piwik no script img

Die WahrheitGut absetzbarer Gratismut

Wer an gefahrlosen Warmduscherdemos gegen Kaltwassernazis teilnimmt, sollte ab jetzt dringend einen fairen Ablass zahlen.

Sind Demos gegen rechts überhaupt noch punk? Bremen, 21.1.2024 Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Warum die großen Demos gegen rechts scheiße sind, die Teilnehmenden doof und das alles nichts bringt, lässt sich dieser Tage zur Genüge überall erfahren, hören oder lesen. Das Lieblingswort der sauertöpfischen Überchecker ist dabei der „Gratismut“. Soll heißen: Wer an einem Aufmarsch teilnimmt, ohne das Risiko, erschossen, verhaftet oder wenigstens von einem kapitalen Bullen in die Ritzen zwischen den Pflastersteinen gewemst zu werden, nutzt der Sache nicht nur nicht, nein, er schadet ihr sogar. Daneben entlarven sich solche Picknick-, Sekt- und Kinderwagenmarschierer als grundfalsche Feiglinge, denen die eigene Pose tausendmal wichtiger ist als die Sache, die sie zu vertreten vorgeben.

Über das Rätsel, warum so eine Demo deshalb gleich schlecht sein soll, lässt sich freilich streiten. Doch wer im blinden Folgeschluss „Gratismut“ als hilflose Wortschöpfung eines wahlweise schlechten oder nicht vorhandenen Gewissens der üblichen zehn Selbstgerechten abtun will, die ihrerseits schon mal gar nichts unternehmen, greift zu kurz. Denn es stehen ja durchaus Überlegungen dahinter, auch wenn manche dem Mindset lebenslänglich fünfzehnjähriger Destruktivisten entsprungen scheinen: Der Rechtsruck kommt eh nicht, der Rechtsruck ist egal, der Rechtsruck ist erwünscht, die Regierenden/anderen/Blöden/Lastenradfahrenden machen ja auch Sachen falsch, man kann Durchschnittsbürger nicht leiden, Großdemos sind nicht gerade Punk, das Wetter ist zu schlecht, sowie der König unter den Strohmännern: Allein mit Demos verhindert man den Rechtsruck nicht (was, wie bei allen ähnlich konstruierten Argumenten, natürlich auch nie jemand behauptet hat).

Strafkohle für das Moor

Und in der Tat riskiert man bei der Teilnahme an einer solchen Demo vergleichsweise wenig. Sie kostet keinerlei Mut, ganz im Gegensatz zu anderen Demonstrationen. Vielleicht könnte man daher ein ähnliches System einführen, wie es der Umweltschutz bereits in Form der CO2-Abgabe für Flugreisende kennt. Analog zahlen die gratismutig Demonstrierenden eine Gratismutabgabe zugunsten derer, die irgendwo auf der Welt ein Risiko eingehen, sobald sie sich auf der Straße versammeln.

Davon können dann Arztkosten, Gerichtskosten, Anwaltskosten, Beerdigungen bezahlt werden. So könnte eine solche Unterstützung an diejenigen Protestierenden gehen, die sich mit sündhaft teurem Mut in einer sächsischen Kleinstadt, wo jede jeden kennt, auf den Marktplatz stellen, oder weit schlimmer noch: in Russland oder im Iran.

Das gesamte Bezahlmodell würde rundum dem heute gängigen Ablasshandel für Fliegende nachempfunden: Leute, die sich nicht nur den klimafeindlichen Flug, sondern obendrein den Bußetaler dafür leisten können, waschen mit der Ausgleichszahlung ihre emissionsverschmutzte Seele wieder blütenweiß. Von der Strafkohle wird hier ein Moor frisch eingenässt, da am Baum ein abgeknicktes Zweiglein geschient oder dort ein Vögelchen vor dem Tod bewahrt.

Zertifiziert und steuerlich absetzbar

Entsprechend kompensieren die Gratismutigen ihre verachtungswürdige Teilnahme an der gefahrlosen Warmduscherdemo gegen die Kaltwassernazis finanziell. Und wie ein Emissionsrechner die Menge des beim jeweiligen Flug freigesetzten Kohlendioxids berechnet, taxiert ein Gratismutrechner anhand festgelegter Algorithmen wie Teilnehmermenge, Gesellschaftsordnung und Gänsehautstärke die jeweils anfallende Feiglingsabgabe.

