Lage in Sudan: Humanitäre Katastrophe

Vor einem Monat beschloss eine internationale Konferenz Hilfszusagen für Sudan in Milliardenhöhe. Doch die werden nicht eingehalten.

Menschen wollen in einen Bus steigen, um zu fliehen

Menschen in Khartum in Sudan auf der Flucht Foto: AP

Groß waren die Erwartungen, als am 15. April – genau ein Jahr nach Beginn des verheerenden Krieges in Sudan – Dutzende von Staaten, internationale Organisationen und Hilfswerken in Paris zusammenkamen, um unter der Schirmherrschaft von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron diesen „vergessenen Konflikt“ wieder auf die internationale Tagesordnung zu setzen. Ebenso groß waren nämlich die Sorgen, dass die verheerenden Kämpfe zwischen der Armee und der aufständischen Miliz RSF (Rapid Support Forces) auf dem Rücken der Zivilbevölkerung nach einem Jahr Krieg und Wirtschaftskollaps eine gigantische humanitäre Katastrophe hervorrufen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. „Schlimmstenfalls werden in diesem Jahr eine Million Menschen verhungern“, mahnte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und forderte: „Wir alle müssen unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.“

Die UN hatten kurz vor der Konferenz Alarm geschlagen: Ihr Sudan-Hilfsappell für 2024 mit einem Umfang von 2,695 Milliarden US-Dollar (2,53 Milliarden Euro) sei nur zu rund 6 Prozent finanziert – etwa 166 Millionen Dollar seien vorhanden, lächerlich wenig. Internationale Geber sagten dann in Paris 2,2 Milliarden Dollar (2,03 Milliarden Euro) für den Sudan-Hilfsappell sowie für die Versorgung von Sudan-Flüchtlingen in Nachbarländern zu. Die größte Einzelzusage kam aus Deutschland: 244 Millionen Euro.

Einen Monat später ist nicht nur kein Frieden in Sudan in Sicht, es ist auch immer noch kein Geld da. Der Hilfsappell sei inzwischen bloß zu 12 Prozent finanziert, mahnte am 15. Mai die humanitäre UN-Koordinatorin für Sudan, Clementine Nkweta-Salam. „Die Krise gerät außer Kontrolle“, sagte sie. „Das Zeitfenster zum Handeln schließt sich schnell. Wir haben gerade noch sechs Wochen vor der mageren Jahreszeit, wenn Nahrungsmittel zur Neige gehen und teurer werden. Dies fällt zusammen mit zwei weiteren Fristen: der Beginn der Regenzeit, wenn Notleidende immer schwerer zu erreichen sind, und das Ende der Aussaat, die misslingen wird, wenn wir den Bauern kein Saatgut zur Verfügung stellen können.“

Am Pfingstmontag, das ergibt ein Blick auf die Daten der humanitären UN-Koordinierungsstelle OCHA, lag die Deckung des Hilfsappells bei gut 13 Prozent – etwas über 362 Millionen US-Dollar. Größter Geber sind die USA, gefolgt von der EU-Kommission und Großbritannien, mit zusammen über 60 Prozent der Gesamtsumme. Deutschland steht mit fast 13 Millionen US-Dollar hinter Schweden an fünfter Stelle.

Weniger als ein Hunderstel

13 Millionen im Vergleich zur Zusage von 244 Millionen sind schon irritierend genug. Aber wenn man nur tatsächlich getätigte Zahlungen berücksichtigt, rutscht Deutschland noch viel weiter nach hinten. Während Großbritannien seine bislang von der OCHA in die Statistik eingestellten 41 Millionen US-Dollar allesamt bereits zur Verfügung gestellt hat, sind aus Deutschland laut OCHA von den knapp 13 Millionen nur rund 1,7 Millionen Dollar (etwas über 1,56 Millionen Euro) auch tatsächlich geflossen – weniger als ein Hunderstel dessen, was Baerbock im April verkündete.

Es gibt sicherlich tausenderlei bürokratische Gründe dafür. Und der Hinweis sollte nicht fehlen, das Sudan-Konferenzgastgeber Frankreich noch weniger zugesagt und gezahlt hat als Deutschland. Aber das ändert nichts daran, dass die internationale Gemeinschaft in Sudan voll versagt und Deutschland und Frankreich beim Versagen ganz weit vorne liegen.

Eine Woche vor dem dramatischen Appell der Sudan-Koordinatorin der UN hatte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen erneuten möglichen Völkermord in Sudans Westregion Darfur festgestellt. In Darfur hat die RSF vier von fünf Provinzhauptstädten unter ihre Kontrolle gebracht; die Eroberung der Stadt El Geneina vor einem Jahr forderte nach unabhängigen Schätzungen über 10.000 Tote, Hunderttausende von Menschen mussten völlig mittellos ins Nachbarland Tschad fliehen.

1,8 Millionen Menschen in El Fasher

Die letzte noch von Regierungstruppen gehaltene Provinzhauptstadt El Fasher beherbergt nach UN-Schätzung im Stadtgebiet und im Umland mittlerweile 1,8 Millionen Menschen, viele davon Kriegsvertriebene. Ihre Versorgung ist katastrophal, alle Verkehrswege sind entweder umkämpft oder werden von der einen oder anderen Kriegspartei missbraucht, um Zugang zu verweigern, Güter zu stehlen oder Gebühren zu erpressen.

Am 10. Mai startete die RSF ihren seit Monaten erwarteten Angriff zur Eroberung von El Fasher. Seitdem bekämpfen sich Armee und RSF in Teilen der Stadt mit schwerer Artillerie, ohne die geringste Rücksicht auf die Zivilbevölkerung – ein vertrautes Muster aus Sudans Hauptstadt Khartum. Über kurz oder lang macht diese Art von Kriegsführung ganze Städte unbewohnbar und zerstört auf Dauer das soziale und ökonomische Gefüge der Gesellschaft.

Das Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen berichtet, wie im einzigen noch funktionierenden Kinderkrankenhaus von El Fasher, das bereits überfüllt war, Hunderte neue Verletzte ankamen, als die Kämpfe begannen. Viele starben, dann mussten die kleinen Patienten in eine andere Klinik verlegt werden, die dann wiederum bombardiert wurde. „Nirgendwo in der Stadt ist man mehr sicher“, lautet das Fazit von MSF. „Wir prüfen alle Optionen, aber momentan gibt es keine unmittelbare Lösung.“ Strom und sauberes Wasser gibt es nicht, keine Kühlung, keine sterilen Bedingungen. Internationale Beobachter müssen sich derweil darauf beschränken, per Auswertung von Satellitenaufnahmen zu schätzen, wie groß die Stadtgebiete sind, die in Flammen aufgegangen sind.

Was mit den Menschen dort passiert – niemand weiß es. Sie sterben, weil ihr Land faktisch nicht mehr existiert. Nicht mehr bei ihnen vor Ort, nicht mehr auf der Agenda der Weltpolitik.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

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