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Berlinale-Filme über den UkrainekriegRoaming im Kriegsgebiet

Wie spricht man im zweiten Jahr über den Krieg in der Ukraine? Der Film „Redaktsiya“ und die Doku „Intercepted“ wählen verschiedene Wege.

„Intercepted“ von Oksana Karpovych unterlegt Bilder der Zerstörung mit mitgeschnittenen Telefon­anrufen russischer Soldaten Foto: Christopher Nunn

Die Steppe brennt. Dicke Rauchwolken steigen über einer Stadt im Süden der Ukraine auf. Es sind jedoch keine Kriegsgeschosse, die für Feuer sorgen, sondern Brandstifter. „Redaktsiya“ spielt vor der russischen Invasion und zugleich in einer postfaktischen Welt. Abgedreht kurz vor Kriegsbeginn stellt er überspitzt die Verknüpfungen zwischen Kleinstadtpolitik und Provinzpresse dar und zeigt: Über die Korruption in der Ukraine zu höhnen war keineswegs verboten. Der Spielfilm wurde unter anderem vom ukrainischen Kulturministerium gefördert.

Yura (Dmytro Bahnenko), der als Biologe eigentlich bloß nach Murmeltieren sucht, wird über Umwege Journalist. Seine Kol­le­g:in­nen glauben keiner Nachricht, die sie nicht selbst gefälscht haben. Promo-Berichte erhält, wer am meisten zahlt. Das ist in „Redaktsiya“ die Partei des amtierenden Bürgermeisters, der zur Wiederwahl antritt. Zumindest soll dieser Eindruck entstehen, denn der Ortsvorsteher liegt schon eine Weile im Koma. Indes versuchen die restlichen Politiker mit Tiktok-Tänzen viral zu gehen. Der Plot schraubt sich dann immer wilder (und alberner) weiter, über Schießereien und Kultmessen, bis am Ende der Krieg ausbricht – oder zumindest endet.

Dass es in Yuras Welt überhaupt zu einem Krieg kommen würde, hat sich womöglich erst im Nachhinein entschieden. Etwas improvisiert wirkt die Schlussszene, bei der ein von Weitem als scholzähnlich durchgehender deutscher Kanzler neben einem Selenski-Mimen steht und den Sieg „über das russische Imperium“ feiert. Geschnitten wurde der Film erst während des Ukrainekriegs.

An Filmen zu arbeiten war dabei eigentlich das Letzte, was Roman Bondarchuk und seinem Team 2022 in den Sinn kam, erzählt der Regisseur bei einer Podiumsdiskussion (Berlinale Talents) am Montagabend in Berlin. Von einer großen Wut, die bei Kriegsbeginn in den Ukrai­ne­r:in­nen gebrodelt habe, berichtet die Filmkritikerin Daria Bador. 2023 sei dann für viele ein deprimierendes Jahr gewesen.

Ebenfalls auf dem Podium sitzt Oksana Karpovych, die mit „Intercepted“ einen Dokumentarfilm über den Krieg gedreht hat. Karpovych hat sich gegen Zwischentöne entschieden, die in Bondarchuks Film noch so laut dröhnen. Bilder von Ruinen unterlegt „Intercepted“ mit den Aufnahmen abgefangener Telefonanrufe, die russische Soldaten vorschriftswidrig in Richtung Heimat getätigt haben. Zumeist staunen sie in diesen Anrufen über die Warenvielfalt in der Ukraine und nehmen Beutebestellungen auf.

Gespräche zwischen Mütter und Söhne

Es ist eindrucksvoll, wie die Daheimgebliebenen mitunter den Soldaten auszureden versuchen, was diese mit eigenen Augen sehen. „Ich glaube, du weißt gar nicht, was du da sollst“, schimpft eine Mutter mit ihrem Sohn, der die Sinnhaftigkeit der „Spezialoperation“ in Frage stellt. Die Ukrainer seien Schuld daran, dass in Russland das Vieh sterbe, ist sie überzeugt, auch das Corona­virus sei in ukrainischen Laboren entstanden.

Auch anders geartete Fälle gibt es; Söhne, die ihren immer stiller werdenden Müttern von der Veränderung erzählen, die mit ihnen durchgeht, wie sie Gefallen daran finden, Menschen zu foltern. Eine Frau schimpft lautstark über den russischen Staat. Wenn jemand sie abhört – „gut so“. Des Risikos, dass die Telefongespräche abgefangen würden, werden sich zumindest einige bewusst gewesen sein. Man beginnt sich unwillkürlich zu fragen, innerhalb welcher Kontrakte die Telefonanrufe operieren: Wie funktio­niert Roaming in Kriegsgebieten? Und überhaupt: Woher stammen die Audioaufnahmen? Zumindest Letzteres beantwortet Karpovych bei der Podiumsdiskussion: Die Gespräche seien vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst (SBU) ins Internet gestellt worden.

Der Ukrainekrieg ist der am besten dokumentierte Krieg der Welt. Bilder der Zerstörung aus allen Landesteilen sind über unsere Bildschirme geflimmert. Das Problem des Ideogrammatischen – Personen und Landschaften in immer gleichen symbolhaften Bildern darzustellen –, das der französische Soziologe Pierre Bourdieu auch in Bezug auf Kriegsfotografie aufbrachte, gilt so auch für filmische Zeugnisse. Dem weicht Karpovych aus, indem sie den ungewöhnlichen Weg wählt, ausschließlich Telefongespräche den Bildern gegenüberzustellen.

