Der Hausbesuch: Sie hat den Sog in sich
In den 70er, 80er Jahren fotografiert Gundula Schulze Eldowy in Ost-Berlin und wird berühmt. Es ist nur eine Facette der Arbeit dieser Weltreisenden.
Fotografieren heißt nicht nur: sehen. Es heißt auch: hinter die Dinge und Menschen zu sehen. Das hat Gundula Schulze Eldowy gelernt.
Draußen: Wieder so eine Kreuzung in Berlin: Fünf Straßen, die sich treffen, zwei schmalere, drei breite, eine davon geschwungen, und eine Einfahrt in ein Parkhaus dazu. Für Leute auf dem Fahrrad ist es gefährlich, und auch beim Auto gilt: Das hier ist nur für Fortgeschrittene. Wer an dem Knotenpunkt wohnt, verzichtet auf Blumen auf dem Balkon, weil die Balkone sowieso nicht zu nutzen sind.
Drinnen: Gundula Schulze Eldowy lebt ganz oben unterm Dach in einem der Häuser an der Kreuzung. Die Fenster ihrer Wohnung gehen zum Innenhof. Dort stehen Fichten. Sie kann den Tauben zuschauen, die in den Kronen sitzen. „Wie in Paris“, würden Gäste manchmal sagen. Was stimmt: Sie ist eine Bohemienne. Von dem, was sich auf der Vorderseite des Hauses abspielt, sei nicht viel zu hören, sagt sie. Im Gegenteil, hier herrsche Stille, Weite, der Himmel. Sie kann die Sternbilder lesen. „Ich würde mich auch in der Wüste zurechtfinden.“ Die Wohnung steht voll mit gerahmten Fotos. Zu sehen sind Aktbilder, weil sie gerade welche für eine Ausstellung zusammenstellt, und große Kirchenmalereien, manche in Noppenfolie eingepackt. In einer Ecke ist Platz für einen Sessel, ein Tischchen und eine Bank aus Rattan. Sie sind mit Decken und Kissen geschmückt. Auf einem Regal stehen Skulpturen aus Peru, daneben das kinetische Objekt eines befreundeten Künstlers aus Dresden. Wird es bewegt, schlägt Metall an mit glockenhellem Klang.
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Ein Geschichtenort: Seit DDR-Zeiten wohne sie hier unterm Dach. Früher, als die Deckenbalken noch unsaniert frei lagen, habe sie dahinter die Negative ihrer Bilder vor der Stasi versteckt. Schulze Eldowy ist Fotografin und ihre Fotos aus den 70er und 80er Jahren aus Ost-Berlin, die die Menschen mit schonungsloser Offenheit zeigen, waren den DDR-Oberen nicht genehm. Direktheit strahlen die Leute auf den Schwarz-Weiß-Fotos aus. Und in der Direktheit liegt Unangepasstheit. Da ist keine sozialistische Propaganda, sind keine Potemkinschen Dörfer, stattdessen das unsanierte Berlin von damals, mit Einschusslöchern noch in den Häuserwänden. Heute ist ihre Wohnung vor allem Archiv, denn Schulze Eldowy lebt, wenn sie nicht in Berlin ist und sich um ihr Œuvre kümmert, oft länger in Peru, am Fuße des Cerro Bianco, des Weißen Berges. Sie ist eine Vielreisende. „Ich hab den Sog in mir“, sagt sie, einen, der sie wegzieht. Angefangen aber hat alles in Erfurt.
Erfurt: In der thüringischen Stadt ist sie in den 60er und 70er Jahren aufgewachsen. Es treibt sie um, dass Thüringen ihrer Meinung nach zu Westdeutschland hätte gehören müssen, schließlich sei es von den Amerikanern befreit worden. Dann aber sei das Land der russischen Besatzungszone zugeschlagen worden. „Ich habe mich nie als DDR-Bürgerin gesehen, immer als Deutsche“, sagt sie. „Was ist schon die Frage, wer man sei? Bin ich Erfurterin? Bin ich Thüringerin? Bin ich DDR-Bürgerin? Bin ich Deutsche? Nein, ich bin Weltbürgerin.“
Nestflüchtig: Die Großmutter sei in ihrer Kindheit und Jugend prägend gewesen. Deren Motto: „Schau nach vorne, nie zurück.“ Als eines von fünf Kindern, Gundula war eine Nachzüglerin, sei sie wild und frei aufgewachsen. Mit 15, erzählt sie, trampt sie mit einer Freundin nach Berlin. „Von meinem ersten Berlinbesuch an wusste ich, dass ich dort leben will.“ Ein türkischer Mann habe sie auf der Transitstrecke mitgenommen. Das war für Leute aus der DDR strengstens verboten. „Und nicht nur das, er hatte auch einen Unfall, das Auto überschlug sich.“ Sie und ihre Freundin seien unverletzt geblieben. „Ihr müsst weg hier, wenn die Volkspolizei euch trifft, gibt es Ärger. Sofort war jemand da, der uns mitnahm.“ Abends seien sie vergnügt, mit Prellungen zwar, zum Festival des politischen Liedes gegangen. Den Eltern habe sie davon nie erzählt.
