piwik no script img

Leben im GazastreifenBohnen und Thunfisch aus der Dose

Seine Frau wolle nach Ägypten, schreibt unser Autor in Rafah. Doch das Geld fehlt. „Also sitze ich hier, starre ins Leere und weiß nicht wohin.“

Das Fluchtziel unseres Autors war Rafah. Doch auch hier herrscht Krieg, Foto vom 9. März Foto: Yasser Qudih/Xinhua/imago

M anchmal starre ich einfach stundenlang ins Leere und in meinem Kopf kreist eine Frage: „Wohin sollen wir gehen, wenn Israel Rafah attackiert?“

Ich schlafe kaum noch, vielleicht ein oder zwei Stunden pro Nacht, lese die ganze Zeit Nachrichten, so wie viele. Und dann höre ich Netanjahu, der fest entschlossen ist, eine Bodenoffensive in Rafah durchzuführen.

Tag und Nacht begleitet mich der Gedanke: Es kann jeden Moment losgehen. Bombardiert wird zwar auch jetzt jeden Tag, aber nicht so intensiv.

Im Moment wohnen wir im Zentrum von Rafah. Anders als viele andere, die geflohen sind und in Zeltlagern etwas außerhalb von Rafah leben, konnten wir uns eine Wohnung mieten. Aber sollte das israelische Militär seine Offensive starten, wären wir wohl mittendrin – und es wäre vermutlich der erste Bereich, der evakuiert werden müsste. Wohin dann? Ich weiß es wirklich nicht. Normalerweise gibt es in Kriegen Gegenden, in denen Zivilisten sicher sind. Hier nicht.

Bassam Zaqout

ist Arzt. Der 50-Jährige floh wenige Tage nach dem 7. Oktober mit seiner Frau, seinen zwei Kindern (16 und 14) und seiner 90-jährigen Mutter aus Gaza-Stadt nach Chan Junis. Im Januar sind sie nach Rafah umgesiedelt.

Bis auf Weiteres versuchen wir, so gut klar zu kommen, wie es geht. Ich arbeite als Arzt in einer medizinischen Anlaufstelle bei den Flüchtlingslagern. Am Tag fasten wir, ohnehin würde es nicht für mehr als für ein oder zwei Mahlzeiten pro Tag reichen. Immerhin gibt es etwas zu essen, anders als im Norden von Gaza. Da ist die Situation viel schlimmer.

Wir ernähren uns in erster Linie von Bohnen und Thunfisch in Dosen, Mehl gibt es hier auch. Es ist alles wahnsinnig teuer. Manchmal kann man auch Gemüse ergattern, aber das kann sich kaum jemand leisten. Obst gibt es gar nicht.

„Ich habe Angst vor einer Feuerpause“

Manchmal sitzen wir abends zusammen und sehen uns das Foto von unserem Haus in Gaza-Stadt an. Es ist ein wunderschönes Haus und wir wissen, dass es noch steht. Wir denken an den letzten Geburtstag unserer Tochter, den wir dort verbracht haben, stellen uns vor, dorthin zurückzukehren und malen uns aus, was wir dort tun werden.

Ich mag all das kaum laut aussprechen, denn wer weiß schon, ob es dazu kommen wird.

Wir hoffen weiter, wir können uns nicht erlauben, die Hoffnung zu verlieren. Auch wenn es keine Anzeichen für einen Waffenstillstand gibt. Denn nur ein wirklicher Waffenstillstand kann uns helfen. Eine Feuerpause wäre fatal. Ich habe regelrecht Angst vor einer Feuerpause. Denn nach dem Ende der letzten humanitären Pause sind die Gefechte nur noch intensiver geworden. Das haben wir in Chan Junis gespürt, bis wir schließlich unter Beschuss aus unserem Unterschlupf ins Training-College der UNRWA geflohen sind.

Wohin also, wenn es eine Militäroperation gibt? Fragt man meine Frau, sagt sie: Ägypten. Aber wir müssten pro Person 5.000 Dollar zahlen. Wir haben dieses Geld nicht.

Also sitze ich hier, starre ins Leere und weiß nicht wohin.

