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Widerstand gegen Putschregime in MyanmarGeneräle verlieren die Kontrolle

Die Militärjunta erleidet mit dem militärischen Verlust der wichtigen Grenzstadt Myawaddy eine weitere Niederlage. Die Kampfmoral der Truppen sinkt.

Ein thailändischer Soldat bewacht im Grenzort Mae Sot die Brücke ins myanmarische Myawaddy, von wo Soldaten zu fliehen versuchen Foto: Steven Note/dpa

Berlin taz | Die seit Tagen auf die Stadt Myawaddy im Südosten Myanmars vorrückenden Rebellen haben die wichtige Grenzstadt am Donnerstag offenbar eingenommen. Kämpfer der Karen National Liberation Army (KNLA) im Bündnis mit Milizen der nach dem Putsch entstandenen Volksverteidigungskräfte (PDF) haben nach eigenen Angaben in der Nacht den Widerstand des letzten dort verbliebenen Bataillons 275 gebrochen.

Augenzeugen bestätigten dies gegenüber Agenturen. 200 Soldaten zogen sich nach Rebellenangaben an eine Brücke zurück, die über den Grenzfluss Moie zur benachbarten thailändischen Stadt Mae Sot führt. Offenbar wollen sie fliehen.

Thailand hat sein Militär dort bereits verstärkt. Schon am Wochenende hatte Myanmar mit Erlaubnis der Regierung in Bangkok ein Flugzeug nach Mae Sot geschickt, um geflohene Juntakräfte nach Myanmar zurückzubringen. Doch flog der Jet thailändischen Medien zufolge wieder ohne Passagiere zurück.

Dienstagabend hatten die Rebellen ihren finalen Angriff auf die Stadt gestartet, nachdem Gespräche über eine Kapitulation des Bataillons ergebnislos waren. Der Angriff löste eine Flucht von Zivilisten über die Grenzbrücke aus. Nach thailändischen Angaben verdoppelte sich dort die Zahl der Einreisenden ins Königreich.

Rebellen kontrollieren auch die Straße nach Myawaddy

Erst am letzten Wochenende hatten die Rebellen den Stützpunkt eines Bataillons in Thin Gan Nyi Naung einige Dutzend Kilometer westlich von Myawaddy eingenommen. Dabei kapitulierten die 400 Verteidiger, die bisher den Zugang zur Grenzstadt kontrollierten, mit 200 Familienangehörigen. Die Rebellen erbeuteten so zahlreiche Waffen und Munition.

Myawaddy hat etwa 60.000 Einwohner und ist vom Handelsvolumen her der wichtigste Grenzort zu Thailand. In den letzten Jahren waren in der Umgebung der Stadt dort zahlreiche Kasinos und Cyberbetrugsfabriken entstanden, an denen das Militär mutmaßlich mitverdiente.

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Vom Hinterland ist die Stadt nur über eine einzige große Straße erreichbar. Da diese jetzt Rebellen kontrollieren, konnte das Militär, das wegen seines Mehrfrontenkrieges landesweit unter Druck steht, seine Truppen nicht verstärken und nur noch einige Luftangriffe fliegen.

Auf Thailands Seite der Grenze leben zum Teil seit Jahrzehnten 90.000 Flüchtlinge aus Myanmar, dem einstigen Birma. Viele gehören zur Minderheit der Karen, von denen viele Christen sind. Die Karen National Union (KNU) und ihr militärischer Arm KNLA kämpfen seit der Unabhängigkeit des Landes 1948 gegen die Zentralregierung und sind die am längsten Widerstand leistenden ethnischen Rebellen im Land.

Alte Rebellen, junge Aktivisten: ein erfolgreiches Bündnis

KNU und KNLA haben seit dem Putsch 2021 viele untergetauchte Aktivisten aus den Städten militärisch trainiert. Umgekehrt haben die zum Teil gut gebildeten Städter ethnischen Rebellen geholfen, nicht nur ihre eigene Waffenproduktion etwa mittels 3D-Drucker zu verstärken, sondern auch schlagkräftige Drohnen zu bauen.

