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Eingesperrte Wisente in NRWSo scheitert Naturschutz

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Das Modellprojekt frei lebender Wildrinder ist am Ende. Ein Kompromiss zwischen den Interessen von Bauern und Tieren wäre möglich gewesen.

Brauchen viel Raum für Bewegung: Wisente Foto: imagebroker/imago

E s ist doch wohl egal, ob in Nordrhein-Westfalen 20 Wisente in Freiheit leben? Wildrinder, die dort schon seit ein paar Hundert Jahren ausgestorben sind, nur durch den Spleen eines adeligen Großgrundbesitzers wieder zurückkehren konnten und die niemand je vermisst hat? Haben der grüne Landesumweltminister Olilver Krischer und der Kreis Siegen-Wittgenstein also ganz pragmatisch das Beste getan, als sie die wilden Tiere in ein Gatter lockten und sie nach über zehn Jahren Leben in Freiheit einsperrten? Nein, das haben sie nicht. Und natürlich ist es nicht egal.

Und zwar nicht nur aus einem ersten Impuls von Gerechtigkeitsempfinden den Tieren gegenüber, die wie immer ungefragt in eine Lage versetzt wurden und sich jetzt bitte wieder in Luft auflösen sollen – sondern auch, weil dieses Projekt darüber entscheidet, ob die deutsche Politik in Sachen Biodiversitätsschutz überhaupt sprechfähig ist.

Denn das Scheitern in NRW ist vor allem ein Scheitern der Umweltpolitik. Ein beherztes Eingreifen des Landes hätte das Projekt zum Erfolg führen können. Die Herde hätte wissenschaftlich begleitet und an das Europäische Erhaltungszuchtprogramm angebunden werden können. Die Umweltminister hätten für das Projekt werben und die guten Empfehlungen des runden Tisches vor Ort umsetzen können. Haben sie nicht, auch der Grüne Krischer nicht. Dass ausgerechnet er sich aus der Verantwortung stiehlt und die Beteiligten und die Tiere sitzen lässt, ist besonders enttäuschend.

Biodiversität zu schützen heißt vor allem, Konflikte zwischen Menschen und Tieren zu lösen – und Konflikte bei der Landnutzung. Das ist bei Nomaden in Ostafrika nicht anders als bei Waldbauern in Südwestfalen. „Unberührte Natur“, die es vor menschlichem Zugriff zu bewahren gilt, ist nichts als eine entfernungsbedingte Sehstörung. Wenn NRW nicht in der Lage ist, die Interessen einer Handvoll Waldbauern mit 20 Wildrindern in Einklang zu bringen, dann zeigt das, dass Deutschland Naturschutz nicht kann. Diese Selbsterkenntnis wäre der erste Schritt zur Besserung.

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Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 72, schreibt über Rohstoffthemen, Chemie und gerne auch den Wald. (Mit-)Autorin verschiedener Bücher, zuletzt eine Stoffgeschichte über Seltene Erden.
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11 Kommentare

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  • Nach meinem Wissen werden in anderen Ländern Europas (Polen,Rumänien) freilebende Wisente durchaus mit Erfolg angesiedelt. In Gebieten mit viel Natur und wenig Besiedlung,die dem ursprünglichen Lebensraum der Wisente ähnlich sind.Diese Lebensräume existieren im dicht besiedelten Deutschland seit teilweise Jahrhunderten nicht mehr- weswegen die Wisente hierzulande ausstarben.Wenn man eine Tierart künstlich in einen für sie nicht geeigneten Lebensraum verpflanzt,der von menschlicher wirtschaftlicher Nutzung dominiert ist und nicht bereit ist für die Folgekosten(=Entschädigungen) aufzukommen,dann ist so ein Projekt eine Totgeburt.Warum sollen dann die Steuerzahler dafür aufkommen?



    Laßt die Wisente dort frei rumlaufen ,wo sie Platz haben und keinem in die Quere kommen.In Deutschland gibt es solche Gebiete nicht,. Dafür hat sich der Waschbär seit 1938 bzw.1945 erfolgreich in Deutschlands Landschaften integriert und gehört dazu wie Islam,Döner und Sushi!

    • @Mustardmaster:

      "Dafür hat sich der Waschbär seit 1938 bzw.1945 erfolgreich in Deutschlands Landschaften integriert und gehört dazu wie Islam,Döner und Sushi!" .. Eher wie BigMac, Trump und die NATO. Der Waschbär stammt aus Nordamerika.

