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Prozess um Angriff von BrokstedtEin „böser Teufel“ im Kopf

Im Prozess um tödliche Messerstiche in einem Regionalzug geht es um die Frage: In welchem psychischen Zustand war der Täter? Zwei Ärzte sagten aus.

Verdacht auf eine Psychose: Ärzte von Ibrahim A. sagen aus Foto: Marcus Brandt/dpa

Itzehoe taz | Es war eine Tat, die Schleswig-Holstein erschütterte: Am 25. Januar 2023 stach ein damals 33-jähriger Mann in einem Regionalzug auf Mitreisende ein, tötete zwei Jugendliche und verletzte vier weitere Personen schwer. Seit Juli wird gegen den Mann, der die Angriffe zugibt, verhandelt. Im politischen Raum steht die Frage, ob es durch bessere Zusammenarbeit der Behörden oder andere Maßnahmen möglich gewesen wäre, die Tat zu verhindern.

Vor Gericht geht es vor allem darum, ob der Mann damals unter einer psychischen Krankheit litt oder nicht. Dazu sagten am Montag vor dem Landgericht Itzehoe nun zwei Ärzte aus, die Ibrahim A. vor der Tat während seiner Untersuchungshaft behandelt hatten. Es ging um die Frage, in welchem Zustand er sich damals befunden hatte.

Er habe den Teufel gehört, sagte Ibrahim A. demnach einer Bediensteten im Gefängnis Billwerder – dort saß der Staatenlose, der aus Palästina stammt, für fast ein Jahr in Untersuchungshaft. Entlassen wurde er im Januar 2023, nur wenige Tage vor der Tat im Zug.

Einer der Mediziner, der drogensüchtige Gefangene mit Methadon versorgt, berichtete ebenfalls davon, dass A. von einem „bösen Teufel“ erzählt habe. Aber bei Nachfragen habe es Widersprüchlichkeiten gegeben. „Die Symptome waren sehr wechselhaft. Ich habe den Psychiater nicht beneidet“, sagte er.

Tödliche Messerstiche im Regionalzug: Kein klares Bild

Dieser Psychiater ist Oberarzt des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), der regelmäßig psychisch auffällige Insassen des Gefängnisses behandelt. Ihm gegenüber leugnete A., Stimmen gehört zu haben. Dafür klagte er über ständige Klopfgeräusche, die der Psychiater als akustische Halluzinationen interpretierte.

Zudem stellte er „Auffälligkeiten im Gefühlsleben“ fest: Teils sei A. distanzlos gewesen, teils bei ernsten Themen unangemessen fröhlich, habe manchmal „fratzenartig“ gelächelt. Einmal habe A. von Folter durch die Hamas und dem Tod von Familienangehörigen gesprochen, was auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) hindeuten könnte. „Darüber wollte er aber nicht sprechen, das ist bei dieser Störung ungewöhnlich“, sagte der Zeuge.

Bei einem Treffen habe A. erzählt, er sei traurig, weil seine Mutter gerade gestorben sei – später erfuhr der Psychiater, dass dieser Todesfall lange zurücklag. Einmal beschuldigte er Ärzte und Personal, sie hätten ihn durch die Zellentür beschimpft. Immer wieder wurde A. aggressiv.

Ein klares Bild ergab sich aus diesen Details nicht: „Psychotisches Syndrom, Verdacht auf PTBS, Drogenabhängigkeit, emotional impulsive Persönlichkeitsstörung, möglicherweise eine komplexere Psychose oder Schizophrenie“, fasste der Psychiater zusammen. Eine abschließende Diagnose stellte er nicht: „Ich dachte, ich sehe ihn noch, ich hatte Folgetermine vereinbart.“

Maßnahmen nach dem Angriff in Brokstedt

Aber A. wurde unerwartet entlassen – ein Gericht verfügte, dass die U-Haft bereits zu lang gedauert hatte. Es gab keine Vorbereitung, keine Klärung, wohin der obdachlose A. nun gehen könnte. Zuständig war für ihn die Ausländerbehörde in Kiel. Dort war nicht einmal bekannt, dass A. in Hamburg im Gefängnis saß.

Um seine Papiere auf den neuesten Stand zu bringen, fuhr A. nach Kiel, wurde dort von einer Behörde zur nächsten geschickt. Bevor er sich auf den Rückweg nach Hamburg machte, stahl er ein Messer in einem Supermarkt. Damit stach er brutal und offenbar wahllos auf Mitreisende ein. Auf dem Bahnhof von Brokstedt wurde er überwältigt. Eine junge Frau und ihr Freund starben sofort. Eine schwer Verletzte beging später Selbstmord.

Psychotisches Syndrom, Verdacht auf PTBS, Drogen-abhängigkeit, emotional impulsive Persönlichkeits-störung, möglicherweise eine komplexere Psychose oder Schizophrenie

Psychiater, Oberarzt am Hamburger UKE

Hätte die Tat verhindert werden können, wenn die Behörden besser zusammengearbeitet hätten? Direkt nach dem Vorfall wurden diverse Maßnahmen diskutiert, darunter Waffenverbotszonen an Bahnhöfen und Zügen sowie Bodycams für Zugbegleiter.

Der Hamburger Senat schuf die Funktion von „Übergangscoaches“ für Untersuchungsgefangene, die seit Anfang 2024 arbeiten. Diese Hilfe sei einmalig in der Bundesrepublik, sagt Justiz-Senatorin Anna Gallina (Grüne): „Wir verbessern so die psychologische Versorgung in der Untersuchungshaft.“

Opfer und Straftäter: Mehr Mittel für Betreuung

Auch in Schleswig-Holstein gebe es mehr Mittel für Opferversorgung und psychosoziale Versorgung für Straftäter, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) zum Jahrestag der Tat. Doch es bleibe beim „Klein-Klein“, kritisierte der FDP-Landtagsabgeordnete Bernd Buchholz. Der Informationsaustausch zwischen den Behörden habe sich nicht verbessert.

Während der Aussagen der Ärzte und der detaillierten Nachfragen des Gerichts starrte Ibrahim A. vor sich hin, gähnte, wischte über die Tischplatte. Neben ihm saß ein Dolmetscher, der die Verhandlung übersetzte, doch unklar blieb, ob die Worte A. überhaupt erreichen, ob sie ihn interessieren.

Seit neun Monaten läuft der Prozess in einem gesicherten Saal im Industriegebiet, er wird voraussichtlich noch bis mindestens Mitte Mail fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hält A. für schuldfähig. Ein psychiatrischer Gutachter begleitet das Verfahren. Er fragte die Zeugen unter anderem nach den Folgen eines abrupten Methadon-Entzugs.

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