Ausstellung zur alten BRD: Früher war mehr Auslegware

In Frankfurt schöpft der Wiener Künstler Julian Turner das Beste aus einer Vergangenheit. Diese alte Bundesrepublik hat es so wohl nie gegeben.

Ein Raum mit brauner Wand, ein oranges Regal an der Wand, darüber ein Gemälde mit einer Frau im Anzug, links im Bild ein Bürotisch, im Hintergrund ein Schaufenster, das auf die Straße blickt.

Julian Turner, „Am Ende des Ganges“, Installationsansicht Foto: Wolfgang Günzel / FILIALE & Julian Turner

Es stimmt schon: Früher war mehr Auslegeware. Tageslichtschluckend nicht nur die Bauten, sondern auch die Farben – tiefes Braun in allen Schattierungen schmeichelte dem Höhlenmenschen der modernen Welt, der allerdings auch sattes Orange zu schätzen wusste. Und gab es nicht damals diese eine versteckte Tür in dem Schuhgeschäft, eingekleidet in die Teppichwand, wie ein Geheimnis, auf das man ruhig stoßen sollte beim zweiten Hinschauen?

Entsprechende Erinnerungen, wahre oder solche der Kategorie False Memory, ruft Julian Turners Schau „Am Ende des Ganges“ in der Galerie Filiale wach. Allerdings inszeniert der Wiener Künstler kein Reenactment. Eher scheinen die unbenannten Jahrzehnte einer westdeutschen Vergangenheit als allgemeines atmosphärisches Kolorit zu dienen.

Vorbild für die Rundum-Wanderverkleidung fand der Künstler so in einer Filiale der Kreissparkasse Villingen-Schwenningen, deren Steinverbundplatten er malerisch von Hand reproduzierte und das abfotografierte Resultat abermals als Wandverkleidung anbrachte. Ein gutes Beispiel, wie wacklig das Terrain ist, auf dem man in dieser Landschaft der Attrappen und Pastiches watet.

Ein Uncanny Valley mit analogen Mitteln, bei allem Anarchohumor feinsinnig umgesetzt – oder eher mit groben Mitteln fein gemacht. Was dreidimensional war, verflacht der Künstler in die zweite Dimension, um dann aber einzelne Elemente aus seinen Arbeiten reliefartig herauszuholen.

Julian Turner, „Am Ende des Ganges“, bis 13.4., Galerie Filiale, Frankfurt

So steckt man vielleicht just im Zwischenraum irgendeines doppelten Bodens fest und übersieht glatt den Manet, der sich da – als eigentlich noch viel größerer Künstlerwitz – in Form der Arbeit „Deux Bars“ vor einem auftut. Oder einen Vermeer – den Elefantenpopo als motivische Rahmung hat Turner dem Szenario freilich selbst angedichtet.

Herzzerreißend verzagt dreinschauende Protagonistinnen

Wie seine malerische und skulpturale Arbeit sich überhaupt aus allen möglichen Versatzstücken zusammensetzen kann – die holländischen Essautomaten, die gleichsam betitelte „Magische Schütttechnik“ aus der Ferrero-Werbung, Archivbilder eines Reisebüros. Denen entstammen auch einige der herzzerreißend verzagt dreinschauenden Protagonistinnen, die Turner in seine eh schon reichlich seltsamen Szenerien setzt.

„Am Ende des Ganges“ erscheint als präzise Formulierung von etwas völlig Vagem. Vielleicht das Inszenierte einer vergangenen Ära, die in historischem Rückblick so verführerisch komprimiert und widerspruchsfrei erscheint, mit all ihren uneingelösten Verheißungen und Widersprüchen re-inszeniert.

Ein mindestens optischer Gegenentwurf zum gestalterischen „What You See Is What You Get“, mit dem maximale Transparenz, Hyperanpassungsfähigkeit und Hierarchielosigkeit zum Dogma erhoben wird (modulare Büromöbel für modulare Menschen). Stattdessen Rekurs auf eine Ära, in der das Einkaufen noch geholfen hat (und das Rauchen auch). In der die Kreissparkasse einen unwiderstehlichen Optimismus verströmte. Und wenn doch bloß alles Sperrholz und Tand war, dann wurde immerhin noch eine hübsche Fassade geboten.

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