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Atomarer Schutzschild für EuropaVon Frankreichs Gnaden

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Ginge es nach Frankreichs Präsident Macron, könnte sein Land dank seiner Nuklearwaffen Europas neuer Schutzherr werden. Wollen die anderen das?

Ups, hab ich das wirklich gefordert? Frankreichs Präsident Macron will einen europäischen atomaren Schutzschild Foto: Ludovic Marin/afp

F alls Russland eines Tages einen EU-Staat angreifen sollte und die EU in die Pflicht zur Gegenwehr genommen wird, kann ein Politiker sagen, er habe von Beginn an gewusst, was vorsorglich zu tun gewesen wäre: Emmanuel Macron. Frankreichs Präsident warnt seit seiner Wahl vor einer verschärften Bedrohungslage und fordert ein „Europa der Verteidigung“. In einem Interview mit zwölf Jugendlichen aus Europa am Samstag wünschte er sich angesichts einer fast imminenten Raketenaggression einen europäischen Schutzschild.

Hoffen wir, dass er mit der Bedrohungslage übertrieben hat. Immerhin hatte er vorausgesehen, dass die USA nicht ewig ihre Rolle als Schutzschild spielen. Die Eventualität einer Wiederwahl von Donald Trump setzt die Debatte über diese Aussicht auf die sicherheitspolitische Tagesordnung. Die Karten im makabren Poker der Abschreckung werden dabei neu gemischt. Und es ist ein bisschen zu durchsichtig, dass Macron blufft, Frankreich könnte dank seiner nuklearen Force de frappe Europas neuer Schutzherr werden.

Wenn also „vitale Interessen“ der EU attackiert würden, wäre ein Einsatz der Atombombe denkbar. Merci beaucoup! Dass das ganze Arsenal an Kriegsmaterial, das derzeit in Europa zwischengelagert ist, für die Konzeption eines gemeinsamen Schutzschilds gegen Langstreckenraketen aus dem Osten eingeplant wird, dürfte allen westlichen Partnern als evident erscheinen.

Doch wer entscheidet über den taktischen Einsatz? Und vor allem: Wer hat das Recht, über die Verwendung von Atomwaffen zu entscheiden? Laut Frankreichs Doktrin darf allein der Präsident auf den „roten Knopf“ drücken. L’État (atomique), c’est moi! ­Macron möchte eine eigenständige europäische Verteidigung mit der Integration französischer Atomwaffen vor allem denjenigen EU-Partnern glaubwürdiger machen, die bisher nur an die amerikanische Schutzherrschaft geglaubt haben.

Zu keinem Zeitpunkt aber erwägt er, andere Staatsführungen einzuladen. Aber wollen diese überhaupt eingeladen werden? Bisher kaum, denn so groß ist die Angst vor einem Krieg mit Russland dann doch nicht.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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6 Kommentare

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  • Ich weiss nicht was ein taktischer Einsatz von Atomwaffen sein soll und möcht es auch nicht wissen, aber ich weiss dass mind. Deutschland aus historisch ganz guten Gründen sowohl durch int. Verpflichtung, als auch würde ich meinen kraft Grundgesetz, von der Entwicklung _oder dem Besitz_ und dem Kommanda von Massenvernichtungswaffen ausgeschlossen ist. Die sog. (symbolische) Teilhabe über NATO wie sie heute existiert widerspricht dem nicht, im Gegenteil ist ja gerade das Ergebnis auch dieser Umstände und auch hier läge alles in der Verantwortung des obersten Befehlshabers, also in dem Fall des US-Präsidenten, aber das ist bei Nuklearwaffen selbstredend immer so. Und geht auch legalistisch wie technisch gar nicht anders. Wo es um Abschreckung geht, glaubwürdige, und effektive sprechen wir jedenfalls von strategischen Waffen, insb. einer Zweitschlagskapazität, diese befinden sich i.A. auf hoher See, genauer darunter und Frankreich hat davon sehr, sehr wenige. Das ist völlig ausreichend auch vor dem Hintergrund, dass es kein denkbares Szenario gibt, fas nicht automatisch die ganze NATO berührte, also auch die USA. Wär ja schön, wenn man mit einer Rakete alle unschuldigen Völker der Welt schützen könnte, aber etwas Realismus wär hilfreich, das ist kein Thema für Spässe. Macron ist ein Quatschkopf vor dem Herrn und im Wahlkampf sowieso, aber das kann Frankreich - und Europa - gar nicht leisten, und wollte es 100%ig auch nicht. Ist eine Phantomdebatte.

    • @Tanz in den Mai:

      Am einfachsten wäre es, wenn Deutschland sich eigene Atomwaffen zulegen würde. Vielleicht einfach die Sprungköpfe den Amis abkaufen. Von den Israelis geht es ja auch.



      Trägerraketen können wir schnell entwickeln. U-BOOTE haben wir auch.



      Also, muss nur noch die Panik in der Bevölkerung und Politik kommen. Wenn die Russen weiter vorrücken und vor Kiew stehen, könnte der Zeitpunkt gekommen sein. Dann muss alles ganz schnell gehen.



      Ging ja jetzt bei vielen Waffensystem so: F-35, Arrow III. Wird dann einfach nur teurer, weil es schnell gehen muss. Aber Deutschland befindet sich seit zwanzig Jahren im sicherheitspolitischen Tiefschlaf. Das rächt sich dann.

    • @Tanz in den Mai:

      Moment, über taktische Atomwaffen entscheidet im Ernstfall in Europa, wenn Artikel fünf gilt, das Nato-Oberkommando.



      Klar, strategische Atomwaffen bleiben national geregelt.

  • Zaubertrank wäre es vom Druiden.



    Die andere Atommacht in Westeuropa sieht sich aktuell nicht mehr in Europa.



    Mmmh.

    Wird die USA aber ernsthaft die ressourcenstarke Gegenküste riskieren? Das US-Bildungssystem ist eigentlich für die Elite noch intakt.

  • Ob "die" das überhaupt wollen?

    Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein US-Präsident Trump ihnen keine andere Wahl lässt...