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Karlspreis für Pinchas GoldschmidtKlartext gegen Judenhass

Der Chef der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, erhält den Karlspreis 2024. In seiner Rede findet er eindringliche Worte.

„Ich bin mit Leib und Seele Europäer“, sagte Pinchas Goldschmidt am Donnerstag bei der Preisverleihung in Aachen Foto: Henning Kaiser/dpa

Berlin taz | Wer geglaubt hat, Rabbiner seien qua ihres religiösen Amts zurückhaltende Wesen, christlichen Würdenträgern ähnlich um Ausgleich und Harmonie bemüht, der wurde am Donnerstag eines Besseren belehrt. Da wurde dem Präsidenten der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, der renommierte Karlspreis verliehen. Und Goldschmidt erklärte nicht nur seine Dankbarkeit ob der ihm entgegengebrachten Ehre für europäische Einigung. Er wurde auch sehr deutlich.

Nicht Goldschmidt allein ist der diesjährige Träger des Karlspreises, sondern zugleich die jüdischen Gemeinschaften Europas – für Verdienste um „den Frieden, die Selbstbestimmung der Völker und die europäischen Werte, für Toleranz, Pluralismus und Verständigung“, wie es in der Begründung heißt. Nur: Den Geehrten gehe es dabei gar nicht gut. „Die Karlspreisträger von 2024 leben in Angst“, sagte Goldschmidt, und er bezog sich dabei auf den sprunghaft angestiegenen Antisemitismus in Europa nach dem Pogrom der Hamas in Israel.

Der Judenhass sei seit dem 7. Oktober „entfesselt“, erklärte der Rabbi, verwies auf islamistischen Fundamentalismus, Israel-Hass und einen Antizionismus, hinter dem sich in Wahrheit Antisemitismus verberge, und er vergaß auch nicht die Proteste an den Universitäten zu erwähnen, wo es um „Hass und Gewalt“ gehe. „Setzen Sie dem etwas entgegen“, forderte er. „Ich bin mit Leib und Seele Europäer“, sagte Goldschmidt. Doch jüdisches Leben sei in Europa nicht mehr selbstverständlich.

Die deutliche Worte des Karlspreisträgers kamen nicht ganz überraschend. Denn der 60-jährige Chef von über 700 europäischen Rabbinern ist bekannt dafür, dass er Klartext spricht. Das war schon in Moskau so, wo er von 1993 an als Oberrabbiner die darnieder liegenden jüdischen Gemeinden neu aufbaute.

In Russland gilt er als „feindlicher Agent“

Nach dem Überfall Putins auf die Ukraine verweigerte Goldschmidt die Lobpreisung des Kriegs. Anstatt sich zu unterwerfen, ging er ins Exil. Zum „feindlichen Agenten“ erklärte Russland ihn daraufhin. „Wir sehen einen wachsenden Antisemitismus, während Russland zu einer neuen Art von Sowjetunion zurückkehrt“, sagte Goldschmidt Ende 2022 und forderte die Jüdinnen und Juden auf, Russland zu verlassen. In Aachen erinnerte Goldschmidt an die Lage in Russland und rief dazu auf, die dortige Opposition stärker zu unterstützen. „Es geht dabei auch um uns, um unsere Werte, um unsere Freiheit“, sagte er.

Pinchas Goldschmidt wuchs in Zürich als Sohn einer jüdisch-orthodoxen Familie auf. Er studierte in den USA und Israel und wurde 1987 vom Jerusalemer Oberrabbiner ordiniert. Seit seinem erzwungenen Rückzug aus Moskau lebt er in Israel. Weil sich der Sitz der Europäischen Rabbinerkonferenz aber in München befindet, kommt der Chef häufig nach Deutschland.

So sehr Goldschmidt im Kampf gegen den Antisemitismus deutliche Worte findet, so sehr bemüht sich der sieben Sprachen sprechende Rabbiner um einen Dialog mit Christen und Muslimen. Er gründete den ersten pan­euro­päi­schen Rat für muslimische und jüdische Führer (MJLC), um den Dialog zwischen Europas 1,6 Millionen Juden und 40 Millionen Muslimen zu öffnen.

Ja, auch er sehe die Bilder aus Gaza und habe Probleme mit Israels Regierung, sagte Goldschmidt am Ende seiner Dankesrede zum Gaza­krieg. Aber es sei die Hamas, die mit der Freilassung der Geiseln den Schlüssel in der Hand halte. Und Goldschmidt sprach genau diese vier Worte: „Bring Them Home Now“.

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10 Kommentare

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  • Das Judentum ist seit rund 2000 Jahren eben nicht ein Staat. Die klare Trennung von Staat Israel und Judentum sollte doch für jedermann begreiflich sein.

