Bis zum Absturz: Warum Insekten ums Licht fliegen
Die Lichtverschmutzung nimmt weltweit zu, das hat negative Auswirkungen auf Insekten. Eine neue Studie untersucht die Gründe dafür.
Nachts kann man oft Insekten beobachten, die Laternen oder andere künstliche Lichtquellen umschwirren. Bisher ging man davon aus, dass die Insekten vom Licht angezogen werden. Nicht umsonst heißt es: „Angezogen wie die Motte vom Licht.“ Man dachte zum Beispiel, dass Insekten von der Wärme der Lampen angezogen werden, oder dass sie vom Licht geblendet umherirren. Eine andere Theorie geht davon aus, dass Insekten das Licht für Öffnungen zwischen den Blättern eines Baumes halten. Ein internationales Forschungsteam hat im Januar 2024 nun eine andere Erklärung für das Verhalten der Insekten veröffentlicht.
Die Studie
Die Wissenschaftler:innen filmten mehr als 800 Flüge von zehn verschiedenen Insektenarten mit hochauflösenden Motion-Capture-Kameras im Labor und im Feld – also unter kontrollierten und natürlichen Bedingungen –, um die Bewegungen von Insekten um künstliches Licht besser zu verstehen. Dabei stellten sie fest, dass die Insekten nicht direkt auf das Licht zusteuern, sondern mit dem Rücken zur Lichtquelle in kreisförmigen Flugbahnen fliegen. Sie filmten mit Infrarotkameras, um die Sicht der Insekten, darunter Schmetterlinge, Motten, Käfer, Fliegen und Schaben, nicht zu beeinträchtigen.
Tagsüber und auch nachts ist der Himmel in der Natur die hellste Fläche. Wo es hell ist, ist in der Regel oben. Insekten fliegen also mit dem Rücken zur hellsten Fläche. Die Forschenden vermuten, dass die Insekten künstliche Lichtquellen für den Himmel halten und deshalb immer mit dem Rücken zur Lichtquelle fliegen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Besonders dramatische Auswirkungen auf die untersuchten Insekten hat künstliches Licht, wenn es auf den Boden reflektiert. In einem Versuchsaufbau wurde eine weiße Fläche mit einer Lampe beleuchtet – und die Lampe von der anderen Seite abgedeckt. War die helle Fläche am Himmel, flogen die Insekten darunter mit dem Rücken zum Himmel auf ganz normalen Flugbahnen. War die weiße Fläche jedoch am Boden, flogen die Insekten mit dem Rücken zum Boden – dem vermeintlichen Himmel. Sie wurden von der Schwerkraft angezogen und stürzten ab.
Was bringt’s?
Dass Insekten wichtig sind, steht außer Frage: Sie sind für den Großteil der Pflanzenbestäubung verantwortlich. Ihr zunehmendes Fehlen ist daher ein großes Problem für das gesamte Ökosystem. Neben anderen Faktoren, etwa dem Einsatz von Pestiziden, trägt die Aufhellung des Nachthimmels durch künstliche Lichtquellen zum Insektensterben bei. Dieses Phänomen, auch Lichtverschmutzung genannt, nahm weltweit von 2011 bis 2022 um durchschnittlich 9,6 Prozent pro Jahr zu. Um Insekten besser zu schützen, ist es also wichtig zu verstehen, wie sie auf künstliches Licht reagieren. Das Team empfiehlt etwa, unnötige, ungeschützte, nach oben gerichtete Lichter und Bodenreflexionen zu reduzieren, damit die Insekten nicht abstürzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste