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Regisseurin über Belarus„Das Regime kann sie nicht brechen“

In Belarus sind nicht erst seit 2020 Tausende in Haft, darunter viele Frauen. Ein Film und Buch von Cordelia Dvorák stellen einige von ihnen vor.

Die belarussische Oppositionsaktivistin Maria Kolesnikowa erscheint in Handschellen vor Gericht im September 2021 Foto: Ramil Nasibulin/imago
Interview von Barbara Oertel

taz: Frau Dvorák, mehr als drei Jahre arbeiten Sie an einem Kino-Dokumentarfilm über sechs Schlüsselfiguren der Frauen-Revolution in Belarus. Seit Kurzem liegt ein von Ihnen herausgegebenes Buch mit Zeugnissen von Frauen aus der Haft in Belarus vor. Wie sind Sie überhaupt auf Belarus gekommen?

Gael Sebastiano
Im Interview: Cordelia Dvorák

ist Autorin, Regisseurin und Produzentin. Studierte Philosophie, Literatur- und Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Paris und München, sowie Fotografie in Berlin. Internationale Opern-, Theater- und Hörspielproduktionen sowie zahlreiche Ausstellungen und Filmprojekte, zuletzt „Und plötzlich hat die Revolution ein weibliches Gesicht“ (in Produktion) über die Proteste in Belarus. Nach Stationen in Paris, Mailand und Mexico City lebt Dvorák heute in Berlin.

Cordelia Dvorák: Bis 2020 ging mein Blick in alle möglichen Richtungen, nur nicht nach Osten. Aber die Ereignisse dieser ganz besonderen Revolution in Belarus und die Repressionen, die dem folgten, haben mich so erschüttert, dass ich angefangen habe zu recherchieren. Dann überstürzten sich die Ereignisse, alles wurde immer dringlicher und ich konnte gar nicht mehr den Rückwärtsgang einlegen. Ich habe lange in Lateinamerika gelebt und mich mit der weiblichen Aufarbeitung des Erbes der dortigen Diktaturen beschäftigt. Grundsätzlich interessieren mich weibliche Formen des Widerstandes und Gedächtnisses. Dem wollte ich mich auch in Belarus nähern und war dann ganz schnell mitten drin.

Die Proteste in Zuge der gefälschten Präsidentenwahl am 9. August 2020 werden auch als „feministische Revolution“ bezeichnet. Passt diese Charakterisierung für Sie?

Wir im Westen halten unsere Maßstäbe, auch was Feminismus betrifft, für die einzig gültige Messlatte. Im Fall von Belarus ist das jedoch nicht so eindeutig. Ja, der Moment des politischen Erwachens ist maßgeblich über die Frauen passiert. Dennoch bin ich gegen dieses pauschale Label einer feministischen Revolution. Das wird der dortigen Komplexität nicht gerecht und läuft sehr schnell auf eine Abwertung hinaus.

Ständige Unwägbarkeiten

Wie gestalteten sich die Recherchen? Was war besonders schwierig?

Erste Netze habe ich über das Goethe-Institut in Minsk ausgeworfen, bin dann aber schnell mit Be­la­rus­s*in­nen im Exil in Kontakt gekommen. Ganz wichtig war auch das von deutschen Osteuropa-Leuten initiierte Solidaritäts-Projekt „Stimmen aus Belarus“. Da wurden seit Sommer 2020 wöchentlich Stimmen gepostet, die nicht in den Medien auftauchten. Mir war schnell klar, dass ich für meine Drehs wohl nicht nach Belarus würde reisen können, sondern mit einem Team von vor Ort würde arbeiten müssen. Als ich dann für erste Interviews nach Litauen, Lettland und Warschau fahren wollte, kamen Corona und der Lockdown dazu. Für Mai 2021 war alles für die ersten Drehs organisiert. Dummerweise war das die Woche, in der Alexander Lukaschenko ein Flugzeug mit dem Oppositionellen Raman Pratassewitsch an Bord zur Landung zwingen ließ. In dieser angespannten Stimmung sind wir gestartet. Unwägbarkeiten begleiten uns bis heute.

Parallel zu dem Filmprojekt ist die Idee für ein Buch entstanden. Wie passierte das?

Das Buch

Cordelia Dvorák (Hg): „Wenn du durch die Hölle gehst, dann geh weiter“. Zeugnisse inhaftierter Frauen in Belarus. Edition.fotoTAPETA, Berlin 2023, 320 Euro, 18 Euro

Buchpremiere

ist am Mittwoch, 6. März, um 20 Uhr im Roten Salon der Volksbühne in Berlin. Mit: Angela Winkler, Olga Shparaga, Wanja Müller und Cordelia Dvorák, Moderation: Natascha Freundel

Diese Idee hat sich mir quasi aufgedrängt. Bei meinen Recherchen für den Film bin ich in sozialen Medien immer wieder auf kurze, eindrückliche Nachrichten von politischen Gefangenen gestoßen. Ich war erschüttert, mit welch unglaublicher Haltung die Menschen die Haft durchstehen. Irgendwann dachte ich, das muss an die Öffentlichkeit. Zumindest das können wir tun. Und ich wollte mehr über das Leben in der Haft erfahren. Das hat dann angesichts der Dramatik der Repressionen eine solche Fahrt aufgenommen, dass es von der Idee bis zur Drucklegung des Buches nur anderthalb Jahre gedauert hat.

Anfangs viele Neins

In dem Buch kommen acht Prot­ago­nis­t*in­nen zu Wort. Wie haben Sie diese Frauen ausgesucht?

