraner:innen, die den Tod dieser höchsten Männer im Staat feiern. Der größte Teil der Bevölkerung ist froh, dass mit Ebrahim Raisi eine der erbarmungslosen Figuren der Islamischen Republik verschwunden ist. Die Bilder von trauernden Menschen auf den Straßen sind für Babak Majidi Ausdruck der Hilflosigkeit des Regimes vor der offensichtlichen Freude der Menschen im Land über den Tod ihres Repräsentanten – viele der Trauernden seien entweder bezahlt worden oder gehörten zu den Pro­fi­teur:in­nen des Systems, sagt er. „Wir sind alle froh, dass dieses Monster niemanden mehr töten kann“, so Majidi.

Im Iran verbinden viele Menschen den Namen Ebrahim Raisi mit zwei Ereignissen: mit den Massakern der 1980er Jahre und mit der brutalen Niederschlagung der Proteste der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung im Jahr 2022. An beiden Ereignissen war Raisi maßgeblich beteiligt. Da­rüber hinaus hatte er in der Islamischen Republik stets hohe Positionen inne und galt als enger Vertrauter des Revolutionsführers Ali Khamenei. Er wurde sogar als Nachfolger des 85-Jährigen gehandelt.

Sie tanzt im Sommerkleid

Den Ruf als „Schlächter von Teheran“ verdiente sich der damalige Generalstaatsanwalt mit seiner Rolle im vierköpfigen Todeskomitee im Jahr 1988. Eine „falsche“ Antwort vor Raisi und seinem Komitee – das konnte schon ein Nein auf die Frage sein, ob man betete –, und die Menschen wurden den Henkern übergeben. Innerhalb weniger Wochen schickte Ebrahim Raisi mindestens 5.000 politische Gefangene in den Tod.

Die Machthaber ließen die Leichen der Menschen verschwinden, in Massengräbern verscharren. Viele der Angehörigen wissen bis heute nicht, was mit ihren Kindern, Eltern oder Geschwistern geschehen ist. Sie kämpfen um Anerkennung und Aufklärung. Es war eines der größten Massaker des 20. Jahrhunderts.

Eine dieser Angehörigen ist Mansoureh Behkish. In den Massakern der 1980er Jahre wurden ihre Schwester, vier Brüder und ein Schwager hingerichtet. Jahrelang setzte sich Mansoureh Behkish dafür ein, die Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Dafür wurde sie verhaftet und saß mehrere Male im Gefängnis.

Kurz nach dem Tod Raisis veröffentlichte sie in den sozialen Medien ein viel geteiltes Video. Im Sommerkleid tanzt die ergraute Mansoureh Behkish beschwingt zu iranischer Musik. Man spürt die Erleichterung einer Frau, die ihr ganzes Leben unter der Islamischen Republik gelitten hat; der Mann, der fünf ihrer Familienmitglieder ermorden ließ, wurde in den Augen von Menschen wie ihr endlich bestraft. In einem System der absoluten Straflosigkeit für die Mächtigen, die schlimmste Menschenrechtsverbrechen begehen, muss das als seltenes Geschenk gesehen werden. Denn in der Islamischen Republik sind es stets die Machtlosen, die leiden.

„Manche denken, dass das für Raisi ein zu einfacher Tod war“, sagt Mahin Salehi (Name geändert). „Sie hätten sich gewünscht, dass er für seine Verbrechen eines Tages vor Gericht stehen würde.“ Auch diese Meinungen gebe es, sagt die 32-Jährige. Sie lebt in Teheran und leidet, wie viele Frauen im Iran, unter dem Leben in der Islamischen Republik. Während der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste verlor sie ihre Stelle an der Hochschule, weil sie sich weigerte, ein Kopftuch zu tragen.

Sie ist froh, dass Raisi tot ist. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich über den Tod eines Menschen freuen würde“, sagt sie. „Aber daran siehst du, was sie mit uns gemacht haben.“ Viele ihrer Freun­d:in­nen saßen in den vergangenen Monaten im Gefängnis, sie selbst entkam den Schergen des Regimes kürzlich wieder einmal nur knapp. Sie ist eine von vielen Frauen im Iran, die ihre Kopftücher im September 2022 ablegten und sich bis heute nicht mehr der Zwangsverschleierung beugen.

