100. Geburtstag der Roten Hilfe: Streitbare Solidarität

Die Rote Hilfe feiert 100 Jahre mit einer Gala in Hamburg. Zu besichtigen war auch, wie eine Linke aussehen könnte, die zusammenhält.

Demonstrierende 1974 mit Bannern, Plakaten und Megafon

Mitglieder der Roten Hilfe protestierten 1974, nachdem RAF-Mitglied Holger Meins infolge seines Hungerstreiks in Haft starb Foto: Klaus Rose/imago

HAMBURG taz | Nein, natürlich hängt nirgendwo in den Weiten des Millerntor-Stadions ein Schild: „Rote Hilfe-Gala hier entlang“. So weit ist es dann doch nicht her mit der Offenheit. Die Rote Hilfe ist schließlich „die größte und eine der wichtigsten Gruppierungen im deutschen Linksextremismus“, so steht es im letzten Verfassungsschutzbericht, zuständig für „die Unterstützung linksextremistischer Straftäter sowohl im Strafverfahren als auch während der Haftzeit“.

Hinter einer halboffenen Gittertür steht der Anmeldetisch, dann geht es mit anderen, unter ihnen der Filmer des offiziellen Rote Hilfe-Dokumentarfilms, in einem Aufzug hoch in den Presseraum, wo etwa ein Dutzend Leute auf quietschbunten Drehstühlen sitzen. Prüfende Blicke. „Hallo“, sagt ein junger Mann im lila Hemd, er ist von der Ortsgruppe Hamburg, die die Sause heute ausrichtet. Die Pressekonferenz sei eigentlich schon vorbei, aber „frag ruhig“.

Außer mir hat keiner Fragen. Später wird klar, warum: Die Leute hier kennen die Antworten bereits, sie gehören mehr oder weniger zur Familie.

Also: Wer kommt zur Roten Hilfe? „Menschen mit einem linken Selbstverständnis“, es muss gar nicht immer ganz krass sein, „Wir unterstützen viele verschiedene Aktionsformen“, inzwischen würden ja bereits Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche kriminalisiert. Und wer entscheidet, was als linkes Selbstverständnis zählt? „Das entscheiden bei uns die Ortsgruppen“, 50 davon gebe es in der BRD. Die Zentrale rede da nicht rein.

Die Zeiten sind politisch schwierig, das ist klar, die Rechte auf dem Vormarsch, die Repression nimmt zu. „Das Gute ist“, sagt Henning von Stoltzenberg, der vom Bundesvorstand in NRW angereist ist: „Je stärker der Druck, desto mehr geht es bei uns nach oben.“

Im Kampf der K-Gruppen

15.000 Mitglieder hat die Rote Hilfe derzeit. Das ist vielleicht nicht viel gegen ihre Anfänge in der Weimarer Republik, als die Zahlen in die Hundertausende gingen, aber doch viel angesichts ihrer jüngeren Geschichte: In den 1970ern rieb sie sich im Kampf der K-Gruppen auf, als „Sympathisantin der RAF“ war sie zudem unter staatlichen Druck geraten. Erst als sie sich mit der Neugründung 1986 neuen linken Bewegungen (Hausbesetzungen, Anti-Akw) öffnete, ging es wieder aufwärts. Heute versucht die Rote Hilfe, strömungsübergreifend zu arbeiten, allen Konflikten innerhalb der Linken zum Trotz. „Wenn es zu Repression kommt, fordern wir die Leute auf, zusammenzuarbeiten“, sagt Henning von Stoltzenberg.

Derzeit steht die Rote Hilfe gut da, neben den Mitgliederbeiträgen gehen Spenden und sogar Erbschaften an sie. Die 100-Jahre-Feier steigt im geräumigen Ballsaal des FC St. Pauli, hinter der Haupttribüne. Durch die gläserne Hintertür ist das Spielfeld zu sehen, das ruhig und ausgestorben daliegt, mit riesigen spinnenartigen Maschinen darauf, die den Rasen bewachen.

Später bei der Gala wird dort draußen die Menschentraube der Rauchenden stehen, jetzt aber ist noch nicht einmal das Büfett eröffnet. Die ersten Gäste treffen ein, nehmen ein Glas Sekt vom Tablett und stellen sich vor den Stelltafeln, auf denen 100 Jahre Rote Hilfe dokumentiert sind. Wer sie sind? „Also wir kommen von der UZ“, sagt ein Mann, der vorhin auch oben mit seiner Kollegin in der Pressekonferenz saß.

Die UZ, Unsere Zeit, ist die Wochenzeitung der DKP. „Wir sind bei der Roten Hilfe schon ewig dabei“, und dann erklären sie, wofür die DKP steht (noch immer Marx-Engels-Lenin) und wie sie sich zur Linkspartei verhält, eine Doppelmitgliedschaft sei nicht ausgeschlossen. Die Spaltungen in der Linken bedauert er sehr, gerade deswegen findet er die Rote Hilfe so gut. „Sie zeigt, dass wir zusammengehören.“

Verschärfung der Polizeigesetze

Das Büfett ist eröffnet, ein Mann mit langem Bart setzt seinen Teller mit veganer Currywurst ab. „Darf ich?“ Er ist von Robin Wood, die auch schon lange dabei sind und jetzt auch wieder allen Grund dazu haben, denn auch sie sind von der Verschärfung der Polizeigesetze betroffen. Die „präventive Ingewahrsamnahme“, offiziell eingeführt, um Straftaten zu verhindern, betrifft auch ihre Ak­ti­vis­t*in­nen, denn Besetzungen gelten schon als Straftat.

