Soloalbum von Laura Jane Grace: Aus dem Weg!
Punkrock, Sell-out-Vorwürfe und Geschlechtsangleichung: Laura Jane Grace zieht auf ihrem neuen Album „Hole in My Head“ Bilanz.
Der ewige Konflikt zwischen Underground-Ideal und Major-Label-Sell-out-Verlockung, er zieht sich durch die Geschichte von Punk. Und damit auch durch die Biografie von Laura Jane Grace, Sängerin der US-Punkband Against Me! Ihr Debütalbum, „Reinventing Axl Rose“, erschien bei einem Kleinstlabel, die beiden folgenden beim mittelständischen US-Indie Fat Wreck Chords. Dann ging es zum Major Sire, die Folge waren Rotzattacken und Mittelfinger aus dem Publikum auf fast allen Against-Me!-Konzerten, ja sogar Kneipenschlägereien mit enttäuschten Fans.
Entschädigt wurden Against Me! mit Stadiontouren im Vorprogramm, etwa der Foo Fighters, Best-Buddy-Fotos mit Bruce Springsteen und Auftritte in allen TV-Late-Night-Shows der nuller Jahre. Schon erstaunlich für eine Band aus der Anarchopunkszene Floridas, deren Sängerin durchgängig alles weggetrunken hat, was ihr in den Weg kam.
„Hole in My Head“, das zweite Soloalbum von Laura Jane Grace, klingt zum ersten Mal nach der Musik eines Menschen, der nun, im Alter von 43 Jahren, Frieden schließen könnte. Der hymnisch gestimmte Punkrock ihrer Band war immer schon von Folk infiziert. Auf „Hole in My Head“ gibt es auch wieder ein paar Manifeste ewig juveniler Renitenz und auch Widerständigkeit zu hören („I’m Not a Cop“).
Aber eben auch eine nur mit Akustikgitarre vertonte Geste der Versöhnung mit der ausgestreckten Hand. „I am sorry / I make mistakes / I never think through the choices I make / And while I’ve got no right to hard feelings / I don’t deserve them / I just take them home“, singt Grace in „Hard Feelings“.
Laura Jane Grace: „Hole in My Head“ (Big Scary Monsters/The Orchard)
Laura Jane Grace: „Tranny. Bekenntnisse der berüchtigtsten anarchistischen Verräterin des Punkrock“. Aus dem Englischen von Gunnar Christiansen. Golden Press, Bremen 2023, 380 Seiten. 25 Euro
Lesenswerte Autobiografie
Der Song findet sich am Ende des Albums, auch das Finale, „Give Up the Ghost“, will etwas klären. Was der Geist genau ist, der das lyrische Ich hier bedrängt und der verschwinden soll, wird nicht klar. Aber es besteht zumindest die Gefahr, dass das, was danach kommt, nicht zwangsläufig besser wird: „I think it’s time that I give up the ghost / With the spirit gone / I’ll be what I fear the most / An empty vessel / Just machine at the most“. Das Unbehagen bleibt.
Wenn man beim Hören nicht nur die Musik in den Ohren, sondern auch Laura Jane Graces sehr lesenswerte Autobiografie „Tranny“ präsent hat, freut man sich über jede dieser Zeilen. Grace singt über anarchistische Ideale, die hier eng verbunden sind mit ihren Erfahrungen als trans Frau. Über den „Dysphoria Hoodie“ zum Beispiel, in den man sich hüllen kann, um die eigene Körperform zu verbergen. „A feeling of safety is blanketing me / Your arms of protection are wrapped around me“.
Laura Jane Grace ist nicht die erste Punk-Sängerin, die sich als trans versteht. Überschreitung traditioneller Gender-Kategorien findet man bereits in Protopunk-Bands wie New York Dolls und Wayne County & the Electric Chairs in den 1970ern. Aber Grace ist wohl die erste, die eine Transition begonnen und die Erfahrung zum zentralen Thema ihrer Kunst gemacht hat, auf dem besten Against-Me!-Album „Transgender Dysphoria Blues“.
Diese Erfahrung lässt den autobiografischen Text „Tranny“ zu mehr als nur zur üblichen Rockstar-geht-kaputt-und-richtet-sich-an-sich-selbst-wieder-auf-Erzählung werden. Das umfassende Drogen- und Alkohol-Aufkommen beschreibt Grace als zunehmend verzweifelte Selbstmedikation aufgrund von Genderinkongruenz, die die Sängerin während ihrer Transition bis in Suizidnähe treiben.
Kampf um die reine Punk-Lehre
Und der die Bandgeschichte begleitende Kampf um die reine Punk-Lehre erscheint vor diesem Hintergrund in anderem Licht: Gerade der, der sich vom harten, radikalen Kern des Punks entfernt haben soll, der Verräter, kommt mit einem Problem um die Ecke, das im Gegensatz zu den Mainstream-versus-Undergroud-Hackereien nichts Ausgedachtes hat, sondern tatsächlich existenziell ist.
Dass Laura Jane Grace mit ihrem Coming-out dann in der eigenen Szene nach Jahren der Überwerfung rehabilitiert wurde, ist eine schöne Pointe. All das taucht auf „Hole in My Head“ in Spuren wieder auf. Laura Jane Grace hat eine simplistische und klare Variante von Folkpunk entwickelt, in der sich Subjektives mit Allgemeinem verbindet.
Lofi-Abschiedslieder („It’s been a long time since we used to play / Punkrock in basements“), ein die Welt in all ihrer Schrecklichkeit umarmender Folksong wie „Cuffing Season“ („I wanna crash into the sound / I wanna learn to trust the fall“) und Songs wie zum Beispiel das Titelstück, die für die, die hier gemeint sind, etwas potenziell Lebensrettendes haben können („You can try to outrun all the pain you come from / And that would be a real mistake“).
Die Akustikstücke klingen auch am schönsten und schlüssigsten auf „Hole in My Head“. Sie wirken an sich erst mal nicht aufregend, sind aber in der Verbindung von Text, Biografie und Szenehintergrund doch singulär und radikal eigensinnig.
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