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Umgang mit Trans* MenschenLeitlinie für weniger Leid

Eine neue Leitlinie soll künftig eine bessere Versorgung von trans* Menschen sicherstellen. Streit gibt es über Pubertätsblocker.

Trans* Personen, die vor der Pubertät angemessen behandelt wurden, haben eine bessere Gesundheitsprognose Foto: Cavan Images/imago

Berlin taz | Für ein besseres Leben von trans Personen haben 27 Fachorganisationen sowie ein trans Verband und eine Elternorganisation eine neue Leitlinie entwickelt: Sie soll die Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz vereinheitlichen und verbessern. Also von Kindern, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Werden sie nicht gut beraten und richtig behandelt, kann heftiges Leiden die Folge sein, eine sogenannte Dysphorie.

Ziel der erneuerten Leitlinien ist es, Standards zu schaffen, die eine bessere medizinische Versorgung von trans und nicht-binären Kindern und Jugendlichen sicherstellen. Die Fachverbände haben nun bis zum 19. April Zeit, die vorläufige Fassung der Leitlinie zu kommentieren. Die fertige Fassung soll noch in diesem Jahr erscheinen – und damit die 1999 erstmals erstellte und 2013 aktualisierte Leitlinie ablösen. Gültig sind diese Standards in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Ein Kern­element der Neufassung ist die Klarheit darüber, dass Geschlechtsinkongruenz keine psychische Krankheit ist. Internationale Gesundheits­organisationen sind sich darüber schon lange einig. „Allein das damit verbundene subjektive Leiden, [die Geschlechtsdysphorie] wird als krankhaft betrachtet“, heißt es in einer Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).

An der Leitlinie mitgearbeitet hat der Bundesverband Trans* (BVT*), der am Dienstag mitteilte, die Ergebnisse der jahrelangen Gespräche mitzutragen. Sie stellten eine „deutliche Weiterentwicklung“ dar, um trans und nonbinäres Erleben nicht länger zu pathologisieren. Der Verband begrüße, dass Diskriminierung in der Leitlinie gesondert thematisiert werde. „Die Diskriminierung von trans* Personen im Alltag und deren Folgen für die psychotherapeutische Begleitung werden so sichtbar und besprechbarer gemacht“, sagt Mari Günther vom Vorstand des BVT*.

Konflikt um „Pubertätsblocker“

Ein viel diskutierter Punkt ist der Einsatz von Hormonen als „Pubertätsblocker“ bei Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie. Die Medikamente können Jugendlichen und den behandelnden Me­di­zi­ne­r*in­nen Zeit verschaffen, um die weitere Behandlung bei verzögerter körperlicher Entwicklung gemeinsam abzuwägen.

Heikel ist hier, dass einerseits wissenschaftliche Langzeitstudien fehlen. Für manche Länder ist das ein Grund, diese Medikamente nur sehr selten einzusetzen. So vergibt Großbritannien nur bei klinischen Studien Pubertätsblocker, schreibt die AWMF.

Doch auch die körperliche Selbstbestimmung von unter 18-Jährigen soll sich in den neuen Leitlinien spiegeln. Der an der Leitlinie federführend beteiligte Arzt Georg Romer vom Universitätsklinikum Münster betont in einem Interview beim Journalismusportal Riffreporter, Voraussetzung für Pubertätsblocker sei eine „hohe diagnostische Sicherheit“.

Verweigerten oder verzögerten Ärz­t*innen dann trotzdem die Vergabe, hätten Betroffene „meist einen sehr langen vorprogrammierten Leidensweg vor sich“. Erste Studien zeigten, dass Menschen, die vor der Pubertät angemessen behandelt wurden, eine „deutlich bessere Gesundheitsprognose“ hätten, so Romer.

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5 Kommentare

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  • Und wider einmal wird hier nur die halbe Geschichte erzählt....

    Was die Langzeiterfahrungen mit Pubertätsblockern angeht: Die hierfür verwendeten Medikamente werden seit Jahrzehnten bei kindern und Jugendlichen mit anderen Diagnosen angewendet. Ohne einjährigen Alltagstedt und dem damit verbundenen wangsouting etc. Es gibt genug Daten von cis Kindern und Jugendlichen dazu.



    Dass Länder wie GB die Gabe von Pubertätsblockern für trans Kinder so restriktiv gestalten hat vor allem mit der dort vorherrschenden anti trans Politik zu tun.

    Zur Irreversibilität: Die körpereigene Pubertät ist auch irreversibel. Kinden wird duch die Blocker Zeit gegeben sich später selbstbestimmt zu entscheiden, wie sich ihr körper entwickeln wird. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn sie sich dafür entscheiden ohne weitere interventionen zu pubärtieren ist das ohne weiteres möglich. Hier von "Irreversiblen Eingriffen" zu sprechen ist schlicht transfeindliche Rethorik.