    Treten wir gegen jeden Anflug von religiöser Intoleranz ein. Ja, auch bei Christen, Muslimen, ..., die verfolgt werden, doch nicht zuletzt bei Jüdinnen und Juden.

    Und bleiben wir bei der Politik dabei nüchtern kritisch, wenn die, die wir so gerne als die "Guten" sähen, eine Regierung gewählt haben, die Besatzung aufrechterhält, keine echte Gleichberechtigung gewährt und gerade in die Zehntausende Opfer und Vertreibungsfantasien geht.



    Ja, und die Kritik an Netanyahus Israel darf man aussprechen und, was die Hamas tat, auch. Oder wie in Marokko die Westsahara behandelt wird.

    Vom Staat wieder zum Menschen: Freiheit der Religions- oder Nicht-Ausübung innerhalb des weiten Korridors der anderen Grundrechte, darauf sollten wir achten, universalistisch und nüchtern, mit helfender Hand und unverändert kritischem Kopf ansonsten.

  • Weiß jemand was Goldschmidt zu anti-Israelischen Juden denkt, bzw sagt? Es gibt hunderttausende Juden, orthodox oder nicht, die keineswegs mit Israel sowie der aktuellen Politik dort einverstanden sind..

    • @elma:

      Was verstehen Sie unter antisraelisch? Zu Antizionismus hat sich der Rabi ja geäußert.

      Wo haben Sie Ihre Zahl her ,gibts dazu ne belastbare Erhebung? Oder ist das eine eigene Schätzung ?

      • @Rabenbote:

        Dass man an Nationalismus, einem ethnisch-religiös fundierten zumal, leicht Kritikpunkte findet, sollte offensichtlich sein.



        Dass Ultraorthodoxe zumeist einen Staat Israel vor der Ankunft des Messias deutlich ablehnen (da wurde sich sogar mit der frühen PLO getroffen), ist eigentlich in allen Büchern zum Thema enthalten. Auch die Stimmen der Meretz etc., die Mitgliederzahlen von Friedensorganisation, die Auflagen von gewissen Büchern in Israel, die Teilnehmenden gewisser Demontrationen könnten Sie als Maßstab nehmen.

        Netanyahu hätte gern, dass er für alle Juden oder allein für den Staat Israel stünde. Den Gefallen müssen wir ihm _nicht erfüllen.

        • @Janix:

          Nette Ausführungen doch offentsichtlich keine Antwort auf meine Fragen.

  • Vielen Dank für den ausführlichen Artikel.

    Und ja, die jüdischen Gemeinschaften in Europa haben Angst, wenn man z.B. sieht, was in Berlin passiert: Am vergangenen Freitag zwei gewalttätige Angriffe auf Juden. Bei der Besetzung der FU wurde von Studenten eine Intifada gefordert, also der Massenmord an Juden.

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Intifada bedeutet nicht Massenmord an Juden. Das lässt sich auch ohne Arabisch-Kenntnisse leicht herausfinden.

      • @ecox lucius:

        Und was ist während der letzten Intifada genau passiert?

        Intifada bedeutet Aufstand. Das ist ja nicht per se etwas Schlechtes.

        Die letzte Intifada allerdings ging so:

        Seit Beginn der Intifada (September 2000) wurden bei 143 Selbstmordanschlägen 513 Israelis getötet und 3.380 verletzt. Die Anschläge wurden von 160 Selbstmordattentätern und -täterinnen durchgeführt.

        Aber wer weiß, vielleicht kleben sich bei der nächsten Intifada die Terroristen nur auf Straßen fest.

  • 6G
    600539 (Profil gelöscht)

    "Aber es sei die Hamas, die mit der Freilassung der Geiseln den Schlüssel in der Hand halte. Und Goldschmidt sprach genau diese vier Worte: „Bring Them Home Now“.“

    ..Korrekt ; und gerade heute am 79. Jahrestag der Kapitulation von Nazi Deutschland .



    Wäre doch der perfekte Moment um endlich zu verstehen und von der Hamas weltumspannend zu fordern : Freilassung der Geiseln , Niederlegen der Waffen = Ende des Krieges . ( Der nur aus diesen Gründen startete)

    Ja genau so einfach !



    Warum gehen die Millionen Menschen nicht dafür auf die Barrikaden .



    Das Gegenteil ist der Fall

    Verkehrte Welt , nicht mehr meine.

    • @600539 (Profil gelöscht):

      "nur aus diesen Gründen startete" - leider nein. Der Krieg war immer da, weil weder Hamas noch Netanyahus Regierung einen echten Frieden anstrebten. Beide profitierten und profitieren davon, Menschen gegen Menschen aufzubringen. Beide, und sie handelten und handeln entsprechend.



      Nur mal angedeutet.