Protokoll und Übersetzung: Judith Poppe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Hamas und ihr Nähe kriminelle Banden kontrollieren bis 70% der Nahrungsmittelhilfslieferungen (egal wie viel tatsächlich es ist nach IPC und WFP ein riesen Problem, das WFP hat deswegen im Februar Lieferung nach Gaza Nord eingestellt). Probleme dazu sind auch angeführt worden.

    Preise auf dem Markt und Verfügbarkeit werden sehr unterschiedlich dargestellt, je nachdem ob es Betroffene sind (Mutter im Zelt die mit Kindern kocht: twitter.com/imshin...771193830223515799 bzw. via YouTube mit Untertiteln und Preisen) oder influencer, die Spenden einwerben (twitter.com/imshin...766721583983317091 und twitter.com/imshin...69077577572827461).

    Es gibt auch große Unterschiede zwischen Gaza Stadt und dem Süden. Auf allen werden Hilfsgüter verkauft, statt den Bedürftigen gegeben. Die Strategie des IPC sieht auch vor, Märkte zu nutzen statt Hilfslieferungen. Aber wie erreicht es dann die ärmsten?

    Im Sudan haben wir gerade eine ähnliche Situation in der die Verteilung in der Hungersnot und die Sicherheit der Lieferungen sehr wichtig sind.

  • "Wir ernähren uns in erster Linie von Bohnen und Thunfisch in Dosen, Mehl gibt es hier auch. Es ist alles wahnsinnig teuer. Manchmal kann man auch Gemüse ergattern, aber das kann sich kaum jemand leisten."

    Weshalb sind Lebensmittel so teuer? Ich ging davon aus, dass die palästinensische/Hamas-Seite Lebens- und Hilfsmittel kostenfrei erhält.

    • @*Sabine*:

      Das, was ankommt, ist kostenlos. Aber der Preis indiziert: es ist offenbar zu wenig.

      de.m.wikipedia.org...itle=Preisfunktion

      • @EffeJoSiebenZwo:

        Danke für den Link, den ich mir angesehen habe. Hilfreiche Infos.

        Mich interessiert, wer, einfach ausgedrückt, das Preisschild aufklebt. Diese Leute sollten belangt werden ... Kriegsgewinnler sind eine äußerst unangenehme Spezies Mensch.

        Außerdem schaffen sie sich durch ihre Einnahmen jetzt im Krieg bereits eine Machtbasis, die sie auch nach dem Krieg (vermutlich) zu Lasten ihrer Mitbürger un der Gaza-Bewohner ausnutzen werden.

        Schade, dass die NGOs dem nicht vorbeugen können.

        • @*Sabine*:

          Ich hoffe, Sie untersuchen ebenso die Kriegsgewinnler auf der anderen Seite mit gleicher Verurteilung. Da ist Deutschland auch dabei...

          • @Des247:

            Ja. Kriegsgewinnler sollten auf allen Seiten behindert und gewaltfrei bekämpft werden.

            In Bezug auf Deutschland überlege ich mir, ob die Steuereinnahmen die der Staat von deutschen Rüstungsfirmen erhält, die an Israel verkaufen, höher sind, als die Gelder, die wir über UN, EU und direkt an die palästinensische/Hamas-Seite bezahlen.

            In Bezug auf kostenlose Lebensmittel finde ich es aber doch auch verwerflich, sich die kostenfreien Lebensmittel anzueignen, sie quasi zu stehlen und mit enormen Gewinn an seine eigenen Mitbürger zu verkaufen, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder und Enkel ernähren sollen. Die müssen den hungernden Müttern und Kindern ja Tag für Tag in die Augen sehen und "eigentlich" an ihre eigenen Kinder und Enkel denken. Es sind keine Lebensmittel, die diese Männer durch eigene Arbeit auf dem Feld erlangt haben, sondern Geschenke, die sie dann weiterverkaufen, wo es um Leben und Tod geht.

            Ich verstehe es, wie so vieles, nicht.

  • Sehr interessant, danke.



    Ich hoffe, es wird alles gut.



    Warum aber, fehlt auch hier jegliche Aussage zu dem Anlass diesesr Auseinandersetzung?



