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EU-Staaten für LieferkettengesetzDeutschland überstimmt

Überraschung! Beim EU-Lieferkettengesetz gibt es eine Einigung, und zwar trotz des Widerstands in der FDP. Jetzt hagelt es Kritik.

Risikosektor Textilindustrie: Arbeiterinnen in einer Fabrik in Dhaka in Bangladesch im Dezember 2023 Foto: Habibur Rahman/ABACA/imago

Brüssel dpa/taz | So richtig zufrieden ist keiner. Von einem „Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit“ sprach der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, die „die Menschenrechte in den Mittelpunkt des eigenen Handelns stellen“ wollte, habe im langen Ringen um das europäische Lieferkettengesetz gelitten, schrieb Amnesty International. Nach viel Hü und Hott unterstützt eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft am Freitag mit. Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten enthielt. Eine Enthaltung in dem Gremium wirkt wie eine Nein-Stimme.

In der Bundesregierung drängte die FDP lange darauf, dass Deutschland nicht zustimmt. Die Liberalen befürchten etwa, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Politiker von SPD und Grünen befürworten das Vorhaben hingegen. Die Unstimmigkeiten hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampel-Koalition geführt.

Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten hatten sich bereits im Dezember auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Damit sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind. Das EU-Parlament muss dem Vorhaben noch zustimmen. Hier gilt eine Mehrheit als wahrscheinlich.

Weil die Einigung aus dem Dezember zunächst keine ausreichende Mehrheit unter den EU-Staaten gefunden hatte, wurde das Vorhaben noch mal deutlich abgeschwächt. Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten.

Geltungsbereich wurde abgeschwächt

Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1.000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An diesen Geltungsbereich soll sich stufenweise herangetastet werden. Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4.000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz. Die EU-Kommission soll eine Liste der betroffenen Nicht-EU-Unternehmen veröffentlichen. Für sie könnten die Vorgaben gelten, wenn sie mit ihrem Geschäft einen bestimmten Umsatz in der EU erzielen.

Zudem wurden demnach sogenannte Risikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird, wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein können. Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren.

Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Die EU-Version geht aber trotz der Abschwächungen über dessen Vorgaben hinaus. So ist im deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind.

Grüne kritisieren FDP

Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini, kritisierte: „Deals zwischen Regierungen und immer weitere Abschwächungen eines ausgehandelten Texts haben das etablierte Gesetzgebungsverfahren missachtet und das Europaparlament düpiert.“ Die FDP habe ihre Blockadehaltung bis zum Schluss beibehalten, obwohl der vorgeschlagene Kompromiss ihren Forderungen entgegengekommen sei. Ein Bundeskanzler, der einen solch großen Schaden zu verantworten habe, sollte seinen europapolitischen Kompass prüfen, so die Grünen-Politikerin.

Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Unterm Strich bleibt das Lieferkettengesetz praxisfern, weil grundlegende Probleme, wie unklare Haftungsregeln außerhalb des eigenen Einflussbereichs bestehen bleiben.“ Es sei aber der FDP zu verdanken, dass das Gesetz an vielen Stellen verbessert worden sei.

Die Richtlinie beruhe „auf wirklichkeitsfremden Vorstellungen und bürdet Unternehmen uneinlösbare Pflichten auf, die einen enormen bürokratischen Aufwand verursachen“, schrieb auch der BDI. Aufgrund „rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken könnten sich Unternehmen aus wichtigen Drittländern zurückziehen“, fürchtet der Industrieverband. Menschenrechten und Umweltschutz werde „durch den Rückzug europäischer Unternehmen kein Dienst erwiesen“.

Die Regelung werde „positive Auswirkungen auf die Menschenrechte bei Unternehmensaktivitaten weltweit haben“, meinte hingegen Amnesty International. „Bitter“ sei jedoch, „dass sich Deutschland enthalten hat, nachdem es zuvor für massive Verschlechterungen im Gesetzestext gesorgt hat. „ Das Gesetz gelte „nun zunächst nur noch für schätzungsweise 0,01 Prozent der europäischen Unternehmen“, kritisierte die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch.

Die Reduzierung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und der Verzicht auf die Nennung von Risikosektoren, sei ein Fortschritt, lobte hingegen der Chemie-Arbeitgeberverband BAVC. „Unter dem Strich“ bleibe „die Richtlinie ungeeignet, sowohl Menschenrechte besser zu schützen als auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft sicherzustellen“.

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5 Kommentare

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  • Das ist halt das grundlegende Problem.



    Da die bösen Bunken immer einen Weg finden, versucht man von vorn herein denen möglichst viele Steine in den Weg zu legen.



    Aber über diese Steine müssen dann halt auch alle anderen steigen ...

  • Wenn man sich enthält kann man nicht übersieht werden.

  • Noch ein Förderprogramm für Großindustrie und gegen wirtschaftlichen Aufschwung in der 3. Welt.

  • Sollen die deutschen Firmen doch froh sein, dass die Konkurrenz in Europa jetzt auch so viel Aufwand treiben muss.



    Das wäre das Argument, warum ich diese FDPselige Herrenclubberei der Lobbyisten nicht einmal logisch verstehe.



    Ja, möglichst wenig Papierkram dabei.



    Ja aber auch zu einem Ende von Kinderarbeit & Co.

    • @Janix:

      Ich habe hierzu ein paar Überlegungen: das Problem scheint weniger die Konkurrenz in der EU, sondern außerhalb der EU.

      Nehmen wir an, Sie wollen ein Produkt in der EU herstellen und z.B. nach Indien exportieren. Während Sie Nachforschungen betreiben müssen, ob ihre Lieferkette sauber ist, muss das Ihr Konkurrent von außerhalb der EU nicht – solange er in der EU nicht aktiv ist, entfallen für ihn Bürokratiekosten, er hat dann entweder eine höhere Gewinnmarge (die er in Produktentwicklung stecken und Sie somit übertrumpfen kann) oder kann sein Produkt billiger anbieten und Sie vom indischen Markt verdrängen. Es ist anzunehmen, dass mit sinkenden Marktanteilen dann natürlich auch der positive Effekt der Lieferkettenprüfung schwindet.

      Das bedeutet nicht, dass Lieferkettenprüfung nicht gut sein kann; bei Dingen die in der EU gar nicht produziert werden können (z.B. Kaffee, Bananen, Kakao) ist da o.G. Problem z. B. nicht gegeben.

      Am Ende könnte sich eine "saubere" EU-Lieferkette ausbilden (5% der Weltbevölkerung), und eine unsaubere für den Rest (95%). "Sauber" in Anführungszeichen, weil das Risiko für Etikettenschwindel (Zertifikatfälschung) besteht.

      Da es Umsatzgrenzen gibt ab denen die Verpflichtung überhaupt es greift, kann es auch so kommen, dass ein problematisches Marktsegment gar nicht mehr von großen dominiert wird (weil sie wettbewerbsunfähig werden), sondern von vielen kleinen Akteuren, die alle peinlichst darauf achten, die Umsatzgrenzen nicht zu überschreiten – mit dem Resultat, dass sich letztlich nichts ändert.

      Sinnvoll erschiene, mit dem Konzept erst einen Testlauf zu machen: für einige wenige Branchen wie z.B. für die Textilindustrie und nicht-EU-Waren einzuführen, und nach einigen Jahren auswerten, wie die Auswirkungen waren. Das bedarf aber einer methodischen Datenerhebung: wenn man gar keine stichhaltige Statistik hat, wie verbreitet Rechtsverletzungen in einer Branche sind, kann man auch später nicht auswerten, ob sich etwas gebessert hat.