Neuer Film von Levan Akin: Verschwinden wollen in Istanbul
Eine Frau sucht ihre Nichte. In „Crossing“ taucht der schwedisch-georgische Regiesseur Levan Akin ein in die queere Welt Istanbuls.
Bei to cross – also überqueren – denkt man zuerst an eine Straße. Überqueren lassen sich aber auch Ländergrenzen, Gewässer, gesellschaftliche Normen und im Sinne des Überwindens auch Vorurteile. All das vereint der Spielfilm „Crossing“ des schwedisch-georgischen Filmemachers Levan Akin, der auf der Berlinale die Sektion Panorama eröffnete.
Die pensionierte Lehrerin Lia aus Georgien sucht nach ihrer Nichte Tekla, die sich in Istanbul aufhalten soll. Begleitet wird sie von Achi, einem jungen Mann, der vorgibt zu wissen, wo Tekla sich aufhält: in einer Wohngemeinschaft für trans Frauen.
Selbst in Schweden aufgewachsen, verbrachte Regisseur und Drehbuchautor Akin viel Zeit bei seiner Familie in Georgien sowie in der Türkei, woher seine Eltern stammen, sagt er am Premierenabend. Bereits mit „Als wir tanzten“, einer schwulen Liebesgeschichte, die 2020 in der Kategorie Bester Internationaler Film für die Oscars eingereicht wurde, setzte er dem queerfeindlichen Klima in Georgien filmisch etwas entgegen.
Mit „Crossing“ setzt er dieses Vorhaben fort: „Ich widme diesen Film all jenen, die nicht ihr wahres Selbst ausleben können.“ Tekla ist so jemand: Von ihrer inzwischen verstorbenen Mutter und deren Schwester Lia verstoßen und von der georgischen Dorfgemeinschaft geächtet, überquert sie die Grenze ins Nachbarland Türkei, um dort selbstbestimmt leben zu können.
17. 2., 12.30 Uhr, Cubix.
18. 2., 10.00 Uhr, Cubix.
23. 2., 16.30 Uhr, International
So ist die Annahme, denn ihre Spuren sind verwischt, was klar wird, als sich Achis Informationen als falsch herausstellen: „Istanbul scheint ein Ort zu sein, an den Menschen gehen, wenn sie verschwinden wollen.“
Ausbrechen aus Rollenmustern
Zwar ist die Suche nach Tekla der treibende Motor der Handlung, ausschlaggebend ist aber, was die Überquerung der Ländergrenzen, das Ausbrechen aus dem Alltag und seinen traditionellen Rollenbildern mit Lia und Achi macht. Denn obwohl die Landschaft gleich aussieht, ist prompt alles anders: die Sprache, die Preise, die Menschen. Sich dort zurechtzufinden erscheint schwierig, bietet beiden aber die Möglichkeit, sich selbst näherzukommen.
Besonders deutlich wird das bei Lia: Mzia Arabuli spielt diese strenge und erhaben wirkende Frau sensationell. Anfangs noch abgeneigt gegenüber allem, was auf sie frivol wirkt, bröckelt ihre Fassade zusehends. Hilfreich dabei ist Achis sensible Art, die Lucas Kankava in seiner ersten Rolle gekonnt vermittelt.
An ihre Seite gesellt sich Evrim (ebenfalls in ihrer ersten Rolle glänzt hier Deniz Dumanli), selbst trans Frau und Anwältin, die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzt. Dass diese auch in der Stadt am Bosporus nicht selbstverständlich gegeben sind, macht Akin deutlich.
Die Begeisterung nach der Premiere im Zoopalast ist greifbar, der Applaus tosend und lang anhaltend, zu Recht und nicht unwesentlich – bestimmt in der Panorama-Kategorie doch das Publikum, wer hier am Ende einen Preis erhält.
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