Reichsbürger-Prozess in Stuttgart: Die sensiblen Reichsbürger

Am Tag vier des Prozesses zeigt ein Video den Schusswechsel beim Polizeieinsatz. Den Reichsbürgern fällt das Hingucken offenbar schwer.

Polizeifahrzeuge und Absperrband an einem Tatort

Vor dem Tatort in Reutlingen im März 2023 Foto: Julian Rettig/dpa

STUTTGART taz | Die Polizei greift um vier Minuten nach sechs in der Früh zu. Drei Monate, nachdem die Führungsebene der mutmaßlichen Reichsbürger-Verschwörung um den Prinzen Reuß ausgehoben wurde. Das Sondereinsatzkommando stürmt das Wohnhaus von Markus Peter L. in Reutlingen mit Schutzschild und Blendlampen. Unter Rufen: „Polizei! Markus Peter L. komm’ heraus, zeig Deine Hände!“ arbeiten sich die Beamten in den ersten Stock vor.

Nun ist Tag vier der Verhandlung im Hochsicherheitsgerichtssaal Stuttgart-Stammheim gegen den militärischen Arm der mutmaßlichen Verschwörertruppe. Das Gericht widmet sich wegen der gesundheitlichen Unpässlichkeit eines anderen Angeklagten vorzeitig Markus Peter L., dem einzigen Mitglied der Truppe, das Gewalt nachweislich angewandt hat.

Auf zwei riesigen Videowänden zeigt das verwackelte Polizeivideo, wie sich Markus L. im Dachgeschoss des Hauses auf einem Sofa hinter einem Bürostuhl verschanzt, den er mit einer schusssicheren Weste überzogen hatte. Als die Polizei die Tür zu dem Zimmer öffnet, ruft er: „Zurück, oder ich schieße“. Was er dann auch tut. Nach mehrfachen Warnungen eröffnet die Polizei das Feuer, Markus L. schießt zurück. Dann ertönt der Schrei des getroffenen Beamten: „Hab ’nen Treffer im Arm, mein Arm ist komplett am Arsch“, der Film bricht ab.

Ein Profi mit sechs Waffenbesitzkarten

Markus Peter L. schaut sich die Wackelbilder aus der ersten Reihe der Anklagebank seelenruhig an. Die Arme verschränkt, ein Endvierziger mit Bierbauch, grauen, kurzen Haaren und Technokratenbrille, Durchschnittstyp. Der mutmaßliche Mordversuch, wegen dem er hier hinter Panzerglas sitzt, ist ein Beweis dafür, dass die Reuß-Gruppe keineswegs eine lächerliche „Rollatortruppe“ war, als die sie etwa von der AfD verharmlost wurde.

Markus Peter L. wusste, was er da tat. Der ehemalige Bundeswehr-Obergefreite hatte sechs Waffenbesitzkarten, durfte mit Sprengstoff hantieren und hatte eine halbautomatische Langwaffe. Vor allem aber konnte L. nach Ansicht der Ermittler aus Bauteilen, die er im Internet bestellte, selbst Waffen und Munition herstellen. Dabei war der Reutlinger von den Ermittlern zunächst eher als Beifang zur Beweissicherung angesehen worden. Die Bundesanwaltschaft hatte zwar die Durchsuchung genehmigt, sah aber nicht genügend Hinweise, um die Ermittlungen zur Reuß-Gruppe auch auf ihn als Verdächtigen auszuweiten.

L. war davor nur einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Im Mai 2021 nach einer Querdenker-Demonstration im schwäbischen Ofterdingen hatte man ihn zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt. Dort war er zusammen mit weiteren Männern in Schwarz aufgetreten und hatte ein Barett mit Bundeswehrabzeichen auf dem Kopf. Damit hatte er gegen das Verbot von militärischen Abzeichen auf Demonstrationen verstoßen.

Der Verteidiger von Markus Peter L. argumentiert nach dem Film, man habe seinem Mandanten gar keine Chance gegeben, sich freiwillig zu stellen. Überhaupt zeigen die Angeklagten am vierten Prozesstag viel Sensibilität. Einer meint, die Gewaltszenen im Film kaum zu ertragen, ein anderer bittet, den Film leiser zu stellen. „Ich kann’s Ihnen nicht ersparen.“, so der Richter Joachim Holzhausen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.