Vor einer Woche wurde erstmals die vom Militär strategisch im Landesinneren platzierte neue Hauptstadt Naypyitaw mit einem Dutzend Drohnen von Rebellen angegriffen. Ziele waren der Flughafen und der Sitz des Putschführers Min Aung Hlaing.

Zwar schoss das Militär nach eigenen Angaben alle Drohnen ab. Dennoch war der beispiellose Angriff ein psychologischer Schlag gegen die Junta. Denn er zeigt ihren Kontrollverlust. Sie gerät immer stärker in die Defensive, nicht zuletzt, weil auch die Kampfmoral der Soldaten sinkt, nicht zuletzt, weil sich auch die Armut der Bevölkerung angesichts der vom Putsch ausgelösten Wirtschaftkrise vergrößert hat.

Umgekehrt konnten die hoch motivierten Rebellen, die keinerlei Unterstützung ausländischer Mächte erhalten, seitdem viele Waffen erobern. Die Junta versucht ihre Truppen jetzt mit einer Wehrpflicht zu verstärken. Doch treibt diese manche Wehrpflichtige auch in die Arme der Rebellen.

Am Donnerstag haben auch in Myanmars Norden mit der Kachin Independent Army (KIA) verbündete Rebellen eigenen Angaben zufolge eine wichtigen Militärstützpunkt erobert. Von dort hatte das Militär den Zugang zur Stadt Hpakant kontrolliert, dem wichtigstem Ort zum Abbau wertvoller Jade. Die erfolgreiche Offensive der anti-diktatorischen Rebellen hatte Ende Oktober im Shan-Staat begonnen.

Thailand rechnet mit vielen weiteren Flüchtlingen

Laut der renommierten myanmarischen Menschenrechtsorganisation AAPPB sind seit dem Putsch am 1. Februar 2021 insgesamt 4.882 Zivilisten vom Militär getötet und 26.510 festgenommen worden, 20.337 sind noch in Haft. 164 Personen wurden seitdem zum Tode verurteilt. Angaben über die militärischen Verluste beider Seiten gibt es nicht, sie dürften aber in die Zehntausende gehen. Es gibt laut UN-Nothilfeageuntur Ocha inwischen mehr als 2,8 Millionen Binnenflüchtlinge.

Thailands Außenminister Parnpree Bahiddha-Nukara erklärte diese Woche, sein Land sei zur Aufnahme von (weiteren) 100.000 Flüchtlingen aus Myanmar bereit. Die Flüchtlinge dürfen aber meist die Grenzregion nicht verlassen und haben kaum legale Arbeitsmöglichkeiten. Das macht sie leicht ausbeutbar.

Laut thailändischen Medienberichten ist die Grenzstadt Mae Sot, wo sehr viele Flüchtlinge aus Myanmar leben, der beliebteste Stationierungsort für thailändische Polizisten. Denn hier lässt sich von Flüchtlingen aus Myanmar leicht Geld erpressen.

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2 Kommentare

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  • Deutschland sollte die Rebellen mit Waffen unterstützen, je mehr global diktaturen in Bedrängnis geraten desto besser.

    • @Machiavelli:

      Ich rate zu mehr Nüchternheit bei Betrachtung det politischen Verhältnisse in Myanmar.



      Was den Widerstand der Opposition gegen die Militärjunta erfolgreich macht, ist die Allianz mit den ethnischen separatistischen Bewegungen - die bringen im Prinzip das militärische Knowhow im Kampf gegen die birmanischen Streitkräfte ein. Sonst würde in dem Land längst “Friedhofsruhe” herrschen.



      Ob das Bündnis über den Tag hinaus zukunftsfähig ist, muss sich erst erweisen. Ich bin da skeptisch.



      Dass unter einem demokratischen Regime in Myanmar Misswirtschaft, Korruption und Machtmissbrauch schnell wieder Einzug halten, das hat leider die Regierungszeit Aung San Suu Kiys gezeigt, in die der Westen seinerzeit viel Hoffnung gesetzt hat.



      Auch den Völkermord an den Rohiyinga in Myanmar hat die ehemalige Friedensnobelpreisträgerin mitzuverantworten. Eine ähnlich gescheiterte Hoffnungsträgerin wie Äthiopiens Präsident Abyi Ahmed Ali.