Staatliches Fernsehen in Argentinien: Schließung mitten in der Nacht

Argentiniens Präsident Javier Milei schließt die staatliche Nachrichtenagentur Télam. Noch regt sich Widerstand im Land.

Protestierende halten Schilder hoch. Auf den Schildern steht "Defendemos Telam".

Erprobt im Widerstand: Ar­bei­te­r*in­nen von Telám protestieren gegen die Schließung der Nachrichtenagentur Foto: Enrique Garcia Medina

BUENOS AIRES taz | Es ist ein beängstigender Vorgang. Nur 48 Stunden nachdem der libertäre argentinische Präsident Javier Milei Anfang März in seiner ersten Rede vor dem Kongress die Schließung der staatlichen Nachrichtenagentur Télam angekündigt hatte, wurden sämtliche Beschäftigten freigestellt. „Es wird darauf hingewiesen, dass das gesamte Télam-Personal ab Sonntag, dem 3. März dieses Jahres, um 23.59 Uhr, für einen Zeitraum von sieben Tagen unter Fortzahlung des Gehalts von der Arbeit freigestellt ist“, heißt es in der knappen Mitteilung.

Und während sich die Freistellungstelegramme noch in den digitalen Briefkästen der 755 Betroffenen eintrafen, wurden die Eingänge zu den beiden Gebäuden der Nachrichtenagentur in Buenos Aires in der Nacht auf Montag von Polizeieinheiten mit Gitterzäunen abgeriegelt und Wachen aufgestellt. Seitdem ist die Website der Agentur mit dem Hinweis auf Umbauarbeiten gesperrt.

Die in einem der Gebäude überraschten Jour­na­lis­t*in­nen verbreiteten die Nachricht selbst, alarmierten ihre Kol­le­gen*­in­nen und filmten die Abriegelung. „Sie haben das staatliche Medienunternehmen Télam mitten in der Nacht geschlossen. Die Regierung führt einen der schlimmsten Angriffe auf die Meinungsfreiheit in den 40 Jahren der Demokratie durch“, erklärten sie auf der digitalen Plattform X. Wer am Montagmorgen versuchte, zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen, scheiterte an der Absperrung.

„Das hat absolut nichts mit Informations- oder Medienpluralismus oder mit Fragen der Meinungsfreiheit zu tun, sondern es geht einfach darum, das zu erfüllen, was der Präsident im Wahlkampf versprochen hat. Jetzt hat der Präsident die Anweisung gegeben, es umzusetzen“, erklärte Präsidentensprecher Manuel Adorni. Télam habe mittlerweile 24 Millionen Dollar an Verlusten angehäuft, fügte er hinzu.

Geschichten aus dem entlegensten Winkel

Die Nachrichtenagentur blickt auf eine lange Geschichte zurück. Sie wurde 1945 vom damaligen Präsidenten Juan Domingo Perón unter dem Namen ‚Télenoticiosa Americana‘ (später abgekürzt als Télam) gegründet und sollte einen Gegenpol zu den damals dominierenden US-Agenturen wie United Press International (UPI) und Associated Press (AP) bilden. 78 Jahre später umfasst sie ein Netz von 27 meist kleinen Korrespondentenbüros im ganzen Land, die aus den entlegensten Winkeln des Landes berichten und damit eine einzigartige Funktion erfüllen, die eine private Agentur nicht erfüllen könnte.

Hauptnutznießer sind kleine Medien, die solche lokalen Berichte in ihren Printausgaben, Internetportalen oder Radio- und Fernsehsendungen verwenden. Nach Angaben Télams werden mehr als 800 überwiegend private Kunden mit rund 20.000 Artikeln, Nachrichtentexten, Audios und Fotos pro Monat beliefert.

„Können Sie sich vorstellen, das Télam-Gebäude offen zu lassen, damit sie es übernehmen können?“, konterte Präsident Milei, als er gefragt wurde, ob das alles nicht übertrieben sei. „Mit der Sicherheitsministerin haben wir beschlossen, dass wir Zäune aufstellen und niemand das Gebäude betreten darf.“ Die Journalisten hätten sicher keinen Tumult veranstaltet, erklärte Milei. „Aber bei Télam gibt es 100 barrabravas (Hooligans)“, schimpfte er.

Milei hatte schon vor seinem Amtsantritt am 10. Dezember die Privatisierung staatlicher Medieneinrichtungen angekündigt, allen voran von TV Pública, Radio Nacional und der Nachrichtenagentur Télam. „Das öffentliche Fernsehen ist zu einem Propagandamechanismus geworden. Ich halte nichts davon, ein verdecktes Propagandaministerium zu haben: Es muss privatisiert werden. Das Gleiche gilt für Radio Nacional und die Nachrichtenagentur Télam. Alles, was in den Händen des privaten Sektors sein kann, wird in den Händen des privaten Sektors sein“, erklärte der 53-Jährige im Einklang mit seiner marktradikalen Ideologie. Von einer Schließung war jedoch da noch nicht die Rede.

