: Die Menschen in Gaza stehen vor dem Nichts
Aus Angst vor einer Offensive auf Rafah kehren einige Palästinenser wieder zu ihren alten Wohnorten zurück. Dort stehen sie vor den Trümmern ihres Lebens
Aus Kairo Karim El-Gawhary
Während hinter den Kulissen die Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der israelischen Geiseln am Wochenende in der ägyptischen Hauptstadt Kairo weitergingen, hat Benjamin Netanjahu eines bereits deutlich gemacht: Ein möglicher Waffenstillstand wird nur temporär sein. Er werde früher oder später auf jeden Fall eine israelische Militäroffensive auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens anordnen, so Israels Premierminister.
Manche der Menschen, die in den letzten Monaten nach Rafah geflohen sind, haben nun deshalb beschlossen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, und sind von Rafah wieder Richtung Norden zu ihren ursprünglichen Häusern zurückgekehrt. Dort allerdings stehen sie meist vor dem Nichts.
Einer von ihnen ist Muhammad Abu Rabia, der vor einem Monat mit seiner Familie aus Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens nach Rafah geflohen ist, um jetzt wieder zurückzukehren. „Rafah, sagten die Israelis, sei sicher und es würde dort nicht bombardiert. Daher haben wir uns mit über einer Million Palästinenser dorthin begeben. Aber Rafah ist nicht sicher. Sie haben uns angelogen“, erzählt er. Also sei er mit seiner Familie zurückgegangen. „Weil wir um unsere Sicherheit fürchteten und weil die Kinder mich immer wieder gefragt haben, wann wir wieder nach Hause zurückzukehren, dachte ich, das ist die beste Option, selbst wenn auch Deir al-Balah immer noch bombardiert wird“, sagt Abu Rabia. Auch die Versorgungslage ist dort nicht wirklich besser als in Rafah.
Seine Hoffnung, mit seiner Familie in ihrem alten Haus unterzukommen, wurde denn auch schnell enttäuscht. „Wir haben unser zerbombtes Haus vorgefunden. Also haben wir unser Zelt, das wir aus Rafah mitgebracht haben, in Deir al-Balah aufgebaut. Eigentlich ist es kein Zelt, sondern es sind nur ein paar Plastikplanen. Aber immerhin haben wir und die Kinder etwas über unseren Köpfen“, beschreibt er seine Lage.
Wenn ganz Gaza unsicher ist, ist es zu Hause vielleicht noch am besten, selbst wenn das eigentliche Zuhause nicht mehr steht. Doch die Angst bleibt, auch in Deir al-Balah: „Bei den Luftschlägen können die Kinder nicht schlafen. Wir müssen sie dann beruhigen und sagen, dass die Einschläge weit weg sind“, sagt Abu Rabia.
Auch Anwar Jusef ist, wie er es beschreibt, „jedem abgeworfenen israelischen Flugblatt zur Evakuierung gefolgt“, bevor er in Rafah landete. Inzwischen ist er zurück in seinem Zuhause im Flüchtlingslager Bureidsch, das in unmittelbarer Nachbarschaft von Deir al-Balah liegt. „Meine Familie und ich sind aus Angst hierher zurückgekehrt, weil die Israelis immer wieder sagen, dass eine militärische Offensive in Rafah unmittelbar bevorsteht“, sagt er.
Aber auch er steht mit seiner Familie vor dem Nichts. „Wir standen vor unserem total zerstörten Haus. Nicht ein Stein ist auf dem anderen geblieben. Unsere Wünsche und Träume sind dort unter den Trümmern begraben, all die kleinen Einzelheiten, die das Leben vor diesem Krieg ausgemacht haben“, schildert er. Und schließt: „Es gibt keine Worte, diese Tragödie zu beschreiben.“
Für Netanjahu ist eine Bodenoffensive gegen Rafah unabdingbar, um – wie er es formuliert – den „totalen Sieg“ über die Hamas zu erringen. Im Weg stehen ihm dort weiterhin 1,4 Millionen Menschen. Selbst wenn die israelische Armee vermeintlich sichere Korridore schafft, damit die Zivilbevölkerung Richtung Norden fliehen kann, wird diese ohne Versorgung vor den Trümmern ihres Lebens stehen.
Aber eine Hoffnung bleibt für den schon jetzt zurückgekehrten Muhammad Abu Rabia, der mit seiner Familie wieder einen Verschlag in Deir al-Balah aufgebaut hat. „Wir hören in den Nachrichten, dass es bald einen Waffenstillstand geben soll“, sagt er und fügt hinzu: „Wir hoffen, dass das tatsächlich passiert, und dass dieser Krieg endlich aufhört.“
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