Wo der Mut besonders billig zu haben ist, fällt die Zahlung naturgemäß höher aus. Wer zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg oder im Hamburger Schanzenviertel gegen die Nazis demonstriert, muss mehr bezahlen als jemand des gleichen Anliegens in Braunschweig. Und wer in Minsk für gendergerechte Sprache in den Straflagern kämpft, erhält aus dem Angsthasentopf der satten Pseudodemonstranten mehr zurück als die Teilnehmer von „Apolda gegen rechts“.

Längst gibt es auch findige Unternehmen, die sich der Reglementierung und Organisation des komplizierten Vorgangs verschrieben haben. So liest man auf der Seite von Demofair, einer Non-Profit-Organisation mit dem Ziel der Kompensation und Reduzierung rückgratloser Gratismutdemonstrationen: „Sie erhalten von Demofair ein persönliches Zertifikat und eine Spendenbescheinigung. Ihr Gratismutbeitrag ist steuerlich absetzbar.“

Wer das nicht leisten kann oder möchte, bleibt besser zu Hause. Nur mutige oder reiche Menschen sollten überhaupt demonstrieren. Da haben die Schlaumeier mal wieder recht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank....genau mein Humor

  • 1. Seien wir doch froh, dass sich die sonst so (UNSÄGLICH) stille Mehrheit endlich mal erhebt und deutlich macht, dass AfD & Co NICHT für die Mehrheit der Deutschen "spricht".

    2. Wer allerdings annimmt, dies sei an von der Bevölkerung zu leistendem Demokratie-Schutz ausreichend, der irrt natürlich gewaltig.

    3. JEDE Hürde in Sachen Demonstrationsrecht sollten wir unbedingt vermeiden.

    4. Das GRUNDSÄTZLICHE Problem in Sachen "Demonstrationen" ist, dass die Politik und Institutionen Demonstrationen einfach ausblenden und ignorieren; wodurch das Gefüge Bürger zum Staat und umgekehrt, in Bezug auf den verfassungsrechtlichen Sinn des Demonstrationsrechts zunehmend verloren geht.



    Soll heißen: Der Staat muss auch wieder lernen "zuzuhören"!



    Denn sonst produziert DER STAAT bei den Bürgern vom Demonstrationsrecht abweichende "Ausdrucksformen", woran doch niemandem ernsthaft gelegen sein kann.



    ;-)

  • Sauertöpfische Überckecker - ???

    Ach was - !!!

    Das Bürgerlied (1845) Hannes Wader singt es:

    www.youtube.com/watch?v=9peRnHqxAF4

    Kein braunen Wiedergänger - die das Braune nur verdauen wie die Kuh verdaut das Gras....

    Das Bürgerlied. Wikipedia:

    de.wikipedia.org/w...gerlied_(Harnisch)

  • Eine hübsche Glosse! (Dafür nur etwas lang.)



    Ein durchaus ernsteres Argument fehlt indes: Die "Gratismutigen" demonstrieren de facto FÜR die Regierung. Kein Anlass stutzig zu werden? Es hat sogar die Schulministerin in NRW schon Landesbeamte (Lehrer) ermutigt, solche Demos zu besuchen, ggf. auch mit ihren Schülern. Immer noch kein Zweifel? Gab es nicht einmal ein Mäßigungsgebot, eine Neutralitätspflicht, ein Indoktrinationsverbot?



    Und klingt euch "Demokratiefördergesetz" gar nicht nach Orwell? So gar nicht?

    • @Jonas Amazonas:

      De Facto demonstrieren die Leute - in der realen Welt - für die Erhaltung "unserer" Art zu leben. Für Demokratie, Freiheit, Meinungsfreiheit, Weltoffenheit, Toleranz, etc. pp.

      Und selbstverständlich ist es völlig in Ordnung, Beamte - und Schüler - zu ermutigen, für die FDGO auf die Straße zu gehen. Verfassungspatriotismus nennt man das.

    • @Jonas Amazonas:

      So ein Unfug. Die Leute demonstrieren nicht "für die Regierung" sie demonstrieren "gegen Rechtsaußen". Nur weil für Einige in ihrer Eindiminsionalität das eine gleichzeitig auch für das Andere halten, ist es noch lange nicht richtig.



      "Neutralitätspflicht" gegenüber Rechtsextremen? Man kann sich auch geschickter outen.

  • Ich glaube, dass das "Gratismut"-Geschwafel einfach nur überflüssige Galle ist, die diese Leute meinen, verspritzen zu müssen.



    Das sollte man auch so kommunizieren und abwiegeln mit: "Und wählen gehst du auch nicht, weil keiner mit der Kalschnikow neben der Wahlurne steht, oder was? Mut ist doch keine Bedingung für Meinungsäußerung!"