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Kanadischer Comedian zum 7. Oktober„Der Backlash spornt mich nur an“

Der Comedian Daniel-Ryan Spaulding engagiert sich für die von der Hamas entführten israelischen Geiseln. Nicht alle seine Fans finden das gut.

Daniel-Ryan Spaulding unter der Berliner Hochbahn. Glücklich ist er nicht mehr in der Stadt Foto: Nicholas Potter
Nicholas Potter
Interview von Nicholas Potter

Daniel-Ryan Spaulding ist gerade mit dem Nachtflug aus New York wieder in Berlin gelandet. Fünf Monate war er im „Big Apple“, er hat dort vor ausverkauften Sälen performt, war bei der UNO zu Gast, machte mit seinem Aktivismus unermüdlich auf das Schicksal der Hamas-Geiseln aufmerksam – auch beim Sundance Film Festival. Spaulding trägt eine militärische Hundemarke um den Hals, „Bring them home!“ steht darauf. Auf dem Weg zu einem Café in Kreuzberg winkt ihm ein Spätibetreiber zu und fragt ihn, wie es ihm geht. An der nächsten Straßenecke fragt ein Bäcker, wo er denn die vergangenen Monate gewesen ist.

taz: Herr Spaulding, willkommen zurück. Haben Sie Berlin vermisst?

Daniel-Ryan Spaulding: Ehrlich gesagt, nein.

Im Interview: Daniel-Ryan Spaulding

Daniel-Ryan Spaulding wurde 1985 im kanadischen Vancouver geboren. Der Comedian lebte zunächst in Amsterdam und Oslo, bevor er 2018 nach Berlin zog. Dort wurde er schnell zur Social-Media-Sensation – mit viralen Youtube-Videos über das Berghain und den Bürokratiedschungel der Ausländerbehörde.

Im Oktober 2023 zog er nach New York – und schaffte mit seiner Show „Power Gay“ den Durchbruch in den USA. Seit dem 7. Oktober engagiert er sich für die Freilassung der Geiseln der Hamas und gegen Antisemitismus.

Am 4. April nimmt Daniel-Ryan Spaulding an einer Podiumsdiskussion in Berlin teil, Titel: About Antisemitismus – A lack of empathy? Mit Ronya Othmann, Nicholas Potter, Moderation: Anastasia Tikhomirova. Beginn 19 Uhr im://about blank, Markgrafendamm 24c, 10245 Berlin.

Warum nicht?

Ich habe 112 Kilo abgenommen, bin jetzt trocken. Ich fühle mich, als könnte jetzt endlich mein authentisches Selbst sein und das Leben führen, das ich schon immer führen wollte. Und New York ist für mich ein Neuanfang.

Mit Berlin sind Sie also durch?

Die ersten zwei Jahre in Berlin waren aufregend, aber nach der Pandemie ging es mir mental nicht gut und mir machte die Stadt keinen Spaß mehr. Meine Freun­d*in­nen und ich haben uns auseinandergelebt, vor allem die aus der Partyszene, weil ich nüchtern bin. Und dann kam der 7. Oktober, der mein soziales Leben hier kaputt gemacht hat. Manche wollen mit mir nichts mehr zu tun haben.

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel haben Sie sich aktiv und lautstark für die israelischen Geiseln eingesetzt – und gegen Antisemitismus. Warum ist Ihnen das wichtig?

Ich wusste eigentlich ziemlich wenig über Israel, bis ich 2019 zum ersten Mal dort war. Meine Vorstellungen vom Konflikt waren teilweise komplett falsch. Ich wusste etwa nicht, dass der islamistische Dschihad überhaupt eine große Rolle spielt. Ich fragte mich, ob es überhaupt ethisch ist, dort zu performen – aufgrund der Boykottbewegung BDS. Das einzige Bild, das ich im Kopf hatte, war das von radikalen israelischen Sied­le­r*in­nen in der Westbank.

Woher das Umdenken?