    Warum kein Wort zu der Hamas? Wäre das zu gefährlich oder ist das kein Thema?

    • @MIA R.:

      Stellen Sie sich mal vor, Sie sitzen im März 1945 in Schlesien und die rote Armee ist 10km entfernt, dann haben Sie auch andere Sorgen als Gerüchte über Vernichtungslager: wohin fliehen, was mitnehmen, wann zurück?

      Dieser Zeuge spricht allein über sein aktuelles und künftiges (Er)Leben, ganz individuel, ganz persönlich. Mit Politik haben seine Aussagen direkt nichts zu tun.

    • @MIA R.:

      Es geht um die humanitäre Lage und nicht um die politische. Fehlt Ihnen etwas auf dem Sie wieder herumhacken können?

      • @Des247:

        Sie wissen, dass dort immer noch Kinder als Geiseln gehalten werden - nunmehr seit einem halben Jahr. Für einen Vierjährigen ist das eine lange Zeit. Für einen Vierjährigen in den Händen der Hamas ... soweit zur humanitären Lage.

        • @Niemals:

          Ich höre auch nicht aus Israel: ach die armen Kinder/Menschen die dort verhungern, die armen über 7000 grundlos Gefangenen im Westjordanland, die in israelischen Gefängnissen gefoltert werden.



          Höre ich auch nicht !

          • @Des247:

            Gegen die israelische Regierung gibt es Demonstrationen. In Israel gibt es Gruppierungen, die "auf eigene Faust" versucht haben, Lebensmittel nach Gaza zu bringen. Mein Eindruck ist, dass es in Israel durchaus Menschen gibt, die Mitgefühl mit den Bürgern in Gaza haben und hatten.

            Ob "7000 grundlos Gefangene" in "israelischen Gefängnissen gefoltert werden", weiß ich zugegebenermaßen nicht verbindlich. Mir ist selbstverständlich klar, dass es behauptet wird, allerdings kann ich die Glaubwürdigkeit nicht einschätzen.

            "Höre ich auch nicht !"

            Vielleicht hätten Sie das u.a. von der Friedensaktivistin Vivian Silver hören können, wenn sie von der palästinensischen/Hamas-Seite nicht getötet worden wäre. (Weshalb man eine 74-jährige Frau nicht am Leben lassen konnte, erschließt sich mir nicht.)

            • @*Sabine*:

              Da kann ich auch eine interessante Person empfehlen, Rachel Corrie, welche 2003 zu tode kam.



              Die Berichte darüber was sie so gesehen hat und wie sie starb war ziemlich erschreckend.

          • @Des247:

            Wenn Sie mehr über Gefangene und Folter in israelischen Gefängnissen erfahren wollen, kann ich Ihnen ein interessantes Buch empfehlen: Mossab Hassan Yousef, Sohn der Hamas.

        • @Niemals:

          Tja, wenn Netanyahu nicht auf Verhandlungen eingeht und es ihn nicht wirklich interessiert was mit den Entführten passiert ist das eben so!

          • @Des247:

            Ich gehe davon aus, dass sich Herr Netanjahu für die Geiseln interessiert, er aber auch andere Aspekte berücksichtigen muss. Die Vorgänge um den frei gepressten Soldaten Gilad Schalit dürften eine Warnung sein.

            An Stelle von Herrn Netanjahu würde ich auch versuchen, die Geiseln von der IDF, Überläufern und/oder evtl. Nicht-Hamas-Bürgern in Gaza befreien zu lassen, statt für jede Geisel 40 (Mehrfach?)Mörder freizulassen, da ich nicht davon ausgehe, dass die freigepressten Straftäter mit dem Morden aufhören werden.

            Grundsätzlich finde ich Verhandlungen mit Geiselnehmern falsch.

            Auch hierzu ein interessanter, früherer taz-Artikel:



            taz.de/Mit-Terrori...rhandeln/!5034400/

            • @*Sabine*:

              Ein Großteil der befreiten Gefangenen sind eben keine Soldaten,Israel hat das glaube ich sogar für die Zukunft ausgeschlossen.



              Das sind Leute die grundlos verhaftet wurden, oder Kinder die Steine geworfen haben.