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Suizidhilfe für psychisch KrankeEin Urteil mit Folgen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Ja, die Verurteilung eines Arztes wird Auswirkungen haben. Doch psychisch Kranke sind durch das Urteil nicht pauschal von Suizidhilfe ausgeschlossen.

Der Arzt Christoph Turowski soll einer an einer schweren Depression erkrankten Frau Medikamente zur Selbsttötung überlassen haben Foto: Jörg Carstensen/dpa

E s war eine Gratwanderung. Wer die Verhandlungstage verfolgte, konnte ahnen, wie ungeklärt die rechtlichen Umstände für die Hilfe zur Selbsttötung in Deutschland sind. Am Ende aber erscheint es vertretbar, dass der Berliner Arzt Christoph Turowski, 74, schuldig gesprochen wurde wegen des Totschlags in mittelbarer Täterschaft. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er der 37-jährigen Studentin Isabell R. auf deren Wunsch hin eine tödliche Infusion legte, deren Hahn sie dann aufdrehte.

Hilfe bei Suizidgedanken

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide. Dies gibt der Pressekodex vor: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Dadurch soll auch verhindert werden, dass es Nachahmer gibt. Ausnahmen sind zu rechtfertigen, wenn es sich um Vorfälle der Zeitgeschichte oder von erhöhtem öffentlichen Interesse handelt. Deshalb haben wir uns entschieden, über diesen Fall zu berichten.

Sollten Sie Suizidgedanken haben, so wenden Sie sich bitte an professionelle Helferinnen und Helfer. Diese finden Sie jederzeit beider Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder auch unter www.telefonseelsorge.de.

Bei Isabell R. erkannte das Kriminalgericht Berlin keine ausreichende „Dauerhaftigkeit“ und „innere Festigkeit“ ihres Suizidwunschs. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Grundsatzurteil zur Sterbehilfe von 2020 bestimmt, dass der oder die Sterbewillige „freiverantwortlich“ handeln muss und der Entschluss zum Suizid von einer „Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ getragen sein müsse, damit die ärztliche Suizidhilfe straffrei bleibt. Die junge Frau hatte zwar in vielen Nachrichten an den Arzt ihren Suizidwunsch bekräftigt und um Hilfe gebeten.

Aber wenige Tage vor ihrem Tod und auch noch am Tag ihres Suizids hatte sie Nachrichten geschickt, in denen sie zwischenzeitlich von ihrem Suizidwunsch abrückte. Dies vor allem galt dem Gericht als Beweis, dass die Frau durch ihre depressive Erkrankung und ihre Stimmungsschwankungen zu stark eingeschränkt war, um als „freiverantwortlich“ zu gelten.

Das Urteil wird Auswirkungen auf die Suizidhilfe haben, weil es künftig kaum Ärz­t:in­nen geben wird, die bei psychisch Kranken bereit sind zur Suizidhilfe. Das ist bedauerlich. Trotzdem kann man nicht pauschal anhand des Urteils behaupten, dass psychisch Kranke dadurch diskriminiert und nun grundsätzlich von Suizidhilfe ausgeschlossen wären.

In diesem speziellen Fall kündigte der vom Gericht vorgelesene Austausch von vielen Mails und Whatsapp-Nachrichten tatsächlich von einer Labilität, die die ärztliche Hilfe zur Selbsttötung im Nachhinein als unverantwortlich erscheinen lässt. Der Fall geht nun vor den Bundesgerichtshof, gut möglich, dass dieser Sicherungskonzepte anmahnt. Zumindest eine Begutachtungspflicht nach dem Vieraugenprinzip wäre angebracht.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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5 Kommentare

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  • "Vertretbar" verharmlost m.E. das hier Geschehene immens. Da wird der Sterbewunsche einer 37-Jährigen vier Wochen nach der ersten Kontaktaufnahme erfüllt, völlig egal, dass sie in ihrer Entscheidung offensichtlich sehr schwankend war.



    Die Verurteilung ist nicht" vertretbar", sie war und ist zwingend geboten, um diese Art Auswüchse künftig so gut wie möglich zu verhindern.

  • Grundsätzlich ist jede psychische Erkrankung therapierbar, gerade bei Menschen die sich nicht in der Geschlossenen aufhalten müssen, müssen alle Mittel und Wege ausgereizt werden.

  • Stimme der Autorin zu - vielleicht sollte aber auch verpflichtende Supervision zum Standard gehören, die Motivation des jeweiligen Arztes, so zu handeln wie er handelt, zu hinterfragen. Gut gemeint kann ja wohl nicht ausreichen, wenn es um Leben oder Tod geht.



    Auch Mediziner können zu Hybris neigen - ohne fachärztliche Expertise sollte nicht entschieden werden dürfen, am besten im Team.

  • Mit Barbara Dribbusch - “vertretbar“ - möchte ich doch einen Schritt weitergehen:



    Halte das Urteil für richtig und kann mit Verlaub die Haltung des Angeklagten zu seiner Tat kaum nachvollziehen.



    Ich bin naturgemäß nicht vom Fach. Aber.



    Als ich die Beschreibung zu dem Mailverkehr etc. las -



    Dachte ich - sorry etwas salopp - “na sojet kennste ja nur zu gut!“



    Ich wills mal - switch on - switch off ♾️ ♾️ ♾️ usw usf …nennen!



    Ein teuflischer Zustand eines circulus viciosus!



    Der einen unauflösbar hinundherbeutelt bis hin zur körperlichen Qual!



    Ohne daß eine Auflösung möglich zu sein scheint!



    (Ein Freund fuhr mich zu einer Klinik zu der ich unbedingt wollte und urplötzlich wollte ich - Tür auf - mitten auf der Autobahn aus dem Wagen springen! Grauenhaft.)



    D.h. - vor allem - frauman ist dabei mit Sicherheit nicht in der Lage „freiverantwortlich“ für sich zu entscheiden •

    kurz - Ohne eine fachkundige Einschätzung eines Dritten war hier die Hilfe zur Selbsttötung - der finale Schritt in die Strafbarkeit.

    • @Lowandorder:

      Anschließe mich - das vier Augen Prinzip wäre das mindeste!