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Tarifeinigung GDL und Deutsche BahnDrei Stunden weniger Knechtschaft

Die Lokführer der GDL haben sich mit vielen Forderungen gegen die Bahn durchgesetzt: Arbeitszeitverkürzung, Inflationsausgleich und Lohnerhöhung.

Ein Lokführer auf dem Bahnsteig in Berlin – die GDL hat sich mit vielen Forderungen gegen die Bahn durchgesetzt Foto: Nadja Wohlleben/reuters

Berlin taz | Zu einer gemeinsamen Präsentation ihrer Einigung reichte es für die Deutsche Bahn (DB) und die Lokführergewerkschaft GDL dann doch nicht. Ein Novum: Am Dienstag ging zunächst um 10 Uhr DB-Verhandlungsführer Martin Seiler vor die Presse, um 11.30 Uhr folgte GDL-Chef Claus Weselsky. Ihre Sicht auf den Kompromiss wich deutlich voneinander ab.

Die Kernpunkte des neuen Tarifabschlusses: Der Lohn für die Lok­füh­re­r:in­nen und die Zug­be­glei­te­r:in­nen steigt in zwei Stufen um insgesamt 420 Euro brutto pro Monat. Außerdem gibt es eine Inflationsausgleichsprämie von 2.850 Euro. Die Referenzarbeitszeit – also die Regelarbeitszeit – wird für die im Schichtdienst Beschäftigten in mehreren Etappen von jetzt 38 auf 35 Stunden abgesenkt – bei vollem Lohnausgleich. Möglich ist es, länger zu arbeiten, und zwar bis zu 40 Stunden. Dafür würde der oder die Beschäftigte 2,7 Prozent mehr Lohn für jede zusätzliche Stunde bekommen.

Von einem „intelligenter Kompromiss“ sprach DB-Personalvorstand Seiler: „Wir haben nach langem Ringen und einem schwierigen Tarifkonflikt eine Lösung gefunden“, sagte er. „Wir haben uns nun auf einen Arbeitszeitkorridor verständigt, der am Ende im Jahr 2029 von 35 bis 40 Stunden geht.“ Die DB habe „von Anfang an gesagt, ein bloßes Überstülpen einer 35-Stunden-Woche halten wir nicht für modern“, jetzt gebe es ein „innovatives Optionenmodell“, schwärmte Seiler.

Demgegenüber verwies Weselsky darauf, dass die DB über eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit ursprünglich überhaupt nicht verhandeln wollen. Dass es der GDL nun gelungen sei, „gegen den heftigen und letztendlich unnützen Widerstand der DB“ perspektivisch die 35-Stunden-Woche ohne Ent­gelt­reduzierung durchzusetzen, sei ein „historischen Durchbruch“.

Wermutstropfen für die GDL

Was die vereinbarte Möglichkeit zur Mehrarbeit betrifft, verwies Weselsky darauf, dass die GDL genau dieses Modell bereits zuvor mit 29 kleineren Verkehrsunternehmen vereinbart hatte. Diese Flexibilität hätte ihr also nicht mehr abgerungen werden müssen. Zu den Tarifverständigungen mit den kleineren Unternehmen gehörte auch ein früherer Einstieg in die 35-Stunden-Woche, ab 2028 sollte sie dort gelten. Hier greift nun allerdings eine Wettbewerbsklausel, die eine Anpassung an den DB-Tarifvertrag zur Konsequenz hat. Das bedeutet: Auch dort wird die 35-Stunden-Woche erst ein Jahr später, nämlich 2029, kommen.

Ein weiterer Wermutstropfen für die GDL: Die geforderte Ausweitung des Geltungsbereichs ihrer Tarifverträge auf die Beschäftigten in der Infrastruktur wird es nicht geben.

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10 Kommentare

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  • Bravo!



    Ein erster Schritt ist hier gemacht.



    Ich glaube allerdings, dass wir flächendeckend zur 35 Stunden-Woche kommen müssen, schon weil wir bis 67 arbeiten müssen. Langfristig geht nach meiner Auffassung nur die 32 Stunden-Woche.



    Die Produktivität ist über Jahrzehnte gestiegen, die Löhne selbst im DGB-Bereich zu schwach gestiegen.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Ein Verdienst 44.000 bis 52.500 für die überschaubar komplexe Tätigkeit eines Lokführers (Ausbildung als Querseinsteiger dauert 10-12 Monate) klingt irgendwie nicht nach Knechtschaft.

    www.deutschebahn.c...uehrer_in-data.pdf

    Schichtdienst und hohe Verantwortung müssen auch Intensivpflegekräfte leisten, die solche Einkommen sicherlich nicht als Knechtschaft interpretieren würden.



    Unverantwortliches Jammern auf hohem Niveau.

  • Seltsame Wortwahl. Ich habe Bahnbeamtinnen kennengelernt, die ein recht angenehmes Arbeitsleben haben.

  • Ein interessantes Statement: Die Lokführer leben (und arbeiten so wohl) in Knechtschaft. Nach meiner Einschätzung aus Beichten in seriösen Medien des 'Knechtschaftsfaktors' der Lokführer leben und arbeiten wohl ca 3/4 aller Arbeitnehmer in Knechtschaft. Grund für die Einschätzung ist die Entlohnung und die Arbeitssituation dieser absoluten Mehrheit. Bei etwa 75% trifft also Knechtschaft zu.

    • @fvaderno:

      Na dann werden wir noch viel zu tun haben, um diese 75% zu bekämpfen.

      8h Arbeit, 8h Freizeit, 8h Schlafen. Perfekte Work-Life-Balance.

      Schließlich ist der Mensch kein Arbeitstier. Wir sind weder Ameisen, noch Bienen. Unser Gehirn benötigt Ruhe, und Menschen sind anders sozialisiert. Menschen benötigen Zeit in der sozialen Teilhabe, z.B. der tägliche Kneipenbesuch oder ins Kino gehen.

  • knechtschaft"? das ist das pauschale pamphletische "arbeit ist doof" Klischee? Wie denkt der Autor denn über seine Arbeit für die Taz? Das ist ziemlich platt die Arbeitenden bei der Bahn einfach damit zu verunglimpfen, dass sie dort nur gezwungenerweise Arbeiten. Vielleicht mögen sie ja ihren Beruf, finden ihn wertvoll aber wollten halt einfach die Bedingungen verbessern?

    • @Jona:

      Etwas ähnliches wollte ich auch schreiben. Vor allem da die Knechtschaft sich durch die Rechtlosigkeit des Knechts auszeichnet. Aber der Tarifabschluss zeigt ja gerade, das die Lokführer Rechte haben und diese durchsetzen können. Eine selten dämliche Überschrift.

    • @Jona:

      Wollte gerade ähnliches posten. wer sich geknechtet fühlt, kann jederzeit den Job wechseln....

    • @Jona:

      Auch taz-Redakteure können der Click-bait-Versuchung offenbar nicht widerstehen ;-)

  • Wenn schon das Steuersystem immer mehr die Arbeitenden belastet (und die Bonzensprößlinge belohnt), dann müssen wenigstens die Lohnabschlüsse das korrigieren.



    Ich habe mir bei Spiegel ein komplettes Interview mit Weselsky angehört. Ich war verblüfft, wie kontrolliert-sachlich er da war, gegen jegliches Medienbild von ihm.