TERMINE

Redaktsiya

22. 2., 18.30 Uhr, Arsenal 1

25. 2., 20.15 Uhr, Delphi Filmpalast

Intercepted

21. 2., 10.00 Uhr, Arsenal 1

23. 2., 12.00 Uhr, Kino Betonhalle@Silent Green

Doch ihr Film hätte einiges an Tiefe dazugewinnen können, wären auch die Stimmen ukrainischer Soldaten zu hören gewesen. Ihre Botschaft, dass Russen keine Monster qua Geburt, sondern die Summe ihrer Erfahrungen und auf sie einwirkenden Propagandaerzählungen sind, hätte das nicht geschwächt. Wie spricht man auf verschiedenen Seiten über den Feind, wenn der zumeist ja dieselbe Sprache spricht? Das wurde im vergangenen Berlinale-Jahr etwa mit „In Ukraine“ von Piotr Pawlus und Tomasz Wolski feinsinnig verhandelt. Die Depression, von der Daria Badior im zweiten Kriegsjahr berichtete, sie ist auch den ukrainischen Filmen anzumerken.

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2 Kommentare

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  • 》Es sind jedoch keine Kriegsgeschosse, die für Feuer sorgen, sondern Brandstifter. „Redaktsiya“ spielt vor der russischen Invasion und zugleich in einer postfaktischen Welt [...] Über die Korruption in der Ukraine zu höhnen war keineswegs verboten. Der Spielfilm wurde unter anderem vom ukrainischen Kulturministerium gefördert.《

    Das erinnert an die ukrainische Krimiserie "Hide and Seek" (Прятки Versteckspiel) is.gd/0DCBYA die das ZDF 2019 koproduziert hat:

    Korruption und generationenübergreifende, patriarchale Strukturen, neue Eliten, Brutalität - vor diesem Hintergrund geht es um adoptierte Kinder, die ihren Eltern geraubt wurden, unter ihnen das der leitenden Ermittlerin, Varta Naumova

    Wie in Brechts - der das salomonische Urteil weiterentwickelt - "Der Kaukasische Kreidekreis" überlässt sie ihr Kind am Ende den Zieheltern: aus Liebe.

    》Im Rechtsstreit um die Nutzung eines Tals nach dem Zweiten Weltkrieg tritt ein Sänger hinzu und besingt/erzählt die folgende Geschichte:[...]《 beginnt die Wikipedia is.gd/MMCsfB ihre Inhaltsangabe zu Brechts Stück, einen Hintergrund, den wan bei den ukrainischen Filmemachern als bekannt voraussetzen kann.

    Insofern lässt sich die Serie auch politisch lesen (als Graffiti taucht prominent der Rattenfänger von Hameln auf, dessen verschwundene Kinder historisch wohl als Bergarbeiter ins Erzgebirge rekrutiert worden sind): das Kind wird bei Brecht eben nicht der leiblichen Mutter zugesprochen, sondern der Pflegemutter, die rechtzeitig einsieht, dass es das Kind zerreissen würde, wenn beide weiter an ihm zerren.

    Vielleicht selbst als Vorahnung eine realistischere Einschätzung als 》die Schlussszene [von "Redaktsiya"], bei der ein von Weitem als scholzähnlich durchgehender deutscher Kanzler neben einem Selenski-Mimen steht und den Sieg „über das russische Imperium“ feiert《 - die Ukraine, wie es sie bei den Dreharbeiten zu beiden Filmen gab, existiert nicht mehr.

  • 》Die Gespräche seien vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst (SBU) ins Internet gestellt worden.

    Der Ukrainekrieg ist der am besten dokumentierte Krieg der Welt.《

    Über jedem Liveticker steht ein Disclaimer, hier der des Tagesspiegel: "Hinweis: Angaben der Regierungen, Armeen und Bilder und Videos aus der Region lassen sich manchmal nicht endgültig verifizieren. Wir geben sie dennoch mit einem entsprechenden Hinweis wieder, um einen möglichst detaillierten Blick auf die aktuellen Ereignisse in der Ukraine zu vermitteln"

    Aber vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst angeblich aufgezeichnete Gespräche, für die es nur zwei Leute braucht, die russisch sprechen (und ein Tonbandgerät) sind "Dokumente" im "am besten dokumentierte[n] Krieg der Welt"?

    2011 wurde in der taz noch "embedded journalism" unter dem Begriff "Propagandaverdacht" diskutiert blogs.taz.de/hausb...bedded_journalism/ , Ende 2022 hat der Inlandsgeheimdienst SBU 》Matilde Kimer, der langjährigen Russland- und Ukraine-Korrespondentin der dänischenöffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt DR, die Akkreditierung entzogen und [...] ihr damit ihre weitere Arbeit unmöglich [gemacht]. In einer schriftlichen Mitteilungdes ukrainischen Geheimdiensts SBUerhielt sie dafür keinerlei Begründung. „Ich war mir sicher, es müsse ein Fehler oder ein Missverständnis sein“, berichtet Kimer gegenüberJournalisten, der Publikation der dänischen Journalistengewerkschaft. Doch in einem Gespräch habe man ihr dann als Begründung mitgeteilt, sie „betreibe Propaganda für den Feind“.《 taz.de/Pressefreih...-Ukraine/!5900921/ - aber diese Telefonmitschnitte sind nun "Dokumente"?