Rechtspopulisten-Tagung in Brüssel: Zwischen Cancel Culture und Freiheit
Ärger um eine Tagung von europäischen Rechtspopulisten: Erst wurde sie abgesagt, dann fand sie doch statt. Die Partei nutzt das als Propaganda.
Kein Wunder also, dass es Ärger gibt, wenn Rechtspopulisten in der Stadt tagen wollen. Die National Conservatism Conference, zu der Rechtsausleger wie Viktor Orbán aus Ungarn und Nigel Farage aus UK geladen waren, sorgte schon im Vorfeld für Aufregung. Doch was dann passierte, passt so gar nicht ins weltoffene Image der Stadt.
Antifaschistische Gruppen riefen zu einem Boykott der Konferenz auf. Daraufhin cancelte das Concert Noble, ein beliebter Treffpunkt im Europaviertel, die Veranstaltung. Auch das Hotel Sofitel im Brüsseler Stadtteil Etterbeek, auf das Orbán & Co ausweichen wollten, sagte ab. Schließlich wich man auf das Claridge in Saint-Josse-ten-Noode aus.
Erst Verbot erwogen, dann doch genehmigt
Doch Bürgermeister Emir Kir hatte Bedenken. Erst erwog er ein Verbot, dann schickte er die Polizei, um den Tagungsort abzuriegeln. Zur Begründung verwies der sozialistische Politiker auf eine mögliche Störung der öffentlichen Ordnung – wobei nicht ganz klar war, ob die Parolen der Rechtspopulisten oder die Proteste der Antifaschisten gemeint waren.
Die Veranstalter wollten das nicht auf sich sitzen lassen. Sie riefen den Conseil d’Etat an und erklärten, sie seien in ihren Rechten beschnitten worden. Brüssel schränke die Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein, hieß es. In einer Nachtsitzung hob das Hohe Gericht die Sperre auf, die Tagung konnte am Mittwoch wie geplant weitergehen.
Rechte bemühen Opfer-Narrativ
Doch der Streit ist damit nicht beendet. Die Rechten nutzen den Vorfall, um sich als Opfer eines repressiven belgischen Staates und einer übergriffigen EU zu präsentieren. Die Cancel Culture greife nun auch in Brüssel um sich, dahinter stecke die europäische Politik, so das rechte Narrativ.
Auch liberale Politiker sind alarmiert. Den Ton gibt niemand Geringerer als der belgische Premier Alexander De Croo an. Auch wenn die kommunale Unabhängigkeit ein Eckpfeiler der belgischen Demokratie sei, könne diese nicht die in der Verfassung garantiere Rede- und Versammlungsfreiheit außer Kraft setzen, schrieb er bei X. Völlig unerwartet kommt De Croos Vorstoß nicht, denn in Belgien herrscht Wahlkampf.
Am 9. Juni wird dort nicht nur das Europaparlament gewählt, es finden auch nationale Wahlen statt. Zu der umstrittenen Konferenz wurden rechte flämische Politiker erwartet, die eine Abspaltung ihrer Region vom französischsprachigen Wallonien fordern.
Das Teilverbot ist Wasser auf ihre Mühlen. Auch in Großbritannien stieß es auf Widerspruch. Eine Sprecherin des britischen Premiers Rishi Sunak nannte das Vorgehen der belgischen Behörden „extrem verstörend“. London steckt noch der Schock des Brexit in den Knochen, den der früherer EU-Abgeordnete Farage herbeigeredet hatte.
Probleme für die EU vorprogrammiert
Sorgen muss sich auch die EU machen. Schließlich ist Orbán nicht nur Rechtspopulist, sondern auch Regierungschef eines EU-Landes. Als solcher nimmt er am EU-Gipfel teil, der am Mittwoch und am Donnerstag in Brüssel stattfindet. Wenn er in Brüssel nicht mehr erwünscht ist, müsste der Gipfel im Prinzip an einen anderen Ort verlegt werden.
So weit will es die EU aber nicht kommen lassen. Sie sieht sich selbst als Hort der Freiheit und der Demokratie. Eine ganze Armada von neuen EU-Gesetzen soll die Europawahl am 9. Juni absichern. Dass nun ausgerechnet in der EU-Hauptstadt Brüssel die Freiheit eingeschränkt wird, kratzt am liberalen Selbstbild.
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