Ich lernte immer mehr Juden und Israelis kennen. Das will BDS durch Boykott nämlich verhindern: dass man im Austausch bleibt, einander kennenlernt. Nach dem 7. Oktober habe ich aber begriffen, wie sehr viele Menschen Juden und Israel hassen. Freun­d*in­nen haben den Terror der Hamas zu einer Widerstandsbewegung erklärt. Ich postete ein Video auf Instagram, in dem ich ganz klar sagte: Wer das Abschlachten von Kindern oder Vergewaltigungen von israelischen Frauen gerechtfertigt findet, soll mir entfolgen.

Gab es einen Backlash? Haben Sie Freund*innen, Fans, Follower verloren?

Seitdem habe ich 20.000 Follower auf Instagram verloren, dafür aber 120.000 neue dazugewonnen. Damit kann ich gut leben. Ich engagiere mich für die Geiseln und gegen Terrorismus nicht für Fame, sondern weil es richtig ist. Und dafür werde ich angefeindet. Nach diesem ersten Video wurde mir klar, wie tief der Hass sitzt – und dass Antisemitismus ein wesentlicher Motor davon ist. Der Backlash spornt mich aber nur weiter an.

Was sagen Sie Ihren Kritiker*innen, die bemängeln, dass Sie zu einseitig proisraelisch seien?

Ich bin auch propalästinensisch, weil ich pro Menschen bin. Ich will, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Sicherheit leben können. Und natürlich will ich keinen Krieg – das wünschen sich nur böse Menschen. Mein Problem ist mit Hamas, einem radikalen Todeskult. Der Konflikt ist kein Fußballspiel, wo man sich für ein Team entscheidet. Ich fühle mich aber mit Israel verbunden, weil ich dort viel Zeit verbracht habe und dort viele Menschen kenne. Es ist die einzige Demokratie in Nahost, ein Land, wo Schwule, Lesben, Frauen und andere marginalisierte Gruppen viele Rechte haben.

Teile der queeren Community werfen Israel „Pinkwashing“ vor – LGBTQ*-Rechte seien also lediglich eine Ablenkung vom Leid der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen.

Israel hat LGBTQ*-Rechte, weil Menschen dafür gekämpft haben. Der Pinkwashing-Vorwurf ist nicht mehr als Propaganda, um die Szene dort zu diskreditieren. Er ist eine Verschwörungserzählung. Und er erweist Schwulen und Lesben in Israel, die eine lebendige Community aufgebaut haben, einen Bärendienst. Ich finde den Begriff daher antisemitisch und homo­feindlich.

Fühlen Sie sich mit Ihrer Haltung nach dem 7. Oktober noch willkommen in der Berliner queeren Community?

In der schwulen Szene schon. Aber in der queeren Community weniger. Da sehe ich immer mehr Virtue Signalling, also eine bewusste Zurschaustellung vermeintlicher Tugenden, um zu signalisieren, dass man zu „den Guten“ gehört. Es ist eine Form von moralischem Narzissmus. Ich vermisse bei vielen den ernsthaften Willen, ein differenziertes, tiefgehendes Gespräch zu führen. Stattdessen werden soziale Anliegen stark vereinfacht und zur Waffe gemacht: Man versucht, mit Theorieversatzstücken etwa Terror gegen Zi­vi­lis­t*in­nen zu rechtfertigen.

Warum finden Sie es wichtig, gerade als schwuler Mann gegen Antisemitismus zu kämpfen?

Weil Antisemitismus zu Extremismus führt. Und Judenhass auch zu Homofeindlichkeit. Als schwuler Mann erlebe ich Hass und Ablehnung leider von rechts und links. Bei Antisemitismus ist das nicht anders. In vielen Gesellschaften werden Schwule und Jü­din­nen*­Ju­den als allererste zur Zielscheibe. In den Konzentrationslagern der Nazis wurden Homosexuelle mit dem Rosa Winkel markiert. Deshalb müssen wir diese Kämpfe auch zusammendenken.

