Grundwerte der Europäischen Union: Die EU als militärisches Projekt

Bei der Frage nach der „europäischen Idee“ geht es oft um eine geteilte Wirtschaftszone. Im Mittelpunkt standen allerdings kriegerische Überlegungen.

Ein historisches Foto zeigt Franzöische Fallschirmjäger 1956 in Port Said

Suez Krise 1956 – Franzöische Fallschirmjäger in Port Said Foto: United Archives/imago

Rückblickend erscheint es wie selbstverständlich, dass sich die Europäer zusammenschließen mussten. Am 9. Juni steht die Wahl zum EU-Parlament an, und allerorten wird die „europäische Idee“ beschworen. Doch tatsächlich hat die heutige EU bescheiden angefangen – und zwar zunächst als Antwort auf ein militärisches Problem. Die Franzosen brauchten neue Bündnispartner.

Diese Erkenntnis kam ziemlich plötzlich – durch die Suez-Krise 1956. Dieser Konflikt ist schon deshalb bemerkenswert, weil eine militärische Auseinandersetzung mit rein ökonomischen Mitteln entschieden und beendet wurde. Die Krise begann im Juli, als der ägyptische Machthaber Gamal Abdel Nasser den Suezkanal verstaatlichte, der bis dahin mehrheitlich britischen und französischen Aktionären gehört hatte.

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Im Herbst folgte der Gegenschlag, die „Operation Musketeer“. Gemeinsam mit Israel besiegten Briten und Franzosen die Ägypter innerhalb weniger Tage, waren aber dennoch die politischen Verlierer. Die Welt und auch die USA lehnten dieses koloniale Abenteuer ab, und zur Strafe begann die US-Regierung, ihre britischen Anleihen abzustoßen, um das Pfund zu schwächen. Der Kursverfall wirkte sofort: Die Briten zogen lieber ihre Armee aus Ägypten ab, als eine Währungskrise zu riskieren.

Frankreich wiederum fühlte sich von den USA und vor allem von den Briten verraten, die die Suez-Zone geräumt hatten, ohne Paris zu informieren. Ihnen wurde deutlich, dass sie sich auf ihre alten Alliierten nicht mehr verlassen konnten und neue Bündnispartner brauchten. Ab 1957 begannen sie daher, zielstrebig über eine „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) zu verhandeln. CDU-Kanzler Adenauer machte gern mit – ebenfalls aus politischem Kalkül. Er lebte in ständiger Sorge, dass sich die USA und die Sowjetunion auf Kosten Deutschlands einigen könnten.

Der europäische Geist

Der „Gemeinsame Markt“ war ein seltsames Konstrukt: Er ist aus politischen Gründen entstanden, verfolgte aber ökonomische Ziele. Diese verwirrte und verwirrende Entstehungsgeschichte erklärt, warum die europäische Integration bis heute als „Friedensprojekt“ durchgeht, obwohl sich das Alltagsgeschäft um endlose Waren-Normierungen und technische Vorschriften dreht.

Am 25. März 1957 wurden die Verträge in Rom feierlich unterzeichnet, doch ein europäischer Geist wehte nirgends. Die meisten Bürger interessierten sich nicht für die neue Gemeinschaft. Die Westdeutschen waren noch immer mit dem Wiederaufbau beschäftigt, und die Aufmerksamkeit der Franzosen war vom Unabhängigkeitskrieg in ihrer Kolonie Algerien absorbiert.

Trotzdem war der Gemeinsame Markt überaus erfolgreich und übertraf alle Erwartungen, denn der Austausch zwischen den anfänglich sechs EWG-Mitgliedern Frankreich, BRD, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg explodierte geradezu. 1957 flossen rund 27 Prozent der westdeutschen Exporte in die anderen EWG-Staaten, 1971 waren es schon 40 Prozent.

Massenproduktion

Der Gemeinsame Markt bot eben den Vorteil, dass die Binnenzölle sukzessive abgeschafft wurden und es nur noch einen einheitlichen Außenzoll gab. Exporte in die anderen EWG-Länder wurden einfacher, sodass sich die Massenproduktion lohnte. Das Grundprinzip ist schnell erklärt: Für vier Autos rentiert sich kein Fließband, aber bei 10.000 Autos sind die Maschinen nicht nur profitabel, sondern machen jedes einzelne Auto günstiger.

Dieser ökonomischen Logik kann sich niemand entziehen – und deswegen ist die EU so stabil.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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