Das war ein sehr komplizierter Prozess. Der Grundstock war ein ganzes Konvolut an Briefen von Maryja Kalesnikawa (belarussische Bürgerrechtlerin, mit Swjatlana Zichnouskaja und Weranika Zepkala bildete sie vor der Präsidentschaftswahl ein Trio von Frauen gegen den regierenden Alexander Lukaschenko, Anm. d. Red.), das ich von ihrer Schwester für meinen Film bekommen hatte. Bei allen anderen Prot­ago­nis­t*in­nen haben wir über heimliche, sichere Kanäle und mit Unterstützung der belarussischen Menschenrechtsorganisation Vjasna die Angehörigen und Anwälte vieler Inhaftierten kontaktiert. Auf einen entsprechenden open call im Januar 2023 kam erst mal sehr wenig und dann gab es viele Neins. Zu gefährlich, man komme nicht mehr an die Briefe heran oder sei selbst im Exil, hieß es. Das war nicht gerade ermutigend. Schließlich ist der Rechercheur und Regie-Assistent meines Filmprojekts, Wanja Müller, mit eingestiegen und hat entscheidendes Extramaterial besorgen können.

Die Frauen werden über ihre Briefe, manche auch noch anhand ihrer letzten Worte vor Gericht vorgestellt …

In einigen Fällen zeigte sich, dass die Briefe allein nicht ausreichten, um die Frauen zu verstehen und sich ein Bild von ihnen machen zu können. Deshalb mussten wir mehr Kontext schaffen, um zu zeigen, wie die Frauen aus sehr unterschiedlichen Gründen zu ihrer politischen Aktivität gekommen sind. Manchmal haben wir Interviews gefunden, kurz vor ihrer Festnahme. Drei Frauen aus dem Buch sind bereits aus der Haft entlassen. Sie habe ich gebeten, ein Postscriptum über die erste Zeit danach zu verfassen. Wie kehrt man ins Leben zurück, wonach sehnt man sich als Erstes, nachdem man das Gefängnis verlassen hat?

Welches Phänomen hat Sie in diesem Zusammenhang besonders beschäftigt?

Dieser „point of no return“ oder anders gesagt die Frage: Wann ist der Moment, an dem jemand beschließt: Jetzt gibt es nichts mehr zu verlieren und ich gehe meinen Weg bis zu Ende weiter. Wo hört die Angst auf, ab wann macht man keine Konzessionen mehr? Diese existenzielle Klippe hat mich total beschäftigt.

Nicht gebrochen

Was haben Sie als wichtigste Botschaft persönlich für sich mitgenommen?

Die Unerschütterlichkeit, der wahnsinnige Mut, die Würde der Betroffenen, gleichzeitig aber auch ihr Humor. Und dass die Inhaftierten in dieser Haltung irgendwie unantastbar werden. Das Regime schafft es nicht sie zu brechen. Und die, die aus der Haft entlassen worden sind, sagen: Wir würden es wieder genauso so machen.

Haben Sie aktuell noch Kontakt zu den Protagonist*innen?

Ich versuche bewusst Kontakt zu halten, auch zu den Angehörigen derer, die noch in Haft sind. Es ist wichtig, dass sie wissen, dass wir sie im Bewusstsein haben. Zwei der drei Frauen, die freigelassen wurden, werde ich im März in der Schweiz treffen. Ich freue ich mich sehr auf den direkten Austausch.

Ab Sommer 2020 war die internationale Aufmerksamkeit für Belarus einige Monate lang groß. Heute laufen das Land und was dort passiert eher wieder unter dem Radar öffentlicher Aufmerksamkeit …..

Das ist leider so in unserer Medienwelt. Belarus ist total überlagert worden durch den Krieg in der Ukraine und der wiederum durch Israel und Gaza. Trotzdem sind viele Dinge ins Bewusstsein gedrungen, doch es braucht Zeit und Geduld, damit sich das konsolidiert und die Menschen aus Interesse an den Entwicklungen dran bleiben. Dazu versuche ich durch meine Arbeit beizutragen.

Ihr Film ist noch nicht fertig. Woran liegt das?

Filmförderungen in Litauen und Norwegen waren als Ko-Produzenten vorgesehen. Durch den Krieg in der Ukraine wanderten dort die Etats von der Kultur dann mal eben zur Verteidigung und bei internationalen Ko-Produktionen wurde massiv gekürzt. Wir haben viel Zeit verloren und suchen jetzt nochmals nach neuen Partner*innen. Das ist sehr mühsam und kostet viel Kraft. Aber darin liegt auch eine Chance. Wir wissen ja nicht, was aus dieser Revolution noch werden wird und mich interessiert sowieso eine Langzeitbeobachtung der Akteur*innen. Wie geht es weiter mit ihnen – im Exil, in der Haft oder im Hausarrest?

Vielleicht eine letzte Frage: Warum sollen sich Menschen im Westen überhaupt mit Belarus beschäftigen?

Es geht ja nicht nur um Belarus, vielmehr ist das ein Topos: Ein kleines unbekanntes Land, das es plötzlich in die Weltöffentlichkeit schafft und einen unglaublichen Schritt in Richtung einer Politisierung und Nationenbildung macht und das auch noch im Zeitraffer. Diesen Schritt, und auch den Mut, den es dafür bedarf, weiterzuverfolgen scheint mir sehr spannend, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Frauenperspektive. Auch wenn die Proteste im Moment nicht mehr sichtbar sind – das Bewusstsein und die Haltung, das setzt sich fort. An den Zeugnissen, die wir zusammen getragen haben, sieht man sehr deutlich, dass es weiter geht. Und daraus wird irgendwann ein anderes Belarus entstehen.

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