In manchen Videos tragen Sie eine Halskette mit Davidstern. Man könnte sagen: Sie eignen sich als Nichtjude ein jüdisches Symbol für eine Performance an.

Das war ein Geschenk von einem jüdischen Fan aus Toronto, die Schmuckdesignerin ist. Der Davidstern ist übrigens mit schönen Swarovski-Kristallen versehen. Meine jüdischen Freun­d*in­nen haben gerade Angst, den Davidstern überhaupt in der Öffentlichkeit zu tragen. Ich will damit zeigen, dass es okay ist. Ich will Mut machen. Und wer ein Problem mit einem Davidstern hat, ist antisemitisch. Ich finde übrigens die Idee lustig, dass Menschen, die sich gerne mit Kufiya verkleiden, ein Problem mit meinem Davidstern haben könnten, als sei das nicht auch schon kulturelle Aneignung.

Antisemitismus, die Geiseln, die Hamas – nicht gerade lustige Themen. Ist Comedy hier überhaupt angemessen?

Eine der besten Möglichkeiten, die Wahrheit ans Licht zu bringen, ist durch Humor. Ich lache nicht über Tragödien oder menschliches Leid. Ich zeige auf die toxische Heuchelei, durch die manche die Welt framen wollen. Dafür ist Comedy perfekt.

Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Aktivismus und Comedy?

Ich bin noch dabei, das herauszufinden. Aber ich möchte nicht in eine bestimmte Schublade gesteckt werden. Mein Aktivismus ist eine der bereicherndsten Sachen, die ich in meinem Leben gemacht habe.

Sie setzen sich inzwischen insbesondere auch für das Thema psychische Gesundheit ein.

Ich bin Spokesmodel einer Kampagne des Designers Kenneth Cole und des Modelabels Lingua Franca. Mit den Sprüchen „almost normal“ und „I have issues“ wollen wir auf das Thema aufmerksam machen. Weil es uns alle betrifft. Aber darüber zu sprechen, ist leider oft noch ein Tabu. Einer der Gründe, warum ich so viel getrunken habe, war, dass ich unglücklich war. Und das wiederum hat meine psychische Gesundheit verschlechtert. Und dadurch habe ich noch weiter zugenommen. Es war eine Abwärtsspirale.

Nervt es Sie, dass viele immer noch über Ihren Körper reden wollen?

Mir ist jetzt egal, was Leute über mich oder mein Aussehen denken. Ich mag meinen Körper. Aber ich habe das Gefühl, dass manche, sogar Freunde, mich zuvor lieber mochten. Vielleicht weil sie sich überlegener fühlen konnten. Jetzt fühlen sich manche Machtdynamiken anders an. Für mich persönlich war auch diese „Body positivity“-Mentalität, dass ich mich also einfach nur lieben und akzeptieren soll, nur toxisch. Es war nur eine zusätzliche Ebene des Scheiterns, denn ich war stark übergewichtig und zutiefst unglücklich. Ich konnte mich nicht lieben. Ich brauchte medizinische Hilfe.

Was hätten Sie sich stattdessen gewünscht?

Wir brauchen mehr Mitgefühl. Und Menschen, die unter starkem Übergewicht leiden, müssen wir vorsichtig und einfühlsam helfen, statt ihnen zu sagen, dass sie sich selbst einfach nur lieben und akzeptieren sollen, egal wie es mit ihrer Gesundheit aussieht. Ich habe wahrscheinlich zwei bis drei Jahre meines Lebens damit verschwendet, unglücklich zu sein. Wenn wir mehr darüber reden, können wir die Welt vielleicht zu einem besseren Ort machen.