    Cis Personen müssen endlich mal begreifen, dass sie nicht beurteilen können was für trans Personen gut ist und was nicht, ob eine Person trans ist oder nicht und dass ihre negativen Gefühle gegenüber Dingen die trans Personen mit ihren Körpern so anstellen vielleicht ganz andere Ursachen haben. Die unantastbarkeit des Körpers und der Begriff der Natürlichkeit, beides tief verwurzelt in einem weiß-christlichem Menschenbild, ist am Ende auch nur ein Kunstbegriff.

    Wir leben immer noch in einer Gesellschaft in der trans Personen einen großen Teil ihrer Gesundheitsversorgung schlicht über den Schwarzmarkt abwickeln weil das Versorgungsszstem so hohe Hürden hat die nicht dem Wohl von trans Personen dienen (denn das können cis Personen schlicht nicht beurteilen) sonden nur aufgrund von cis Befindlichkeiten bestehen.

  • Ich bin sehr skeptisch, was irreversible Eingriffe im Jugendalter betrifft. Gerade in der Pubertät sind die Leute oft voll in der Identitätsfindung und in der überwältigenden Mehrheit regelt sich das mit der Zeit von alleine mit der Selbstakzeptanz. In dem Alter können sich Menschen nicht richtig vorstellen, was "irreversibel" wirklich bedeutet. Nämlich Endgültigkeit für den Rest des gesamten, noch ca. 70 Jahre bevorstehenden Lebens.

    • @Luftfahrer:

      Geschlechtsdysphorie und Geschlechtsdysphorie können bereits im Kindesalter auftreten (im Extremfall ab 2-3 Jahren). In solchen Fällen ist die Erfahrung laut Leitlinie, dass sich bis zum 13. Lebensjahr deutlich zeigt, ob eine Geschlechtsinkongruenz persistiert. Das hat mit üblichen Problemen Jugendlicher bei der Identitätsfindung rein gar nichts zu tun. Wir sprechen hier von einer Veranlagung, die zu schwerem Leid und erheblichen Gefahren für die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen führen kann, wenn nicht gehandelt wird. Dennoch werden irreversible Transitionsschritte, von denen Sie sprechen, so weit wie möglich hinausgezögert. Pubertätsblocker, als prinzipiell reversible Maßnahme, sind eine Möglichkeit.



      Eine gesicherte Diagnose ist in jedem Fall unabdingbar für jede Entscheidung. Abgesehem davon sind bei Minderjährigen die Eltern in alle Entscheidungen einbezogen.

  • Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und gerade Trans*Personen sind fast immer Diskriminierung, Gewalt und Schlimmerem ausgesetzt.



    Insofern ist es wichtig und richtig, sich für eine Verbesserung ihrer Lage einzusetzen.



    Gleichzeitig ist die Frage von Pubertätsblockern ein Abwägen zwischen zwei Optionen, die bleibende Schäden verursachen können. Werden keine Blocker verschrieben, leidet der junge Mensch weiterhin seelisch und die äußere "Anpassung" wird niemals so gut gelingen, wenn sie erst bei einem körperlich voll entwickelten Körper begonnen wird.



    Eine längerfristige Medikation führt allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit dazu, dass körperliche Schäden entstehen (verminderte Knochendichte, erhöhtes Krebsrisiko, verminderter Körperwuchs, you name it). Zudem kann diese Behandlung ebenfalls schwere seelische Belastungen mit sich bringen, selbst wenn erst mal keine körperlichen Schäden eintreten.



    Durch gesetzliche Regelungen hat sich die Gesellschaft darauf geeinigt, dass Kinder und Jugendliche nicht in der Lage sind, ohne elterliche Zustimmung zu entscheiden, welche Schule sie besuchen, ob sie Ohrlöcher stechen lassen können, und nicht bzw. nur eingeschränkt wahlberechtigt und geschäftsfähig sind - wieso sollten sie in der Lage sein, eine solche Entscheidung wirklich bis zum Ende durchzudenken?



    Insofern ist eine individuelle Abwägung von Risiken und Möglichkeiten die am wenigsten schlechte Lösung.



    Die Brutalität, Hysterie und Unsachlichkeit, mit der diese Debatte derzeit geführt wird (sowohl von Aktivist*innen als auch von "Kritiker*innen") hilft niemandem - am wenigsten denjenigen, die selbst betroffen sind.

    • @Ach so, na ja:

      "wieso sollten sie in der Lage sein, eine solche Entscheidung wirklich bis zum Ende durchzudenken?"



      Sind sie (je nach Alter) nicht, das wird in der Leitlinie klar und deutlich artikuliert und diskutiert.



      Sie sind aber auch nicht in der Lage, die Konsequenzen durchzudenken, wenn nicht gehandelt und stattdessen bis zur Volljährigkeit ausgesessen wird. Und die Konsequenzen können für die Jugendlichen verheerend sein.



      Es braucht, wie Sie schlussfolgern, eine informierte gemeinsame Entscheidung der Kinder / Jugendlichen, ihrer Eltern und der Ärzte.