  • Wald in Weide



    Geld auf die Waldbauern werfen.



    Gibts kein klügeres Konzept.



    Im BUND-Heft 1-24 las ich grad gestern: Im Lndkreis Mühldorf hat der BN auf einer ehemaligen Ackerfläche ... eine feuchte Aue entstehen lassen.Rinder und Wasserbüffel sorgen dafür, dass die Fläche nicht zu dicht beschattet wird. Grasfrosch und aandere Amphibien finden hier ideale Laichgewässer.

  • Kompromissbereite Bauern? Die Wut auf das milde Green Deal zeigt, dass es die kaum gibt. Aber die Grünen enttäuschen.

  • Prima Kommentar - trifft wie bei Heike Holdinghausen üblich ins Schwarze. Das Desinteresse der Grünen am Naturschutz schmerzt ganz besonders - bei Antritt der Grünen im Bund und auch in vielen Bundesländern hatten Viele die Hoffnung, dass es sich etwas zum Besseren verändert. Stattdessen Katzenjammer - ich frage mich zudem, ob nicht langsam die Möglichkeiten für eine "Zeitenwende" im Naturschutz schwinden, da auch die fachliche Expertise abzunehmen scheint, Biologen beschäftigen sich mit verwertbarer Mikrobiologie und die Erkenntnis, dass das Weiterleben auf diesem Planeten nicht nur Klimaschutz, sondern auch Naturschutz, Biodiversitätsschutz und vielleicht auch ein paar Rückschritte im Anspruch auf Luxusleben erfordert, scheint komplett zu fehlen.

    • @Axel Donning:

      Das Desinteresse am Naturschutz... im eigenen Land würde ich gerne ergänzen.

      Dem Rest der Welt Ratschläge erteilen, was Naturschutz und ganz besonders den Umgang mit freilebenden Tieren angeht, das ist im Gegensatz dazu so selbstverständlich, dass ich peinlich berührt einfach nur den Kopf schütteln mag.

      • @Schwarmgeist:

        Wenn jedes Jahr ein paar Wisente zum Abschuss freigegeben würden, hätte man die Jägerlobby schon auf der Seite. Großwildjagd in NRW, da würden feuchte Trophäenträume war. Vielleicht müssten in Botsuana sogar ein paar Elefantenbullen weniger dran glauben. WinWin.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Hr. Krischer ist ja leider nicht der erste „grüne“ Minister, der vor der Bauern-Lobby einknickt.



    Er hat ja mit Hrn Albrecht/SH und Cem Özdemir Vorbilder, denen er offenbar diesbezüglich nacheifert.



    Und dann wäre da noch seine Chefin in NRW, die ihm ebenfalls vorgemacht hat, wie man die Interessen großer Lobbyisten vor die Wahlversprechen gegenüber den eigenen Wähler stellt.

    Es wäre wohl an der Zeit, der „grünen“ Partei endlich den Nimbus einer Umweltschutzpartei abzuerkennen.



    Sie löst ihn nicht ein.



    Und bindet gleichzeitig die Wählerstimmen der vielen Menschen, die den Schutz von Natur und Umwelt berechtigterweise für überlebenswichtig halten.

  • Den Unmut kann ich sehr, sehr gut verstehen, aber die Biodiversität fängt nicht beim Wisent an. Die Basis der Flora und Fauna ist bedroht. Wir können über alle Lebewesen diskutieren, die der Nutzung von Flächen weichen müssen, da sind 20 Wisente nur deshalb besonders interessant, weil sie das Thema emotional aufladen und weil sie so gut sichtbar sind. Seit ich zunehmend mehr verstehe, wie komplex Ökosysteme funktionieren, schaue ich sehr gerne an die Basis, speziell dahin, wo mein Fussabdruck in der Natur entsteht, also den Boden, was da so kreucht und fleucht.



    /



    www.biodiversity-e...ngt-dies-zusammen/

  • Ein Kompromiss mit den Handvoll Waldbauern hätte vor allem bedeutet, dass das Land ständig Entschädigungen zahlt. Ein Waldbauer baut Wald an, ein Wisent verwandelt Wald in Weide. Das sind dann sehr viele Eichensätzlinge.

    • @DiMa:

      Sehr guter Kommentar.



      Wie üblich fordert man hier, dass jegliches ideologiegetriebene Thema mit Steuergeldern vorangetrieben wird - egal ob es Sinn macht oder nicht