75 Jahre Ende der Berlin-Blockade: Rettung mit dem Rückflug

Über die Luftbrücke gelangten 1948/49 Tausende, in Berlin gestrandete Juden nach Westdeutschland und weiter. Eine bislang kaum beleuchtete Geschichte.

Das Bild zeigt Rosinenbomber

Planespotting auf Trümmerhaufen: Rosinenbomber über Berlin im Jahr 1948 Foto: dpa/picture alliance

BERLIN taz | Der etwas pummelige matt-silber-graue Vogel ist für Passanten an der Clayallee in Dahlem nicht zu übersehen. Die viermotorige Propellermaschine, im Areal des Alliierten-Museums ausgestellt, dient seit Jahr und Tag als Symbol der Luftbrücke. Wenn sie dort irgendwann abhebt, dann nur am Haken eines Kranes, um als Prototyp im Hangar 7 des ehemaligen Flughafens Tempelhofs wiederum an die lebensrettenden ungeheuren Material- und Lebensmittellieferungen in die eingeschnürte Frontstadt zu erinnern: die Berlin-Blockade der Sowjets, die an diesem Sonntag vor 75 Jahren aufgehoben wurde.

Doch der beflügelte Berlin-Transport von 1948 und 1949 kannte nicht nur nonstop One-Way-Lieferungen nach Tempelhof, Gatow und Tegel. Auch in Gegenrichtung wirkte der „Airlift“ überaus hilfreich. Denn über 5.500 Juden gelangten über den besonderen Luftkorridor nach Westdeutschland in die sichere Freiheit.

„Wir waren das Leergut der Rosinenbomber“, sagt Majer Szanckower, Jahrgang 1947, verschmitzt lächelnd in der heutigen Rückschau. Denn für den jüdischen Jungen bleibt die Evakuierungsaktion 1948 eine einmalig rettende Flugreise. Zusammen mit den aus Polen stammenden Eltern kommt er nach Süddeutschland in ein Schutzlager speziell für Juden. Dort fühlt sich die Familie, die den Holocaust überlebte, geborgen, so Szanckower.

Erst 1957, bei Auflösung des letzten Camps „Föhrenwald“ am Starnberger See, wagt sie mit der Übersiedlung nach Frankfurt am Main den Sprung aus dieser Obhut in die deutsche Gesellschaft. Als Leiter der dortigen jüdischen Friedhöfe bleibt Majer Szanckower in seiner Gemeinschaft gleichwohl bis heute aktiv.

Flucht aus Osteuropa nach Berlin

Wohl hatten sich die Militärverwaltungen nach 1945 auf große Flüchtlingsströme eingestellt, gerade im Drehkreuz Berlin. Dass dann aber rund 80.000 Juden, hauptsächlich in den Jahren 1946 bis 1948, über Stettin in die Spreemetropole strömten: Das hatte niemand auf dem Schirm.

Tatsächlich flohen die osteuropäischen Holocaust-Überlebenden nach der Rückkehr aus der Sowjetunion dann auch noch aus der alten Heimat, vor ihren eigenen Nachbarn. Pogrome wie das von Kielce mit 42 Toten im Juli 1946 trieben sie panikartig nach Westen – nicht zu den Deutschen, dem Tätervolk, sondern zu den Westalliierten.

Unter dem Druck des Zuzugs gewährten Amerikaner und Franzosen – die Briten nicht – auch den sogenannten jüdischen Displaced Persons, kurz DPs, den begehrten Flüchtlingsstatus. Der erlaubte ihnen, in den allgemeinen DP-Lagern wie dem am Teltower Damm vorläufigen Unterschlupf zu finden. Doch genau dort trafen die traumatisierten Überlebenden auch auf frühere Peiniger – ein unhaltbarer Zustand.

So entschlossen sich notgedrungen die Franzosen, am Eichborndamm in Wittenau ein spezielles DP-Camps nur für Juden einzurichten. Das quoll rasch über, weshalb die US-Army einsprang und an der Potsdamer Chaussee den jüdischen Flüchtlingen das Lager Schlachtensee zuteilten. Obwohl ständige Abtransporte in die westliche US-Zone gingen, geriet auch dieses Schutzquartier mit bis zu 6.000 Personen bald an seine Belastungsgrenze. Gleiches passierte zeitversetzt mit einem weiteren Lager an der Eisenacher Straße in Mariendorf.

In den Frachträumen der Bomben

Und dann machten auch noch die Sowjets mit der am 24. Juni 1948 beginnenden Berlin-Blockade die Fluchtwege in den Westen dicht. Kurzfristig entschlossen sich die Verantwortlichen, die DP-Lager für Juden aufzulösen und die noch häufigen Leerflüge, meist Richtung Frankfurt, zum Transport zu nutzen.

Auf Anordnung von Militärgouverneur Lucius D. Clay begann die Evakuierung am 23. Juli. In nur zehn Tagen mit rund 160 Flügen gelang die Aktion überraschend reibungslos. Per US-Laster, oft von der Ladefläche direkt in die Frachträume der Bomber, ging es für viele, oft verängstigte DPs erstmals in die Luft, erstmals in einem sicheren Transit, sei es in Hessen, Baden-Württemberg oder Bayern.

Natürlich transportierten die Lasten-Flieger auch andere Menschen bei ihrer Rückkehr nach Westdeutschland. Die Schätzungen gehen von mindestens 160.000 Personen aus. Aber für die DPs aus dem Osten stellte die überquellende Flüchtlingsstadt Berlin eine weiter traumatisierende Situation dar.

Viele Deutsche zeigten sich verwundert bis verächtlich, dass es überhaupt noch überlebende Juden gab, mit denen sie die kargen Lebensmittel teilen sollten. Selbst die Westalliierten brachten keineswegs immer Verständnis und Empathie auf für die größtenteils aus Polen Geflohenen, die gerade nicht in ihre bisherige Heimat zurückwollten, sondern nur weit weg, nach Palästina oder in die USA. Nur ein kleiner Teil der DPs blieb in Deutschland. Die damalige Luftbrücke bedeutete ihnen allen, wie auch dem Zeitzeugen Majer Szanckower, den Sprung zurück ins Leben – nach dem Überleben.

Doch was erinnert heute daran? Dieses Detail der Berliner Blockadezeit wurde so gut wie nirgends dokumentiert und erzählt. Wer sich auf dem Tempelhofer Feld an der einstigen nördlichen Startbahn der Rosinenbomber bewegt, kann jetzt immerhin gedanklich den damaligen Vorgängen nachsteigen. Eine einsame Erinnerungsstele an einem Wiesenrand, der Senat hat sie aufstellen lassen, belegt die etwas andere, lange vergessene Luftbrücken-Geschichte.

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