Urteil zu Missbrauchsfall in Lübeck: Kein Anhaltspunkt für Schlafwandeln

In Lübeck wurde ein Ex-Staatsanwalt verurteilt, weil er sein Kind vergewaltigt hatte. Er hatte behauptet, die Tat im Tiefschlaf begangen zu haben.

Eine anonyme Person in einem Gerichtssaal.

Der Angeklagte im Landgericht Lübeck am 14. Februar Foto: Marcus Brandt/dpa

LÜBECK taz | Das Landgericht Lübeck hat einen ehemaligen Staatsanwalt zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil er seinen damals 8-jährigen Sohn missbraucht hat. Der Prozess sorgte für viel Aufsehen, weil der Angeklagte die Tat nicht abstritt, aber angab, sich nicht erinnern zu können. Er habe die Tat begangen, während er tief und fest schlief – unter einer Parasomnie, das medizinische Wort für „Schlafwandeln“.

Verbrechen, die während einer Parasomnie begangen werden, werden nicht bestraft, denn Schlafwandler gelten als nicht schuldfähig. Das Gericht glaubte dem Mann aber nicht, dass er in der Tatnacht unter einer solchen Parasomnie litt. Grundlage dafür ist besonders die Videoaussage des Jungen, die in der Verhandlung gezeigt wurde.

„Der Angeklagte hat mehrfach auf Umweltreize reagiert“, sagte die vorsitzende Richterin Helga von Lukowicz. Zwei Gutachter begleiteten den Prozess, ihre Einschätzungen waren wichtig für die Urteilsfindung. Beide, so die Richterin in ihrer Begründung, „sahen keine sicheren Anhaltspunkte für eine Parasomnie“.

Vor Gericht zu beweisen, dass ein Angeklagter zum Zeitpunkt der Tat keine Parasomnie hatte, ist schwierig. Andererseits muss, wer mit einer Parasomnie argumentiert, belegen, dass er oder sie grundsätzlich darunter leidet. Der ehemalige Staatsanwalt im Lübecker Fall stützte seine Annahme vor allem auf die Aussagen einer ehemaligen Lebensgefährtin. Sie erzählte im Zeugenstand, ihr damaliger Freund habe vor 20 Jahren mehrmals nachts mit ihr geschlafen und das plötzlich abgebrochen. Am Morgen habe er sich an nichts erinnern können. Ein ehemaliger Mitbewohner berichtete auch, sie habe einmal in der Küche davon erzählt. Die Richterin sagte dazu aber: „Nach unserer Überzeugung gab es diese Vorfälle nicht.“

Widersprüche und Aggression

Entscheidend für die Skepsis der drei hauptamtlichen Richter und vier Schöffen waren vor allem Widersprüche bei den Zeugenaussagen. Nicht nur sei die Schilderung der Ex-Freundin „wie aus dem Lehrbuch“ gewesen. Nach der Aussage der Ex-Freundin sei der Staatsanwalt auch erst durch sie, vier Monate nach der Tat, auf die Idee gekommen, er könnte geschlafwandelt haben. Der Jurist hatte allerdings schon kurz nach der Tat im Internet zu „Kriterien für Strafminderung bei Sexualstraftaten“ und „Sexsomnia“, Sex während des Schlafes, recherchiert.

Sechs lange Verhandlungstage hatte das Gericht dem Fall gewidmet. Dabei war die Stimmung aufgeladen bis aggressiv, geprägt von stundenlangen Zeugenbefragungen und gegenseitigen Vorwürfen der Anwälte. Die beiden Verteidiger griffen immer wieder die vorsitzende Richterin an und warfen ihr vor, parteiisch zu sein. So überrascht es nicht, dass die beiden Verteidiger des Staatsanwalts das Urteil anfechten wollen. Wird die Revision angenommen, muss sich der Bundesgerichtshof mit dem Thema beschäftigen.

In anderen Prozessen hatten Angeklagte mit der Behauptung einer Parasomnie durchaus Erfolg. Im Oktober 2019 soll in der Schweiz ein 19-Jähriger eine 15-Jährige vergewaltigt haben, während er schlafwandelte. Er wurde freigesprochen, nachdem ein Gutachter ihm eine solche Schlafstörung bescheinigt hatte.

Aktualisiert und ergänzt am 15. 02. 2024 um 09:00 Uhr. d. R.

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