Neues Soloalbum von Brittany Howard: Auf die Liebe in Krisenzeiten

Südstaatengefühle! Brittany Howards neues Album „What Now“ changiert zwischen Rock, Soul und Funk, die jetzt noch roher daherkommen.

Die Sängerin Brittany Howard durch eine psychedelische Linse

Es ist das zweite Soloalbum der 35-Jährigen aus dem Süden der USA Foto: Bobbi Rich

„What Now“ – Was jetzt – heißt das neue Album von Brittany Howard. Das klingt nach einer nachdenklichen Standortbestimmung. Und tatsächlich enthalten die zwölf Stücke des Werks Reflexionen über Privates und Politisches, die eher Fragen stellen als Antworten geben. Doch gelingt es der US-Künstlerin Howard, ihre widersprüchlichen Gedanken und Ideen zu einem geschlossenen Ganzen zu formen. Das liegt an ihren kompositorischen Fähigkeiten und mehr noch an der Kraft ihres stimmgewaltigen und ausdrucksstarken Gesangs.

Es ist das zweite Soloalbum der 35-Jährigen aus dem Süden der USA. Geboren in einer Kleinstadt in Alabama – der Vater schwarz, die Mutter weiß – wuchs Howard in ärmlichen Verhältnissen an einem Schrottplatz auf. Ihre ältere Schwester Jaime brachte ihr das Klavierspielen bei und führte sie an Dichtung heran, bevor sie viel zu früh den Folgen einer seltenen Krebserkrankung der Augen erlag. Die Familie zerbrach an diesem Schicksalsschlag.

Mit der Gitarre der Schwester brachte Brittany sich das Instrument bei, und auch Schlagzeug und Bass erlernte sie autodidaktisch. Im Alter von 14 Jahren begann sie sich die Musikgeschichte von Elvis Presley über Black Sabbath und Prince zu erschließen. Zusammen mit ihrem Schulfreund Zac Cockrell gründete sie schließlich eine Band, das Quartett Alabama Shakes, das ­Howard als Sängerin anführte.

Mit dem zweiten Album „Sound & Color“ gelang ihnen 2015 der Durchbruch. Geprägt von erdigem Rock, brachialem Punk, psychedelischem Soul und Country-Funk erhielt dieses Werk etliche Auszeichnungen, vor allem wegen der eindrucksvollen Stimme von Howard, deren Umfang vom tiefen Alt bis zum hohen Falsett reicht.

Das Solodebüt „Jaime“

2018 erklärte Howard ihren Bandmitgliedern dann, dass sie eine schöpferische Pause brauche. Sie arbeitete seinerzeit an persönlichen Liedern, die kurze Zeit später in ihrem Solodebüt „Jaime“ mündeten. Gewidmet ihrer verstorbenen Schwester, befasst sich Howard in den Songs mit ihrer Kindheit in den Südstaaten, ihrer Auseinandersetzung mit Kirche und Religion sowie dem Rassismus, den ihr Vater erfahren hatte. Daneben stehen Stücke wie „Georgia“ und „Stay High“ als Hohe ­Lieder gleichgeschlechtlicher Liebe. Mit Mitte 20 erkannte Howard ihre lesbische Identität.

Howard lebt heute in der US-(Country-)Musikmetropole Nashville in Tennessee, wo auch die Musik für „What Now“ aufgenommen wurde. Sämtliches Material hat sie selbst komponiert und produziert. Sie begleitet sich zudem auf Gitarre, Tasteninstrumenten und zuweilen auch auf Bass und Schlagzeug. Dazu kommen etwa Jugendfreund Zac Cockrell von den Alabama Shakes am Bass und der intuitive Schlagwerker Nate Smith.

Das Album ist wie die jüngst erschienen Werke von Meshell Ndegeocello, André 3000, Kali Uchis und ­Usher während der Pandemie entstanden. Am deutlichsten tritt die Erinnerung an den Ausnahmezustand und die Isolation in dem Stück „Another Day“ zu Tage. Eingeleitet von einem Gedicht der Poetin Maya Angelou über die krieg- und friedensstiftende Möglichkeiten der Menschheit, singt Howard gleich zu Beginn davon, nach draußen gehen und treffen zu können, wann und wenn sie will.

Bald geht es in dem Songtext auch um grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel und seine Bedrohungen, wobei Howards Stimme bekennt, paradoxerweise gerade jetzt Hochgefühle zu verspüren („I am in love / While the world is on fire“). Werden hier persönliche Empfindungen einem größeren Zusammenhang gegenübergestellt, so kreisen die meisten anderen Stücke um zwischenmenschliche Beziehungen: um die Sehnsucht, geliebt zu werden; um die Unsicherheit, ob es tatsächlich Liebe ist; um das Ignorieren von schlechten Vorzeichen im Zusammenleben, bis zur quälenden Abwägung, ob eine Trennung nicht doch die bessere Lösung wäre.

Brittany Howard: „What Now“ (Island/Universal)

Stilistisch basiert „What Now“ auf der für Howard typischen musikalischen Mischung aus Rock, Soul und Funk, die auf dem neuen Album noch eine Spur roher daherkommt. Als Instrumente dienen auch mal Pappkartons und Gabeln, und auch ihren Gesang hat Howard trotz Fehlern nicht immer verbessert. Neue Horizonte eröffnet „Every Color in Blue“, dessen Dreivierteltakt zwischen Jazz und Minimal Music changiert. Höhepunkt ist ohne Zweifel „Prove It to You“ mit einem brachialen Stampfbeat, verzerrtem Basslauf und einer beißenden Synthesizerfanfare sowie Howard in ihrer tiefsten Lage.

Dass ihr neues Album nicht in ihre ungeschliffenen Einzelteile zerfällt, liegt zum einen an der Stimme von Howard und zum anderen an einem Leitmotiv, das sich durch alle Songs zieht: Zwischen den Stücken ertönen meditative Flächen von Klangschalen aus Quarz, die Ruhepunkte bieten und zugleich die Stücke mit ihren unterschiedlichen Stilen und Emotionen zu einer Einheit verschmelzen. Am Ende von „What Now“ stellt sich eine andere Frage: „What’s Next“ – Was macht die Künstlerin wohl als Nächstes?

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