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Bettel-Verbote in StädtenUngeklärte Rechtslage

Viele Städte verbieten das Betteln auf rechtlichen Umwegen. Dabei tendiert das Bundesverfassungsgerichts dazu, dass Betteln ein Grundrecht sein könnte.

Unrecht oder Grundrecht? Eine bettelnde Frau am Hamburger Jungfernstieg Foto: Christian Charisius/dpa

Betteln ist im öffentlichen Raum grundsätzlich erst mal erlaubt. Ungeklärt ist allerdings bisher, ob es so etwas wie ein Grundrecht auf Betteln gibt. Was es aber sehr wohl gibt, sind diverse verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die generelle Bettelverbote als rechtlich unzulässig kassiert haben.

Unerwünschtes Verhalten bleibt das Bitten um Geld im öffentlichen Raum oder in öffentlichen Verkehrsmitteln aber trotzdem, und darum versuchen Städte wie Hamburg auch auf Umwegen, beispielsweise über das Straßen- und Wegerecht, dagegen vorzugehen. Ziel ist immer, dass alle, die genug Geld haben und niemanden auf der Straße um Hilfe bitten müssen, möglichst störungsfrei von A nach B kommen.

Das ist auch das Anliegen der Hamburger Hochbahn, die das Bettelverbot in U-Bahnen und an Bahnhöfen per Hausrecht konsequenter kontrollieren und gegen Verstöße vorgehen will. Auch hier ist das Ziel klar: Den zahlenden Fahrgästen soll bloß keine Störung zugemutet werden. Um Problemlösung geht es nicht.

Unterschieden wird in der Verbotsdebatte zwischen passivem und aggressivem Betteln. Das stille Bitten um Hilfe ist für viele noch tolerabel, da kann man die Augen verschließen und den Hilfesuchenden vorbeiziehen lassen. Gegen das aggressive Betteln, bei dem der Weg versperrt oder das Gegenüber angefasst oder mehrmals angesprochen wird, würde zwar im Zweifel auch ein einfacher Platzverweis der Polizei reichen. Es wird stattdessen gern als Argument für ein generelles Bettelverbot genutzt.

Gegen aggressives Betteln würde auch ein Platzverweis reichen. Stattdessen wird es als Argument für ein generelles Bettelverbot benutzt

Aber darf das so sein? Ein Blick in die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts deutet darauf hin, dass Betteln sehr wohl ein Grundrecht sein könnte. Da heißt es etwa: „Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf. Unerheblich sind folglich Belästigungen Dritter, die darin liegen, dass diese mit ihnen unliebsamen Themen konfrontiert werden.“ (BVerfGE 102, 347)

Betteln ist sicher ein solch unliebsames Verhalten und dürfte demnach von der Handlungs- und Meinungsfreiheit gedeckt sein. Wieso sollten Sätze wie „Ich habe Hunger, haben Sie ein paar Cent für mich?“ auch nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen?

Der menschenwürdige Ansatz wäre also zu erkennen, dass jemand Hilfe braucht und zu schauen, wie diese Hilfe aussehen könnte. Und nicht abweichendes und unerwünschtes Verhalten zu verbieten, in der irrigen Annahme, es löse sich dann einfach in Luft auf.

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4 Kommentare

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  • Wie emotional verarmt kann man sein, dass man Menschen, die nett und freundlich um etwas Hilfe fragen, aus dem eigenen Blickfeld verbannen will ?!

    Aggressives Betteln geht natürlich gar nicht, aber ab und zu tut eine Erinnerung an die wachsende Kluft zwischen arm und reich manchen vielleicht ganz gut.



    - Viellecht sollte man FDP- WählerInnen zum regelmässigen U- Bahn fahren verpflichten...!

  • taz: *Viele Städte verbieten das Betteln auf rechtlichen Umwegen. Dabei tendiert das Bundesverfassungsgerichts dazu, dass Betteln ein Grundrecht sein könnte.*

    Betteln als 'Grundrecht'. Wäre es nicht besser, die Armut endlich mal zu verbieten und überhaupt erst einmal etwas gegen Armut in diesem reichen Land zu unternehmen?

    Wofür haben wir eigentlich den Art. 20 Abs. 1 GG im Grundgesetz stehen? - 'Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.' - oder sind wir wieder in der Zeit von Anatole France?

    „Die großartige 'Gleichheit vor dem Gesetz' verbietet den Reichen wie den Armen, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln oder Brot zu stehlen.“ [Anatole France (1844 - 1924), französischer Literaturnobelpreisträger]

    • @Ricky-13:

      Wenn Sie sich die Haushalte von Bund und Länder ansehen, werden Sie merken, dass sehr viel Geld für die Verhinderung oder Milderung von Armut ausgegeben wird.

      "Erst einmal etwas gegen Armut unternehmen" passt also nicht so richtig.

      • @rero:

        Stimmt, es wird viel von der Politik getan, damit die Reichen nicht arm werden. Egal in welcher Stadt ich auch in Deutschland bin, überall wird man angebettelt. Das hat auch sicherlich nichts mit der Armut der Menschen zu tun, und dass wir schon 50.000 Obdachlose haben, die auf der Straße schlafen müssen, hat bestimmt auch nichts mit Armut zu tun.

        Wer sich z.B. einmal das Elend der Obdachlosen in Hamburg anschauen möchte, dem empfehle ich ab 22 Uhr einen Spaziergang vom Hauptbahnhof über die Mönckebergstraße bis zum schönen Hamburger Rathaus zu unternehmen. Die Mönckebergstraße ist eine der Haupteinkaufsstraßen Hamburgs und bildet zusammen mit der Spitalerstraße, die spitz auf die Mönckebergstraße zuläuft, den Hauptzugang in die Hamburger Innenstadt. In fast jedem Geschäftseingang der Mönckebergstraße und auch der Spitalerstraße - also in den Läden wo man tagsüber sehr viel Geld ausgeben kann - sitzen oder liegen die Obdachlosen unter Decken oder Schlafsäcken. Als ich ein junger Mann war, hat es das noch nicht gegeben, aber da gab es ja auch noch nicht den Raubtierkapitalismus, der immer mehr Reiche und immer mehr Arme hervorbringt.