Fernsehen als Propagandamedium

Das staatliches Medienunternehmen Radio y Televisión Argentina (RTA) mit seinen rund 2.400 Beschäftigten wurde 2009 unter der damaligen Präsidentin Cristina Kirchner gegründet. Es ist für den Betrieb des staatlichen Fernsehens (TV Pública), des nationalen Radios (Radio Nacional) und des argentinischen Radios im Ausland (Radiodifusión Argentina al Exterior) zuständig.

Formalrechtlich ist RTA eine private Aktiengesellschaft, deren Aktien sich im Besitz des Staates befinden. Der Staat ist auch Eigentümer des renommierten Dokumentarsenders Encuentro und des Kinderkanals Paka Paka.

Alle Kanäle und Sender sind gebührenfrei über Antenne zu empfangen, zwei immens wichtige Faktoren in dem riesigen Flächenland, in dem 60 Prozent der 46 Millionen Ar­gen­ti­nie­r*in­nen unterhalb der Armutsgrenze leben und wo Kabelgebühren nicht zur Basisversorgung gehören.

Es wäre jedoch nicht ganz richtig, die staatlichen Medien mit dem öffentlich-rechtlichen System in Deutschland gleichzusetzen, auch wenn das spanische Wort „pública“ mit „öffentlich“ übersetzt wird. Der Vorwurf, die RTA sei ein Propagandamedium, ist nicht ganz unberechtigt. Keine der Regierungen hat bisher der Versuchung widerstehen können, die RTA und Télam mit mehr oder weniger regierungstreuen Inhalten, Meinungen und Personen zu füllen.

Ein Satz aus Mileis Kongressrede löste bei nicht wenigen seiner Zu­hö­re­r*in­nen zustimmendes Nicken aus: „Wir werden die Agentur Télam schließen, die in den letzten Jahrzehnten als Propagandaagentur der Kirchneristen benutzt wurde“, sagte der Präsident.

Erste Opfer der Schließung

Bereits Anfang Februar hatte er Radio y Televisión Argentina und Télam zwei Zwangsverwaltern unterstellt, die wiederum seinem Kabinettschef Nicolás Posse unterstehen. Ihre Aufgabe ist es, „einen Reform-, Anpassungs- und Aktionsplan für die Unternehmen zu erstellen“, sprich Anstalten und Agentur für den Verkauf fit zu machen. Von einer Schließung war auch damals nicht die Rede.

Eines der ersten inhaltlichen Opfer bei TV Pública war die Sendung der Menschenrechtsorganisation Mütter der Plaza de Mayo. Die vom staatlichen Fernsehen bezahlte Produktion sollte die Erinnerung an die Menschenrechtsverbrechen der letzten Militärdiktatur (1976–1983) wachhalten und wurde seit dem 5. Januar 2008 jeden Samstag ausgestrahlt.

„Wir bedauern die grobe Fehleinschätzung von Milei: Wenn er glaubt, dass unser Kampf mit der Absetzung der Sendung enden wird, irrt er sich gewaltig. Wir werden auf der Plaza de Mayo weitermachen und seiner verdammten Regierung ein Ende bereiten“, kommentierten die Madres. Die Regierung wusch sich derweil die Hände in Unschuld. Der im Dezember 2023 auslaufende Produktions- und Sendevertrag mit der Menschenrechtsorganisation sei schlicht nicht verlängert worden, ließ sie verlauten.

Ähnlich wurde mit den befristeten Verträgen vieler Beschäftigter verfahren. Allein bei Radio Nacional wurden 500 auslaufende Verträge nicht verlängert. Anfang März wurden weitere 100 Verträge nicht verlängert. Auch hier die bekannte Begründung: „Es gibt keine Entlassungen“, sagte der neue Radiodirektor Héctor Cavallero. „Es handelt sich um auslaufende Verträge, meist von Direktoren, die von früheren Regierungen ernannt wurden, und von einzelnen Mitarbeitern inmitten überfüllter Radiosender.“

Erfahrung in Sachen Widerstand

Die ausgesperrten Télam-Beschäftigten haben gegenüber dem vergitterten Eingang ein kleines Protestcamp aufgebaut. Der Konflikt soll nicht nur für die Öffentlichkeit sichtbar bleiben. Er wird auch von ihnen als Testlauf der Regierung interpretiert, der bei Erfolg einschneidende Kürzungen bei den anderen staatlichen Medien nach sich ziehen wird.

Allerdings gibt es Erfahrungen in Sachen Widerstand. Der frühere konservative Präsident Mauricio Macri (2015–2019) versuchte ebenfalls, Beschäftigte der Nachrichtenagentur in großem Stil zu entlassen. Rund 360 von ihnen erhielten 2018 ein Telegramm. Die Maßnahme wurde schließlich von den Arbeitsgerichten rückgängig gemacht. Rund zwei Drittel der Entlassenen kehrten an ihren Arbeitsplatz zurück.

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