Als im September 2022 Proteste ausbrachen, die unter dem feministischen Ruf „Frau, Leben, Freiheit“ ein Ende der systematischen Unterdrückung von Frauen und schließlich auch den Fall der Islamischen Republik forderten, war es Staatspräsident Raisi, der größtmögliche Brutalität gegen die Protestierenden anordnete. Den oft jungen Menschen wurde auf Befehl in Augen und Genitalien geschossen, mehr als 520 Menschen wurden auf den Straßen ermordet.

Eine von ihnen war die 62-jährige Minou Majidi. Ihre Töchter, die inzwischen in Großbritannien leben, veröffentlichten kurz nach der offiziellen Bestätigung des Tods von Raisi ein Video in den sozialen Netzwerken: Darin stoßen die jungen Frauen mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht mit einem Bier an – über das kurze Video haben sie fröhliche iranische Musik gelegt. Eine männliche Stimme singt mit iranischem Akzent „Helikopter, Helikopter“. In einem Interview mit dem Guardian sagte eine der Töchter, Mahsa Piraei: „Wir freuen uns, weil sie Mörder waren.“

„Das sind alles Lügner“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gleichzeitig wissen Mahsa Piraei und die vielen anderen Menschen, die zumindest einen Moment der Genugtuung erleben dürfen, dass sich die grundsätzliche Situation im Land nicht ändern wird. Zwar waren diese zwei besonders grausame und eifrige Willfährige der Islamischen Republik. An solchen fehlt es dem System aber nicht.

Revolutionsführer Ali Khamenei hat sich in seiner langen Machtzeit eine große Gefolgschaft an Systemtreuen herangezüchtet. Der nächste Präsident, der nächste Außenminister, die das brutale System weitertragen, werden kommen. Zwar ist für Ende Juni eine Präsidentschaftswahl angesetzt; eine Wahl haben die Menschen aber weiterhin nicht. Das System bestimmt, nicht das Volk.

Beim Begräbnis am vergangenen Mittwoch waren viele Menschen auf den Straßen, um die Toten zu betrauern. Es war für Ali Khamenei wichtig, eine vermeintlich große Unterstützung seines Systems zu demonstrieren. Die Un­ter­stüt­zer:in­nen des Systems gibt es; viele von ihnen arbeiten für den Staat oder profitieren indirekt von ihm, sie bekommen Macht, Geld oder beides. Die Loya­list:in­nen sind mit geschätzt 10 bis 15 Prozent zwar in der Minderheit. Aber wenn es nötig ist, wissen die Machthaber, wie sie ihre Leute auf die Straßen bringen. Die Trauerfeier war wichtig als Propagandaveranstaltung. Auch Hamas-Führer Ismail Haniyeh soll anwesend gewesen sein.

Trotzdem muss sich die Machtriege nicht sorgen, dass in dieser Situation erneut Proteste ausbrechen könnten. Die Gewalt der vergangenen zwei Jahre, für die auch Raisi und Amir-Abdollahian verantwortlich waren, sitzt den Menschen noch in den Knochen.

Erst vor ein paar Wochen wurde die Sittenpolizei wieder in alter Stärke auf die Straßen gesandt, um die Frauen des Landes unter den Schleier zu zwingen. Im Jahr 2023 wurden mehr als 800 Menschen hingerichtet – es war eines der blutigsten Jahre in Iran seit Langem. Unzählige Menschen wurden seit September 2022 inhaftiert, gefoltert und getötet – allein mit dem Ziel, die Bevölkerung davon abzuschrecken, wieder zu protestieren oder Widerstand zu leisten. Ein System, das gegen einen Großteil der Bevölkerung regiert, hat nur ein Mittel: Gewalt. Und vor dieser fürchten sich viele Menschen.

Eine Woche nach dem Tod von Raisi und Amir-Abdollahian ist die Freude im Land auch deswegen noch spürbar. Mahin Salehi, die Hochschullehrerin, die kein Kopftuch tragen wollte, hat dafür eine Erklärung. Sie glaubt, dass die Menschen das Gefühl haben, das Schicksal sei zumindest dieses eine Mal auf ihrer Seite. „Manche sagen, dass es Karma war“, sagt Salehi. Denn sowohl vom Schicksal als auch von der Welt fühlen sich viele Ira­ne­r:in­nenn schon lange alleingelassen.

Die Beileidsbekundungen aus der EU und von Bundeskanzler Olaf Scholz überraschen sie nicht mehr. „Das sind alles Lügner“, sagt Babak Majidi, der Geschäftsmann aus Maschhad, über die westlichen Staaten. Ihr Gerede von Freiheit und Demokratie könne er nicht mehr hören. „Ich glaube ihnen kein Wort mehr.“

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