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6 Kommentare

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  • Liebe Taz Redaktion, ich verstehe nicht warum ein Interview mit Daniel Ryan Spaulding zu diesem Thema geführt werden muss. Ich verstehe, dass er ein Video gepostet hat und das es starken Backlash gab - spannendes Thema zu dem ihr doch auch mal einen ausführliche Artikel posten könnt. Vielleicht sogar mit Nahostbezug aber dann gerne die Vielfalt der sinnlosen Social Media Backlashes von allen Seiten beleuchten. Im Fall von diesem Interviewpartner sagt er selbst im Text er weiß nicht viel über Israel. Dann er macht eine recht kurz gegriffene Verbindung zwischen jüdisch sein und schwul sein auf und der notwendigkeit der Allianz. Schlimmste ist aber, dass er sagt, die Kritik des Pinkwashings der IDF wäre reine Propaganda. Das ist wirklich ein starkes Stück und deckt sich überhaupt nicht mit dem was viele israelische Aktivist*innen in Israel dazu erzählen - von queeren Palästinenser*innen ganz zu schweigen. Ich würde mir zu diesem Thema Interviewpartner*innen wünschen, die etwas mehr Ahnung von oder Verbindung mit der Situation in Israel/Palästina haben. Menschen, die man interviewen könnte - die differenzierte Debatte führen - gibt es wirklich zu Hauf.

    • @blubb:

      Kann ihnen nur Recht geben.



      Zur Sache des Pinkwashing sollte man definitiv differenziert vorgehen. Für alle die interessiert sind, die Friedrich Naumann Stiftung hat einen sehr guten Bericht dazu veröffentlicht (Zwischen Tel Aviv und Jerusalem: Das LGBT+ Leben in Israel), der das Thema ausführlich und differenziert unter die Lupe nimmt. Es gibt wie es häufig auch in anderen Ländern der Fall ist, sehr starke Unterschiede zwischen den einzelnen israelischen Städten, zwischen Stadt und Land und den politischen und religiösen Strömungen zu diesem Thema.



      Auszüge aus dem Bericht: "Doch wie gerechtfertigt ist die Darstellung als offenes und LGBT-freundliches Land wirklich, wenn LGBT+ Aktivisten noch im Jahr 2018 ihrer eigenen Regierung Scheinheiligkeit vorwarfen?"



      "Zwar schockiert von den Ereignissen, stellt Michael fest, dass auch er von vielen anderen Bekannten weiß, die von rechten Radikalen angegriffen oder beschimpft wurden. Auch hebt er hervor, dass die unwissenschaftlich und schädlich Konversiontherapie in Jerusalem aber auch in vielen anderen Teilen Israels sehr verbreitet ist"



      "Für Reut ist auch dies Zeichen einer fragmentierten und heterogenen LGBT+ Community in Israel. Sie stimmt zwar der Aussage, dass LGBT+ Menschen in Israel ein vergleichsweise gutes Leben führen können zu, aber unter dem Vorbehalt das dies nicht gleichwertig für Frauen, für Transpersonen und auch für Araber gilt."



      Ich glaube man tut sich allgemein keinen Gefallen immer nur alles schwarz weiß zu sehen, denn das Leben ist selten so einfach. Und die rechtsextremistischen Koalitionspartner (v.a. Noam), die derzeit mit der Likud regieren sind offen gegen die LGBT+ Gemeinde, man sollte auch da ein Auge darauf haben, das gewonne Rechte nicht wieder genommen werden.

  • Er kann doch nicht ernsthaft das Ganze selbstbezogen auf die Haltung zu LG.. reduzieren?



    Es wirlkte wohl nur so, und auch er hat zum Glück einen Ansatz, der an die Geiseln und die Kinderopfer in Gaza zugleich denken kann, aus universalistischen Ansätzen heraus.

  • Spaulding hat eine beeindruckende Instagram-Präsenz.

  • Danke für dieses Interview. Ich finde nicht alle seine Videos gut, aber er zeigt, was Zivilcourage ist. Und er hat es sehr gut auf den Punkt gebracht, wie absurd der Vorwurf des pink washings ist.

  • Es gibt doch noch vernünftige Menschen!