Hauptstadt der DDR: Mit 18 zieht sie nach Ost-Berlin, studiert Werbung, lebt in Berlin-Mitte. „Diese Offenheit der Menschen dort. Diese Direktheit. Auch der Witz. Dieser trockene Witz der Berliner, der ist heute verschwunden.“ In dieser Atmosphäre entstehen ein paar Jahre später die Fotos, die sie berühmt machen und ihr auf der ganzen Welt die Türen öffnen. „Berlin in einer Hundenacht“ heißt der Bilderzyklus; er ist derzeit im Bröhan-Museum zu sehen.
Die Fotografie: Geplant war es nicht, dass Schulze Eldowy, Fotografin wird. Dann aber besucht sie 1977 in Ost-Berlin eine Ausstellung des amerikanischen Fotografen Paul Strand, der ebenso wie sie es später tun wird, Menschen in schwierigem Lebensumfeld mit der Kamera nicht zu seinen Objekten macht, sondern ihnen die Würde lässt. „Als ich aus der Ausstellung rauskam, war ich Fotografin“, sagt sie. Sie besorgt sich eine Kamera. Später studiert sie doch noch Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig
Der Mentor: 1985 besucht der US-amerikanische Fotograf Robert Frank die DDR. Fotografen und Fotografinnen aus dem sozialistischen Deutschland seien Schlange gestanden, um ihm ihre Arbeiten zu zeigen. Schulze Eldowys Bilder soll er lange studiert haben. Dann habe er aufgeschaut und gefragt: „Wollen Sie eine Ausstellung in New York?“ Ihre Bildsprache und seine sind aus einem Guss. „Straight Photography“ nennt sich, was die beiden tun: Hinschauen, aber nicht vereinnahmen. Eine lange Freundschaft entwickelt sich. Fotos von ihr werden aus Ost-Berlin geschmuggelt. Schulze Eldowy gerät in den Verdacht, CIA-Agentin zu sein. „Aber bevor sie auf mich zugreifen, beginnt die DDR zu bröckeln; die Stasi hat anderes zu tun.“ Kaum ist die Mauer auf, holt Frank sie nach New York. Drei Jahre bleibt sie.
Das Beatnik-Girl: In den USA gerät sie ins Umfeld der Beatniks, der Kunst- und Literatengruppe der Beat-Generation, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg formiert hatte. Robert Frank gehört dazu. Schulze Eldowy kann die Namen all der anderen Männer der Gruppe aufzählen, Kerouac, Burroughs, Ginsburg – es klingt, als sei sie mit denen, die damals noch lebten, auf Du und Du. Das Wort Beatnik komme von „beautitude“ – Schönheit und Glückseligkeit“, sagt sie. Darum sei es gegangen. Und um Spontanität, um den Lauf der Dinge, um Vergänglichkeit. Um Underground, Sucht und Kapitalismuskritik auch. Als sie sieht, dass in den USA gerade mit Polaroid fotografiert wird, weil das das Vergängliche betont, holt sie sich eine Polaroidkamera. „Ich kann mich auf dem Absatz drehen und bekomme 360 verschiedene Perspektiven auf ein Geschehen.“ Nichts also ist von Dauer. Alles ist Wahrheit. Nichts ist Wahrheit. Nur der Moment zählt. Und so sind ihre Fotos aus jener Zeit. Gerade tourt dazu eine Ausstellung in der Spinnerei in Leipzig.
Ägypten: In New York wiederholt sich, was schon in Berlin passiert war: Sie schaut sich die ägyptische Sammlung im Metropolitain Museum of Art an, „und als ich rauskam, wusste ich, ich muss da hin.“ Sieben Jahre wird sie in Ägypten leben. „Am Rande der Wüste, Kamel und Pferd vor der Haustür, und jemand, der auf mich aufpasst.“ Dank Bakschisch darf sie mit einer Ausnahmegenehmigung auf und in den Pyramiden fotografieren, tanzen, schreiben. „Ich konnte machen, was ich wollte.“ Dann aber habe sie nicht nur Bilder von den Bauwerken, den Grabkammern und Mumien gemacht, sondern auch dokumentiert, wie Gräber geplündert wurden und von wem. „Es wurde gefährlich.“ Sie zieht zurück nach Berlin und von dort weiter in die Türkei, nach Japan, nach Moskau.
Peru: Im Jahr 2000 hat sie eine Ausstellung in Lima. Jemand erzählt ihr, dass es in den Bergen Perus ebenfalls Pyramiden gebe. „Da will ich hin“, sagt sie. Die Reise wird für sie organisiert. Und als sie dort ist, will sie den Berg besteigen. Ein Einheimischer wird aufgetrieben, der sich auskennt; er ist ein Nachfahre der Moche, einem alten Stamm in Peru. Der nimmt sie an die Hand. Und lässt sie nicht mehr los. „Unsere Begegnung war vorherbestimmt“, sagt sie. Heute lebt sie, wenn sie nicht in Berlin ist, mit ihm auf einer Hazienda am Fuße der alten Kulturstätten mit vielen Tieren, vielen Blumen, vielen Obstbäumen. Mangos, Papayas, Pitahayas, Zitronen, Avocados, Guaven.
Glück: Ungeheuer viel Glück, sagt sie, die kürzlich 70 wurde, habe sie im Leben gehabt. Sie sieht darin eine universalistische Kraft, eine Ewigkeitskraft. In diesem spirituellen Momentum versucht sie, ihr Leben zu gestalten. Glück ist nicht, was man sich erarbeitet, Glück werde einem geschenkt, sagt sie.
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