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Einstieg bei Nuklearfabrik im EmslandRussen könnten „Fakten schaffen“

Der russische Staatskonzern Rosatom könnte in der Brennelementefabrik Lingen bereits am Werk sein, sagen Atomkraftgegner – die Genehmigung fehlt.

Ist Rosatom schon da? Einfahrt zur Brennelementefabrik in Lingen Foto: dpa

Berlin taz | Obwohl das Genehmigungsverfahren noch läuft, soll der umstrittene Ausbau der Brennelementefabrik im emsländischen Lingen nach Angaben von Atomkraftgegnern bereits begonnen haben. Darauf jedenfalls deuteten Beobachtungen vor Ort und Hinweise aus der örtlichen Bevölkerung hin, erklärten mehrere Anti-Atom-Initiativen am Donnerstag. Demnach könnten der Betreiber der Anlage und der dem Kreml unterstellte russische Staatskonzern Rosatom „bereits heimlich Fakten schaffen“.

Die Fabrik gehört dem Unternehmen Advanced Nuclear Fuels (ANF), einer Tochter des französischen Atomkonzerns Framatome. Es hat beim Land Niedersachsen die Erweiterung der Produktion beantragt und will künftig auch AKW russischer beziehungsweise sowjetischer Bauart beliefern. In der EU laufen 19 solcher Reaktoren vom Typ WWER. Bereits vor mehreren Monaten hatte Framatome eine Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Rosatom mit Sitz in Lyon gegründet. Nach Angaben der Anti-Atom-Initiativen stehen seit dem 12. April auf dem Gelände der Brennelementefabrik drei rote Container, die allem Anschein nach mit dem russischen Frachter Baltiyskiy-202 über Rotterdam aus Russland angeliefert worden seien.

Im Gegensatz zu den regelmäßigen Uranlieferungen aus Russland seien diese Behälter nicht mit Gefahrguttafeln gekennzeichnet und enthielten demnach kein radioaktives Material. Zu vermuten sei daher, dass in den Containern Anlagenteile, Maschinen oder Komponenten von Rosatom für die Erweiterung der Brennelementefabrik importiert wurden.

Massive Sicherheitsbedenken gegenüber Rosatom

Hinweisen aus der örtlichen Bevölkerung zufolge besuchten in jüngster Zeit regelmäßig russischsprechende und offenbar in einem Hotel in Lingen untergebrachte Personen die Brennelementefabrik. Dies deute darauf hin, dass ANF/Framatome unter Beteiligung von Rosatom-Mitarbeitern bereits mit vorbereitenden Arbeiten oder sogar mit dem Aufbau von Maschinen begonnen habe, ohne die atomrechtliche Genehmigung für die Erweiterung der Brennelemente-Produktion abzuwarten.„Wenn Framatome/ANF dem Kreml tatsächlich bereits Tür und Tor öffnet und Maschinen und Komponenten des russischen Staatskonzerns anliefern lässt, ist dies eine Ungeheuerlichkeit“, sagt Julian Bothe von der Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt“.

Nicht nur mehr als 11.000 Einwender, sondern auch Landes- und Bundesregierung hätten massive Sicherheitsbedenken gegen den Einstieg von Rosatom in Lingen vorgetragen, unter anderem wegen der Gefahr von Spionage und Sabotage. Die Atomaufsicht müsse den Hinweisen umgehend nachgehen. „Sie muss sicherstellen, dass keine dem Kreml direkt oder indirekt unterstellten Personen Zutritt zur Brennelementefabrik bekommen“, betonte Bothe. „Bereits angelieferte Maschinen und Komponenten müssen konfisziert werden. Das Genehmigungsverfahren darf nicht zur Farce verkommen.“

Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEl (Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen im Emsland) fordert, dass die Bevölkerung umgehend davon in Kenntnis gesetzt werden müsste, sollten russische Behörden beziehungsweise deren Mitarbeiter tatsächlich schon in Lingen tätig sein. Beschäftigte von Framatome/ANF, deren Familien und ihr soziales Umfeld könnten so in den Fokus des russischen Geheimdienstes geraten. Bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit müsse die Atomaufsicht dem Betreiber der Atomfabrik unverzüglich die Betriebserlaubnis entziehen.

Entscheidung über Ausbau in den nächsten Wochen

Framatome ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme zu den Vorwürfen der Aktivisten bis Donnerstagmittag unbeantwortet. Gegenüber dem ZDF-Magazin „frontal“ hatte das Unternehmen aber erklärt: „Während der Produktion von WWER-Brennelementen werden sich keine Russen am Standort Lingen aufhalten“. Wohl aber davor, wie Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) bestätigte.

Framatome habe erklärt, mit russischen Mitarbeitern die Produktion zu starten, „die sollen also die Geräte aufbauen in der Brennelementefabrik, sie sollen die anderen Mitarbeiter schulen“. Meyers Ministerium muss in den nächsten Wochen über die beantragte Ausbaugenehmigung entscheiden.

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3 Kommentare

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  • Ich lese immer wieder "Sanktionen gegen Russland".



    "EU ermittelt werden Verstössen" usw.

    Wenn ich das hier jetzt lese läuft mir vor Lachen einmal mehr das Wasser an den Beinen runter !

    • @Bolzkopf:

      So lange man Profit machen kann, spielen Moral und sonstige Hindernisse keine Rolle, noch nicht mal im Bezug auf Putin.

    • @Bolzkopf:

      Was hat das denn mit Sanktionen zu tun? Ich kenne die genauen Hintergründe nicht, aber dass die Russen in dieser Hinsicht unbedingt auf Anlagen im Emsland angewiesen wären, oder durch diesen Irrsinn etwas sparen sollten, kann ich mir nicht vorstellen. Klingt auch anders und wenn ein Zusammenhang besteht, dann dürfte die Verlegenheit gerade auch den Sanktionen geschuldet sein. Diese Reaktoren werden nun mal auch woanders betrieben. Nun sieht es natürlich nicht gut aus, dass man sich dafür erst mal von den Russen ausrüsten und einweisen lassen muss, sicher kommen so auch noch mal ein paar Emissionen oben drauf, kann man ja auch mal erwähnen. Ist aber kaum zu vermeiden und ich weiss nicht, wem man da einen Vorwurf machen kann. Wissen offenbar auch die nicht so genau, die einfach mal wieder gegen "Atom" sind, aber aus der Richtung erwarte ich ohnehin nichts Konstruktives. Insoweit bedenklich finde ich gerade diesen Vorgang nicht, weder im Sinn der Sanktionsumgehung noch der Gefahr aus Russland, da gibt es nun massig andere Beispiele, die komischerweise wenige bis keine Gemüter erhitzen. Rosatom ist sonst ähnlich angesiedelt wie etwa Roskosmos und im Weltraum ist ja auch nicht jedes alte Band gerissen. Interessiert irgendwie kaum wen, oder wird hingenommen, akzeptiert. Dabei kann man die energetische Versorgungssicherheit Europas durchaus wichtiger finden als z.b. die 538. Stunteinlage zur ISS. Robustheit und Resilienz sind nicht zuletzt Fragen der Infrastruktur. Und ohne diese Sicherheit braucht man sich erst um Gefahren von aussen ja gar keine Gedanken mehr machen. Jedenfalls aus Deutschland ist keine Hilfe mehr zu erwarten, wenn's darum ginge, diese Reaktoren z.b. mal zu ersetzen, Kann man jetzt zum Lachen finden, manche halten das mit ihren eigenen Witzen ja grundsätzlich so.