„Und wenn sie dann unser Klettermaterial beschlagnahmen, rücken sie es nicht mehr heraus, weil damit ja neue Straftaten begangen werden könnten.“ Eine junge Frau tritt an den Tisch, sie ist eine der Aktivistinnen. „Und, willst du nicht vielleicht die Seiten wechseln?“, fragt sie. „Vom Journalisten zum Aktivisten? Wir suchen noch Leute.“

Ganz hinten, vor dem Regal mit dem sehr leckeren Dessert aus roten Beeren, haben sich zwei ältere Herren an einen Tisch gestellt. „Wir sind der bürgerliche Rand“, sagen sie, sie kommen von der Humanistischen Union in Bremen und sind eher an der Uni zu Hause. Die schärferen Polizeigesetze, die Überwachung, das Hantieren mit den Paragrafen 129 (kriminelle Vereinigung) und 129a (terroristische Vereinigung), wonach auch die Mitgliedschaft bei der Antifa oder in der PKK schon eine Straftat ist, finden sie äußerst problematisch.

Und so kommen an diesem Abend politische Lager zusammen, die sich sonst eher bekriegen. Die Bühne für die Gala ist mit roten Fahnen dekoriert, zwei Screens zeigen die verschränkten Arme, das Zeichen der Solidarität, und Grüße werden auch an Institutionen übermittelt, die der Verfassungsschutz schon gecancelt hat.

Diskretion Ehrensache

Diskretion ist schon allein deswegen Ehrensache. „Wir kennen uns aus mit dem Wunsch, nicht fotografiert zu werden“, sagt eine Frau vom Bundesvorstand bei der Begrüßung. Die Fotografen, die da seien, seien in ihrem Auftrag da und würden darauf achten, nur von hinten zu fotografieren.

Eine Landtagsabgeordnete der Linken ist aus Thüringen zugeschaltet, sie erzählt, wie wichtig die Rote Hilfe im Kampf gegen die „Faschistinnen und Faschisten“ ist, und genau diesen Kampf führt ja auch die Frau, die gegen Ende der Gala kommt: Lina E. von der „Antifa Ost“ aus Leipzig.

„Puh, ich muss mich ja um gar nichts mehr kümmern“, sagt Lina E. über die Unterstützung während der Haft

Sie ist so etwas wie der Star des Abends: Ihre Verhaftung nach einem Überfall auf Neonazis in Eisenach, die Ermittlungen einer Polizeieinheit, die „Soko LinX“ heißt, die Anklage wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“, schließlich der Abtransport mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe zur Bundesanwaltschaft: Schon diese Umstände, oder soll man sagen; diese Inszenierung?, weckten eine riesige Aufmerksamkeit.

Der Fall Lina E. wurde zum Beweis dafür hochgejazzt, dass es wieder so etwas wie „Linksterrorismus“ gebe, wogegen die Brutalität, mit der die überfallenen Neonazis eine Stadt wie Eisenach zu einer „national befreiten Zone“ transformieren, in der Andersdenkende sich nicht mehr auf die Straße trauen, hintenüberfiel.

Und dann steht da im Ballsaal eine junge Frau mit Ponyfrisur und erzählt, dass sie die Zeit in der Haft ohne die Rote Hilfe nicht durchgestanden hätte. Schon in der ersten Woche war Geld auf ihrem Haftkonto, sie konnte sich eigenes Essen kaufen, eine Lampe, so dass das Neonlicht ausbleiben konnte, auch ihre Wohnung wurde weiter finanziert. In ihrer Zelle habe sie die Arme hinter dem Kopf verschränkt und gedacht: „Puh, ich muss mich ja um gar nichts mehr kümmern“, sagt Lina E. Sie habe das als „großes Privileg“ empfunden.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Bernadette La Hengst im Glitzerkleid

Während vorne auf der Bühne die Gäste auftreten, die Musikerin Bernadette La Hengst ist im Glitzerkleid da und die Kabarettistin Lisa Politt haut auf die Kriegspartei der Grünen drauf, wird hinten an der Theke eine riesige Torte mit der Aufschrift „Solidarität“ angeschnitten.

Es bildet sich eine Schlange, Gedränge. „Ich weiß nicht, die ist doch nur gekauft“, sagt die Frau vom Team der Vokü Hafenstraße, die hinter der Ku­chen­theke steht und die Torte austeilt. Der selbstgebackene Schokokuchen daneben sei viel besser.

Aber die Solidaritätstorte muss es nun mal sein. Sie schmeckt süß, vielleicht ist Erdbeere drin? Süß und ein bisschen klebrig.

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